Editorial

Alles hat ein Ende

(21.07.2022) … nur der internationale Freiname therapeutischer Antikörper hat neuerdings vier mögliche Endungen. Aus -mab wird -mig, -ment, -bart oder -tug.
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Der allererste zugelassene monoklonale Antikörper endete noch auf -monab.

„Dex-, -li-, -olol-, -nil“. Nein, das ist nicht der Beginn eines Kinderliedes, diese Silben verraten Pharma-Kennern viel über einen Wirkstoff. Seit 1953 vergibt die WHO für Wirkstoff-Kandidaten sogenannte internationale Freinamen oder International Nonpro­prietary Names, kurz INN. Diese unterscheiden sich von den Handelsnamen, die die Pharma-Firmen ihren Wirkstoffen verpassen. So lautet etwa der INN für Comirnaty, den COVID-19-Impfstoff von Biontech, Tozinameran.

Der Sinn dahinter ist klar. Ähnlich wie Linné, der mit seiner zoologischen und botanischen Nomenklatur vor mehr als 200 Jahren Ordnung in die vielen bekannten Tier- und Pflanzen­arten bringen wollte, geht es auch der WHO darum, den Umgang mit einer immer unübersichtlich werdenden Zahl an Wirkstoffen zu erleichtern. Durch diese Pharma-Nomenklatur kann eine Substanz eindeutig identifiziert werden und zwar weltweit, denn Handelsnamen ändern sich zum Beispiel von Land zu Land. Patienten bekommen so garantiert das richtige Medikament verschrieben und Mediziner können sich sicher sein, dass sie über denselben Wirkstoff sprechen.

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Details in Silben

Der INN ist dabei nicht willkürlich gewählt. Zum einen soll er eindeutig sein in Schreibweise und Aussprache, zum anderen nicht unnötig lang oder mit anderen Namen aus der Alltags­sprache verwechselbar. Eingeweihten verraten die Namen aber noch viel mehr. Ganz allgemein: es gibt Präfixe, also Vorsilben, Infixe – Silben in der Wortmitte – und Suffixe, die am Endes des Namens stehen (das WHO-Wörterbuch gibt es hier).

In vielen Fällen sind Präfixe frei wählbar. Bei einigen Substanzen geben sie aber beispielsweise Auskunft über die Stereochemie der Substanz. Levo- etwa weist auf ein linksdrehendes Molekül hin, Dex- auf ein rechts­drehendes. Über die Infixe lassen sich Rückschlüsse ziehen auf die Angriffs­stelle des Wirkstoffs oder seine Herkunft. Am auffälligsten sind jedoch die Suffixe, die die Stoffklasse beschreiben.

So erhalten Tyrosin­kinase-Inhibitoren die Endung -tinib (wie Sunitinib), Protonen­pumpenhemmer die Endung -prazol (wie Pantoprazol) und Angiotensin-II-Rezeptor-Antagonisten enden auf -sartan (wie Losartan). Rund 10.000 INN hat die WHO bereits vergeben. Wohlgemerkt auch an Substanzen, die letztlich gar keine Zulassung bekommen haben. Vor allem bei den therapeutischen Antikörpern wächst die Zahl stark an. Seit 1991 sind sie mit dem Suffix -mab für monoclonal antibody als solche gekennzeichnet.

Eine Namens-Ausnahme

Beim allerersten zugelassenen therapeutischen Antikörper war das allerdings noch nicht der Fall. Orthoclone OKT3 (siehe Bild) erhielt 1986 die Zulassung der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) zur Behandlung einer Abstoßungs­reaktion nach Organtrans­plantation. Ein Jahr später sollte sich das INN-Komitee einen offiziellen Namen für den Antikörper ausdenken. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der inoffizielle Name muromonab-CD3 (für murine monoclonal antibody) in der Fachliteratur jedoch schon so festgesetzt, dass sich die WHO-Namensgeber in diesem Fall der Mehrheit beugten. Denn eigentlich soll der INN ohne Zahlen und Bindestriche auskommen. Weil es im sprachlichen Gebrauch zu Verwechs­lungen kommen könnte hinsichtlich Dosierung oder der Häufigkeit der Einnahme. Nach intensiver Diskussion einigte man sich auf die Endsilbe -mab und benannte alle weiteren therapeutischen Antikörper nach dem vorgegebenen Schema: z. B. Pembrolizumab (Keytruda), Trastuzumab (Herceptin), Adalimumab (Humira) etc.

