Editorial

Weitere, anonyme Vorwürfe gegen Haverich

Laborjournal und wahrscheinlich auch andere Redaktionen erhielten gestern ein anonymes Dossier mit weiteren Vorwürfen gegen den Herzspezialisten Axel Haverich.

(04. November 2008) Zum besseren Verständnis des Folgenden: Herzklappen von Spendern oder Tieren werden in vitro von anhaftenden Zellen befreit. Dies kann entweder mit Trypsin ETDA oder durch Waschen mit Deterganz (zum Beispiel Cholat) geschehen. Das zurückbleibende Gerüst kann entweder direkt implantiert werden (nichtbesiedelte Herzklappen) oder man besiedelt es in vitro mit autologen (Endothel)-Zellen und pflanzt es dann ein (besiedelte Herzklappen).

Der Anonymus behauptet, dass die nichtbesiedelte Herzklappe, die Haverich am 9. September 2008 einem deutschen Kind eingepflanzt habe, von Haverichs Firma Corlife hergestellt worden sei. Die Firma sei jedoch erst am 30. September 2008 für die Entwicklung von Medizinprodukten zertifiziert worden. Mit Zellen besiedelte Herzklappen fielen unter das Arzneimittelgesetz und müssten in einer GMP-Anlage hergestellt werden. Corlife verfüge über keine GMP-Anlage. Des weiteren sei seltsam, dass Haverich den moldawischen Kindern besiedelte Herzklappen eingepflanzt habe, dem deutschen aber eine nichtbesiedelte.

Nach Auskunft der Pressestelle der MHH hat jedoch die Firma Corlife keine Herzklappen hergestellt. Alle Herzklappen seien vielmehr im Leibniz-Labor für Biotechnologie und künstliche Organe in Hannover hergestellt worden. Dieses GMP-Labor sei 1997 von Haverich mit dem Geld seines Leibniz-Preises eingerichtet worden. Des weiteren seien in Moldawien nur den ersten beiden Kindern besiedelte Herzklappen eingepflanzt worden. Danach habe man festgestellt, dass nichtbesiedelte Herzklappen mindestens ebensogut arbeiteten. Die nächsten 18 moldawischen Kinder – und eben auch das deutsche – seien daher mit nichtbesiedelten Herzklappen versehen worden. Schließlich würden nichtbesiedelte Herzklappen als Arzneimittel, besiedelte Herzklappen dagegen als Medizinprodukte gelten.

Der Anonymus behauptet, Haverich habe bei mindestens drei moldawischen Kindern besiedelte Herzklappen implantiert und verweist dazu auf einen Artikel von Haverich in Circulation (2006, 114:1132-7) und einen Artikel von Bettina Schöne-Seifert in FAZ.Net. In dem Circulation-Artikel ist jedoch nur von zwei Patienten die Rede, in Übereinstimmung mit den Aussagen der Pressestelle MHH. In dem Artikel von Frau Schöne-Seifert wird nicht unterschieden zwischen besiedelten und nichtbesiedelten Herzklappen, zudem handelt es sich nicht um einen wissenschaftlichen Artikel.

Haverich habe publiziert, dass im Tierversuch besiedelte Klappen den nichtbesiedelten überlegen seien, schreibt der Anonymus. In der Tat hat Haverich in Circulation (2006, 114:1559-65) einen Vergleich der Entwicklung von nichtbesiedelten und besiedelten Herzklappen in Schafen veröffentlicht. Er kommt zu dem Schluss: "In vitro re-endothelialization of detergent-decellularized valves with autologous ECs [endothelial cells] under simulated physiological conditions significantly improves total EC valve coverage 3 months after implantation [...]." Allerdings schreibt Haverich im gleichen Artikel, dass zwischen besiedelten und nichtbesiedelten kein "Kompetenz"-Unterschied sei.

Auch die Behauptung des Anonymus, Haverich habe vor und nach seiner Nominierung unterschiedliche Aussagen über die Natur der bei dem deutschen Kind verwendeten Herzklappe gemacht, entspricht nicht den Tatsachen.

Der Anonymus bemängelt ferner, dass die Zusammensetzung der moldawischen Ethikkommission nicht bekannt sei. Der MHH-Chirurg Serghei Cebotari (mitnominiert für den Zukunftspreis 2008) sei jedoch der Sohn des moldawischen Klinikdirektors Anatol Ciuborto. Zudem habe die von der Jury des Zukunftspreises mit der Begutachtung des ethischen Verhaltens von Haverich beauftragte Ethik-Expertin Bettina Schöne-Seifert von 2001 bis 2003 in Hannover gearbeitet.

In der Tat ist der Vater von Herrn Cebotari der Herzchirurg und Klinikdirektor Anatol Ciubotanu. Auch hat Frau Schöne-Seifert in FAZ-Net am 30. Oktober 2008 einen langen Artikel unter dem Titel "Die segensreichen Herzklappen für Moldawien" veröffentlicht, in dem sie Axel Haverichs moldawische Aktivitäten verteidigt. Frau Schöne-Seifert war auch von 2001-2003 Gastdozentin an der Zentralen Einrichtung für Wissenschaftstheorie und -ethik der Universität Hannover.

Sowohl an der Vater-Sohn-Beziehung als auch am Aufenthalt von Frau Schöne-Seifert in Hannover (nicht in der AG Haverich!) kann ich beim besten Willen nichts Kompromittierendes finden. Insgesamt ist das "Dossier" des Anonymus ein jämmerliches Machwerk, das nur so strotzt von Fehlern und nur eines beweist: Axel Haverich hat Feinde und die arbeiten nicht immer mit sauberen Mitteln.

Dennoch kann ich mich der Meinung von Frau Schöne-Seifert (Zitat aus ihrem obigen Artikel) "Axel Haverich ist nicht nur ein im In-und Ausland hoch dekorierter, unbescholtener Arzt und Wissenschaftler [...]." nicht anschließen. Seine moldawischen Aktivitäten kann man beurteilen wie man will und ob der Charité-Forscher Konertz wirklich in punkto Patente und Forschung Haverich weit voraus ist, steht noch nicht hundertprozentig fest. Doch Haverich ist nicht unbescholten. Haverich hat im Fall Luckow (siehe "Havarie eines Abstaubers", diese Netzseite) gegen die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis verstoßen. Die DFG hätte ihn nie der Jury des Zukunftspreises zur Nominierung vorschlagen dürfen.



Siegfried Bär



Letzte Änderungen: 04.11.2008