Editorial

Merkwürdiges am Telefon

Manchmal passt ein Laborjournal-Artikel gewissen Leuten nicht in den Kram. Die schreiben dann einen Leserbrief oder beschimpfen die Redakteure am Telefon. Was uns allerdings neulich ein paar Mediziner am Telefon weismachen wollten, fanden wir schlechterdings unglaublich.

(17.12.2007) Im aktuellen Laborjournal 12/2007 finden Sie auf den Seiten 46-47 den Artikel "Umstrittene Früherkennung", verfasst von unserem Freien Mitarbeiter Thorsten Braun. Darin geht es um einen neuartigen Urintest einer Hannoveraner Diagnostik-Firma, der angeblich Prostatakrebs frühzeitig nachweisen kann und laut Aussage des Firmenchefs spezifischer als die bisher übliche Bestimmungsmethode (die Messung des PSA-Werts) sei. Auch die teure und nebenwirkungsreiche Entnahme von Gewebeproben ("Biopsie") könnte man dem Patienten weitgehend ersparen, sagt der Firmenchef.

Pro und Contra des neuen Prostatakrebs-Tests

Allerdings schreibt LJ-Autor Braun auch, dass viele Experten dem neuen Test aus Hannover skeptisch gegenüber stünden, da noch keine überzeugende Studie darüber vorläge. U.a. zitiert Baun im LJ-Artikel einen Urologie-Experten: "Solange [...] noch keine genauen Daten in Fachzeitschriften veröffentlicht [sind] und so der wissenschaftliche Beweis fehlt, ob der Test Prostatakrebs besser voraussagen kann als PSA-Tests, steht das Verfahren für die Patienten in keinem vertretbaren Kosten-Nutzen-Verhältnis." und weiter: "Auf keinen Fall [kann] der Diapat-Test die Entnahme von Gewebeproben zur Diagnosesicherung ersetzen."

Doch Brauns sachliche Sicht der Dinge schien einigen Anhängern der konventionellen Prostatakrebs-Testverfahren nicht weit genug zu gehen. Sie hätten den neuen Test aus Hannover wohl lieber in Bausch und Bogen verdammt gesehen.

Warum wir das vermuten? Ganz einfach: Nach dem Erscheinen des o.g. LJ-Hefts erhielt die LJ-Redaktion mehrere Anrufe von Lesern (meist Medizinern), die sich über den Inhalt des Artikels beschwerten: Dieser sei einseitig, schlecht recherchiert und enthalte schwere Fehler.

Schwere Fehler im LJ-Artikel?

Auf die Frage, welche Fehler das denn wären, wurden die Anrufer einsilbig, flüchteten sich ins Nebulöse und legten den Hörer auf, ohne konkrete Punkte zu benennen. Zwei der Anrufer, beide angeblich Mediziner, bemängelten immerhin, dass der Preis für die Entnahme und anschließende Untersuchung von sechs Gewebeproben aus der Prostata nicht, wie im Artikel behauptet, rund tausend Euro kosten würde.

Beide Anrufer behaupteten: "Eine solche Biopsie kostet etwa zehn Euro - und keine tausend."

Ups - hatte unser Autor Braun da tatsächlich um den Faktor 100 zu hoch gegriffen? Wäre das so, dann wäre ihm allerdings wirklich ein schwerer Fehler unterlaufen. Braun nämlich kam in seinem Artikel zum Fazit: Das neue Testverfahren der o.g. Hannoveraner Firma wäre billiger als die bestehenden - sofern es wirklich funktionierte. Die Krankenkassen könnten also viel Geld sparen, wenn das bestehende Verfahren (PSA-Test plus Biopsien) abgeschafft und durch das neue Verfahren aus Hannover ersetzt würde.

Hätte sich Braun beim von ihm genannten Preis für die Biopsie (ca. 1000 Euro) hingegen geirrt, so wäre die Botschaft seines kompletten Artikels ("interessanter Test, der sich aber noch beweisen muß") hinfällig. Denn ein potenziell noch so aussagekräftiger Test, der hundertmal(!) teurer ist als bestehende Verfahren, wäre nicht konkurrenzfähig und somit überflüssig.

Was kostet eine solche Biopsie wirklich?

Eine Prostatabiopsie ist die Entnahme kleiner, fadendünner Gewebeproben aus der Prostata, die anschließend von einem Histologen auf bösartige Veränderungen hin untersucht werden.

Wieviel kostet nun aber die Entnahme und anschließende Untersuchung von sechs Gewebeproben aus der Prostata wirklich? Kostet so etwas eher zehn (wie die Anrufer behaupteten) - oder doch eher tausend Euro (wie im Laborjournal-Artikel stand)? Ersteres hätte nicht nur die Redaktion verwundert: Zehn Euro für einen medizinischen Eingriff plus anschließender, pathologischer Untersuchung? Kaum zu glauben.

Wir fragten also erneut nach, und zwar bei folgenden vier Institutionen, die es wissen sollten: der Abrechungsstelle der Berliner Großklinik Charite, dem Prostatakrebs-Zentrum "Martini-Klinik" des Hamburg-Eppendorfer Universitätsklinikums, dem Regensburger St. Josefskrankenhaus (Abt. Urologie) sowie dem Regensburger Universitätsklinikum (Abt. Pathologie).

Von zehn Euro kann keine Rede sein

Um es kurz zu machen: LJ-Autor Thosten Braun hatte korrekt recherchiert. Bei der Charite beschied man uns, die o.g. Maßnahme koste tatsächlich "ungefähr 1000 Euro", allerdings sei der genaue Preis von Krankenhaus zu Krankenhaus leicht unterschiedlich. Man müsse bei einem stationären Eingriff zudem noch die Vollnarkose und die Bettenbelegung hinzurechnen. Der Preis läge somit eher über 1000 Euro. Bei der Hamburger Martini-Klinik kostet die Prostata-Biopsie unter örtlicher Betäubung, mit anschließender Untersuchung und Bewertung durch den Pathologen 600 bis 900 Euro (je nachdem, wie viele Gewebeproben entnommen werden und ob noch eine Zweitbewertung durch einen weiteren Pathologen eingeholt wird).

In Regensburg berechnet man Preise ähnlicher Größenordnung. Allerdings scheint die ambulante Prostatakrebs-Vorsorge wesentlich billiger zu sein: Laut Regensburger Uniklinikum und dem kooperierenden St. Josefskrankenhaus kostet die Entnahme und anschließende Untersuchung von sechs Gewebeproben aus der Prostata (ambulant) lediglich zwischen 360 und 420 Euro. Stationär dürfte man allerdings schnell in ähnliche Regionen (rund 1000 Euro) wie in norddeutschen Krankenhäusern vorstoßen.

Eines jedenfalls ist sicher: Mit zehn Euro kann ein Patient in den lokalen Krankenhauskiosk marschieren und sich ein 0,3-Literfläschchen Apfelsaft, ein Päckchen Weihnachtslebkuchen und ein "Magnum"-Eis kaufen. Eine Prostatabiopsie gibt es dafür leider definitiv nicht.

Winfried Köppelle

Nachbemerkung: Warum aber haben mehrere (angebliche) Ärzte in der Redaktion angerufen und versucht, uns diesen Bären mit den spottbilligen 10-Euro-Biopsien aufzubinden und damit das neue Testverfahren schlecht zu reden? Darüber darf gerne spekuliert werden...



Letzte Änderungen: 16.12.2007