Editorial

Zu warm
und zu sauer

(08.08.2022) Durch die Klimaerwärmung verschieben und verkleinern sich Lebensräume. Was das für polare Meeresorganismen bedeutet, weiß Hans-Otto Pörtner.
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In unserer Publikations­analyse zur Meeres- und Frischwasser­biologie ist der Ökophysiologe und Klimaforscher einer der meistzitierten Köpfe. Am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeres­forschung (AWI) in Bremerhaven widmet sich Pörtners Arbeitsgruppe vor allem den Meeres­bewohnern der Polarregionen. Außerdem ist Pörtner beim IPCC Ko-Vorsitzender der Arbeitsgruppe II und wirkt hier an Veröffentlichungen des Weltklimarates mit.

Sie waren vor etwa einem Monat in Lissabon, wo die UN-Ozean­konferenz 2022 stattfand. Und gleich darauf gab es noch in Bremen das internationale Korallenriff-Symposium. Mit welchen Eindrücken kehren Sie aus diesen Meetings zurück?
Hans-Otto Pörtner: Die ersten Ökosysteme erreichen echte Anpassungs­grenzen – nicht nur im Ozean! Für die Warmwasserkorallen-Riffe sind wir mit der Erderwärmung schon ganz klar über einen Kipppunkt hinausgegangen. Im Klartext heißt das: Wir verlieren die großflächige Bedeckung mit Warmwasser­korallen in den niederen Breiten. Die Anpassungs­fähigkeit dieser Organismen­gruppe ist nämlich sehr begrenzt. Das ist jetzt erst einmal der empirische Befund. Da fragt man sich natürlich als Physiologe: Woran liegt das? Was ist das Besondere an den Warmwasser­korallen, dass sie so empfindlich und schon bei 27 Grad an der Bleichschwelle sind.

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Haben Sie dafür eine Erklärung?
Pörtner: Wir selber arbeiten am AWI ja nicht mit Korallen, sondern fokussieren uns auf die Polarregionen. Aber was dazu in der Literatur zu finden ist, passt zur Hypothese, dass Organismen und ihre Gemein­schaften mit zunehmender Komplexität wärme­empfindlicher werden. Ich spreche von Gemein­schaften, weil Warmwasser­korallen ja in Symbiose mit einer Alge leben. Das geht weit über die Komplexität hinaus, die man normalerweise bei Tieren findet. Daher ist es plausibel, dass die maximal und dauerhaft tolerierte Temperatur­schwelle, die für Tiere allgemein nicht weit über 40 Grad hinausgeht, bei den Korallen noch mal eine Stufe niedriger ausfällt.
Andere Systeme sind da robuster oder, wie wir sagen, resilienter. Die Mangroven und die Seegras­wiesen zum Beispiel. Doch auch dort sehen wir in den äquatornahen Verbreitungs­gebieten einen Temperatur­stress, vor allem bei den Seegräsern. Die geografische Verbreitung verschiebt sich bereits in kühlere Breiten. Diesen Trend gibt es übrigens auch bei den Korallen, nur ist da die Zeitkom­ponente wichtig. Der Aufbau eines großen Korallenriffs braucht halt seine Zeit. Doch entlang der Küste Japans dehnen sich die Korallen derzeit in Richtung Norden aus, sind dann aber begrenzt auf die Lichtzone.