Seit 1991 gab es immer wieder kleinere Änderungen, vor allem, was die Infixe betraf. Aus -col-, -got- und -mar- für Darm-, Hoden- und Brustkrebs wurde einfach nur -tu- für Tumor – siehe Trastuzumab in den obigen Beispielen. Die Silbe -zu- kennzeichnet übrigens einen humanisierten Antikörper.

Die Endung blieb jedoch immer gleich. Bis jetzt. „Die enorme Anzahl von monoklonalen Antikörpern, die in den letzten Jahren entwickelt wurden, sowie deren zunehmende strukturelle Komplexität zwang die WHO-Experten­gruppe zu einer grundlegenden Überarbeitung der Nomenklatur“, schreibt Karin Weißer aus der Abteilung Sicherheit von Arzneimitteln und Medizin­produkten des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) und Mitglied der Expertengruppe im Bulletin zur Arzneimittel­sicherheit (Ausgabe 2/2022). Fast 900 Freinamen hat die Gruppe für monoklonale Antikörper bereits vergeben.

Recycling ausgeschlossen

Die Auswahl aus Prä-, In- und Suffixen für neue Antikörper ist also stark eingeschränkt. Auch weil einmal vergebene Namen nicht wiederverwendet werden können. Beispielsweise, wenn es, wie bereits erwähnt, der Antikörper nie zur Zulassung geschafft hat. „It would be impossible and dangerous to re-use such names, and so they remain assigned but in ‘limbo’, still being part of over-crowding of the name space, which increases the difficulties of formulating distinctive new INN for monoclonal antibodies“, schreiben Weißer et al. in MAbs (14(1): 2075078). Bereits im Dezember wurde die neue Nomenklatur in Kraft gesetzt.

Weißer erläutert im Bulletin: „Das Spektrum reicht von sehr kleinen Fragmenten aus variablen Domänen (z. B. Einzel­domänen-Antikörper mit einer molaren Masse von etwa 15 kDa) über vollständige Immunglobuline (z. B. IgG, etwa 150 kDa) bis zu multispezi­fischen Immunglobulin-Fusions­proteinen (z. B. IgG-2scFv, >150 kDa). Sie werden nun in vier ungefähr gleich starke Gruppen unterteilt. Jede dieser vier Gruppen bildet einen eigenen Stamm mit einer spezifischen Endung.“

Radikale Änderung

Und diese lauten: -tug für „unmodified immunoglobulins“, also, monospezifische, full-length Immun­globuline mit unveränderten konstanten Regionen (Fc) und einem identischen Set an Complementarity Determining Regions CDR, die Teil der variablen Domäne der Immun­globuline sind. Auf -bart enden zukünftig alle „artificial immunoglobulins“, also monospezifische, full-length Immun­globuline mit einer modifizierten Fc-Region, bei denen beispielsweise zur Stabilisierung eine Aminosäure gegen eine andere ausgetauscht wurde. Die Endsilbe -ment kennzeichnet „immunoglobulin fragments“. Beispielsweise Fab-Fragmente oder scFv-Fc-Konstrukte mit mindestens einer Antigen-bindenden variablen Domäne. „Multi-specific immunoglobulins“, also alle bi- und multispezifischen Immun­globuline mit verschiedenen variablen Domänen und unterschiedlichen Sets von CDR, enden künftig auf -mig.

Auch bei den Infixen musste die WHO-Gruppe erneut nachbessern. Das „wenig informative“ -li- für immunmodulierend wird ersetzt durch -sto- für immunstimulatorisch und -pru- für immunsuppressiv.

Mit dieser wie es heißt „radikalen Änderung“ hofft das Gremium eine Nomenklatur geschaffen zu haben, „welche die zunehmende Diversität der Antikörper­konstrukte besser abbildet und zum anderen wieder mehr Flexibilität in der Namensgebung erlaubt“.

Kathleen Gransalke

Bild: National Museum of American History


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Letzte Änderungen: 12.07.2022