Editorial

Neuer Stichtag

Nach langem Hin und Her haben sich die Politiker nun auf einen Kompromiss geeinigt: Das Stammzellgesetz wird nicht gelockert, dafür der Import "frischerer" embryonaler Stammzellen gestattet.

(11.04.2008) Der Bundestag hat sich geeinigt: Ab sofort darf in Deutschland an humanen embryonalen Stammzellen (hES-Zellen) geforscht werden, die bis zum 1. Mai 2007 gewonnen wurden. 346 von 590 Abgeordneten stimmten für die Verschiebung des Stichtages.

Für die Gesetzesänderung lagen noch andere Entwürfe vor: In einem wurde Freiheit für die Stammzellforschung gefordert, in einem anderen ihr striktes Verbot. Außerdem stand die Beibehaltung der alten Regelung zur Debatte, welche jedoch Straffreiheit für Forscher in Deutschland befürwortete, die an ausländischen Stammzellprojekten beteiligt sind.

Das alte Gesetz

Bis auf die Verschiebung des Stichtages bleibt das Stammzellgesetz (StZG) in seiner alten Fassung bestehen (hier nachzulesen). Nach dieser durften Wissenschaftler nur solche hES-Zellen verwenden, die vor dem 1.1.2002 und im Ausland hergestellt wurden.

Mit dem alten Gesetz sahen sich deutsche Stammzellforscher im internationalen Vergleich benachteiligt. Die wenigen verfügbaren Zelllinien wiesen häufig Gendefekte auf und waren fast ausschließlich auf Mäusefibroblasten in Medien kultiviert worden, denen tierisches Serum zugesetzt war – für in vivo-Studien sind sie unbrauchbar. Durch die Verschiebung des Stichtages können nun "frischere" Zellen bezogen werden.

In Großbritannien dagegen ist die Forschung an menschlichen Embryonen bis zum 14. Entwicklungstag und die Verwendung daraus gewonnener ES-Zellen erlaubt. Auch das therapeutische Klonen ist in GB legal. Hierbei werden nach Transfer von Zellkernen in entkernte Eizellen Blastozysten geschaffen, aus denen dann ES-Zellen entnommen werden können. Ebenso ist die Herstellung von sogenannten Chimären in Großbritannien gestattet. Eizelle und Zellkern stammen dabei von unterschiedlichen Arten. Die Zellen der Blastozyste sind mit denen des Zellkernspenders zu 99,9 Prozent genetisch identisch.

Mit den genannten Techniken können hES-Zellen für die Stammzelltherapie gewonnen werden. Reproduktives Klonen, mit dem eine nahezu identische Kopie eines Lebewesens erschaffen wird, ist auch im Vereinigten Königreich verboten.

Welche medizinische Bedeutung die Forschung an ES-Zellen hat, ist umstritten. Bis heute finden hES-Zellen keine klinische Anwendung. Der Grund liegt in ihrer Plastizität: Sie können zu sämtlichen Zelltypen differenzieren – ausgenommen denen der Plazenta, die aus dem Trophoblasten, der äußeren Zellmasse der Blastozyste, entsteht. Obwohl sie dies zu heißen Kandidaten in der möglichen Therapie beispielsweise von Parkinson, Alzheimer und Diabetes macht, disqualifiziert sie ihre Pluripotenz gleichzeitig: Injizierte ES-Zellen wachsen im Versuchstier zu Teratomen aus, zu Tumoren aus Zelltypen aller drei Keimblätter.

Gibt es Alternativen zu ES-Zellen?

Als vielversprechende Alternative zu ES-Zellen wird derzeit die Forschung mit adulten Stammzellen gehandelt. Die Behandlung von Leukämiepatienten mit Knochenmarksstammzellen eines Spenders oder Regeneration von Hautgewebe ist schon seit Jahren Routine. Werden eigene Stammzellen des Patienten verwendet, wie bei Hauttransplantaten, sind immunologische Abstoßungsreaktionen ausgeschlossen.

Der Stammzellforschung Vorschub geleistet haben die Arbeitsgruppen um den japanischen Stammzellforscher Shinya Yamanaka und den amerikanischen Wissenschaftler James Thomson: Ihnen gelang es, durch Einschleusen bestimmter Gene menschliche Fibroblasten mit stammzellähnlichen Eigenschaften auszustatten. Diese sogenannten induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS) ließen sich zu verschiedenen Zelltypen differenzieren, etwa zu Nerven- und Herzzellen. Inwieweit die iPS therapeutisch nutzbar sind, muss noch untersucht werden.



Birgit Hertwig



Letzte Änderungen: 04.08.2008