Mit dem CO2 in der Atmosphäre reichert sich das Gas auch im Meer an, wodurch der pH-Wert sinkt.
Pörtner: Das ist ein relativ junges Forschungs­gebiet. Es ist entstanden, nachdem wir uns vor etwa 15 Jahren für einen IPCC-Sonderbericht [„Carbon Dioxide Capture and Storage“] angeschaut haben, welche Auswirkungen es hat, wenn der Mensch CO2 absichtlich aus der Atmosphäre in den Ozean pumpt – um den Gehalt in der Atmosphäre zu verringern und das CO2 quasi im Meer zu verklappen. Da war relativ schnell klar, dass das keine empfehlens­werte Maßnahme ist. Dann kam die Einsicht: Das passiert ja sowieso, denn mit dem steigenden atmosphärischen CO2-Gehalt nimmt auch der Ozean mehr CO2 auf. Es kommt zu einer Abnahme des pH-Wertes, und das ist eben im Begriff „Ozeanversauerung“ erfasst. Zunächst einmal wirkt sich das auf die Kalkbildner aus, von Muscheln bis hin zu den Korallenriffen. Physiologisch hat es aber weitere Folgen, denn in den Körperflüssig­keiten vieler Tiere oder ihrer Entwicklungs­stadien kann es zu Störungen im Säure-Base-Haushalt mit Abnahme des generellen Leistungs­vermögens kommen.
Wir haben damit einhergehend auch zum Sauerstoff­mangel im Meer geforscht. Am AWI rutschte dann auch die Temperatur in den Fokus – zunächst einmal, um zu verstehen: Was ist denn das Besondere an den Tieren, die in den Polargebieten leben? Wie kommen die mit der Kälte klar? Und daran anschließend natürlich: Was passiert, wenn sich die Temperatur im Lebensraum verändert? Bringt man all das zusammen, sieht man, dass die großskalige Biogeografie, also die geografische Verbreitung der Organismen, abhängig ist von der Temperatur. Die Erwärmung des Ozeans führt zu einer Verlagerung der Biogeografie. Außerdem haben wir Hinweise, dass das Temperatur­fenster einer Art enger wird, wenn gleichzeitig CO2 im Wasser ansteigt. So kommt es nicht nur zu einer Verschiebung der Lebensräume, sondern auch die Lebensräume insgesamt werden kleiner. Den gleichen Effekt hat auch eine abnehmende Sauerstoff­verfügbarkeit.

Sauerstoff löst sich bei höherer Temperatur ja auch schlechter im Wasser.
Pörtner: Ja, wobei dieser Effekt für sich gesehen durch erhöhte Diffusibilität kompensiert wird. Entscheidend ist, dass die Abstimmung zwischen Sauerstoff­aufnahme und -verteilung durch das Herz-Kreislauf-System und dem Sauerstoff­verbrauch temperatur­abhängig optimiert bzw. begrenzt ist. Weniger Sauerstoff kann aber die Temperatur­grenze zu niedrigeren Werten verschieben und mehr Sauerstoff zu höheren. Wir hatten dazu schon vor knapp zehn Jahren ein interessantes Modell. Da haben wir die Physiologie von Krebstieren verglichen, wenn sie im Wasser und wenn sie an Land sind (Front Physiol, 4: 110 und Proc Biol Sci, 281(1782): 20132927). Es gibt nämlich einige amphibische Krabben-Arten. Wir sehen dann, dass Temperatur­stress dazu führen kann, dass die Tiere aus dem Wasser rausgehen. Durch die erhöhte Verfügbarkeit von Luftsauerstoff haben sie dann eine erhöhte Temperatur­toleranz. Der Sauerstoff spielt hier also eine große Rolle für das Setzen des Temperatur­fensters. Das ist auch auf evolutionären Zeitskalen sehr interessant. Als sich der Sauerstoff­gehalt in der Atmosphäre erhöhte, war es wohl bei steigenden Temperaturen vorteilhaft, das Leben an Land zu verlagern.
Das Modell hilft uns, zu verstehen, wie und warum sich überhaupt ein Temperatur­fenster bildet. Die Fähigkeit, Energie zu produzieren und zu nutzen, ist temperatur­optimiert. Allgemein können wir sagen: Je enger das Fenster ist, desto energie­sparsamer ist es, dort zu existieren. Das verstehe ich auch als einen evolutionären Grund, warum polare ebenso wie auch tropische Organismen ein relativ enges Fenster bei niedrigem Energie­umsatz haben. Mit breiterem Temperatur­fenster wird das Leben gewissermaßen teurer. Wenn eine Art ein breites Spektrum an Umgebungs­temperaturen erfährt, zum Beispiel durch jahreszeitliche Schwankungen, dann geht das mit einer Erhöhung des Energie­umsatzes einher, und der Organismus braucht mehr Nahrung und mehr Sauerstoff.

Untersuchen Sie diese Temperatur­toleranz derzeit noch an anderen Organismen?
Pörtner: Wir interessieren uns sehr für die jungen Lebensstadien und den Lebenszyklus von Meeres­organismen. Neben Crustaceen haben wir uns das Zusammenspiel von Temperatur, CO2 und Sauerstoff auch bei den Lebensstadien von Fischen angeschaut und dazu eine Metaanalyse durchgeführt. Die Ergebnisse konnten wir 2020 in Science publizieren (369(6499): 65-70). Das Temperatur­fenster ist besonders eng einerseits bei den jungen Lebensstadien wie den Embryonen, andererseits aber auch bei adulten Tieren, die voller Eimassen oder Spermien sind. Daneben gibt es die jungen adulten, aber noch nicht laichreifen Fische, die das breiteste Temperatur­fenster besitzen. Aus dieser Dynamik heraus kann man die Verschiebung und den Verlust von Laichgebieten verstehen. Dazu haben wir auch für die Fischerei wichtige Arten wie den Kabeljau untersucht.

Ist das Zwei-Grad-Ziel eigentlich noch zu schaffen?
Pörtner: Das Zwei-Grad-Ziel auf jeden Fall. Die Frage sollte eher sein: Ist das 1,5-Grad-Ziel noch realistisch?

Ich dachte, das 1,5-Grad-Ziel sei schon so gut wie vom Tisch.
Pörtner: Also wenn Sie mich fragen, hängt das sehr davon ab, wie ambitioniert wir die Transformation angehen. Ich sehe noch eine gewisse Chance, die 1,5 Grad zu halten. Wir sehen leider, dass die Gesellschaft sich zu langsam umstellt und dass die Politik ihrer Führungs­aufgabe in diesem Bereich nicht gerecht wird. Es ist ja nicht so, dass es wirtschaftlich schwierig oder zu teuer wäre. Nein, es ist finanzierbar, es kostet zwei Prozent des Bruttosozial­produkts – und wir könnten das Klima betreffend in eine nachhaltige Zukunft steuern.
Leider haben wir die Tendenz, uns wegen kurzfristiger Entwicklungen auf Kompromisse einzulassen bei den eigentlich guten Zielsetzungen. Das Klima ist aber zu einer existenziellen Frage geworden. Da ist einiges in Schieflage geraten, unser übermäßiger Konsum und unser Verhalten sind die Ursache. Denken Sie an Fleischkonsum und Massen­tierhaltung, die den Klimawandel mit vorantreiben. So ist die Biomasse des Geflügels bereits dreifach größer als die Biomasse aller wilden Vogelarten zusammen, der Mensch und das liebe Vieh umfassen ein Vielfaches der Biomasse wilder Säugetiere!
Ich wünsche mir, dass die Wissenschaft mit ihren Erkenntnissen ernst genommen wird. Wir sollten als Menschheit nicht glauben, Kompromisse machen zu können bei den grundlegenden Verkehrsregeln unserer Existenz auf der Erde. Diese Verkehrsregeln legt die Natur fest, und wir tun gut daran, sie zu respektieren. Das Zeitfenster zum rechtzeitigen Handeln für eine lebenswerte Zukunft schwindet. Aber noch können wir das hinbekommen.

Das Gespräch führte Mario Rembold

Bild: Alfred-Wegener-Institut/Mario Hoppmann (CC-BY 4.0) & Kerstin Rolfes (Pörtner-Portrait)


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Letzte Änderungen: 08.08.2022