Editorial

Inkontinenz am Inn: Von Blinden, Standhaften und Süppchenkochern (2)

Was bisher geschah: Die TILAK verbietet Strasser Inkontinenz-Patienten mit einer wissenschaftlich nicht abgesicherten Methode zu behandeln. Das Verbot wird ignoriert. Die Innsbrucker EK entdeckt eine ihr nicht zur Stellungnahme vorgelegte Phase III Studie.

(16.12.2008) Folge 2 - März bis September 2007:

Nicht akzeptierte Ausreden

Warum wurde die Phase III Studie nicht der EK vorgelegt? Zur Klärung dieser Frage und zur Beurteilung des Pinggera-Antrags setzte die EK zwei Subkommissionen ein. Eine prüfte die medizinischen Aspekte, ihr Leiter war Hartmut Glossmann. Die zweite Subkommission unter der Leitung von Andreas Scheil prüfte die rechtliche Seite. Den Subkommissionen fallen an der Phase III Studie und dem Lancet-Manuskript weitere Ungereimtheiten auf:

- Im Studienregister ist als "Ethics approval" eingetragen "Austrian Ministry of Health. Date of approval 27.8.2002 (ref. GZ 2481159/1-VI/A/4/02)". "Darf das Gesundheitsministerium an Stelle der EK Studien genehmigen?", fragen sich die Experten der EK. Und: "Was bedeutet diese Nummer?".

- In der Autorenliste des Lancet-Papers werden Rainer Marksteiner und Eva Margreiter als Mitarbeiter von Glossmanns Institut für Biochemische Pharmakologie aufgeführt. Marksteiner und Margreiter sind jedoch nur Gäste in Glossmanns Institut gewesen. Sie tauchen auch im offiziellen Personalstand der MUI nicht auf. Marksteiner und Margreiter sind Angestellte der Firma Innovacell, die die injizierten Zellen unter dem Handelsnamen Urocell herstellt.

- Nach den Acknowledgements des Lancet-Papers soll die Studie vom FWF Grant P-12828 gefördert worden sein. Der Grant ging jedoch für ein anderes Thema an Steffen Hering, der kein Autor des Lancet-Papers ist.

Zur zentralen Person in dem sich entwickelnden Drama wird der Oberarzt der Urologie, Entwickler der Zelltherapie und Erstautor des Lancet-Papers Hannes Strasser. Er ist Mitgründer und mit einer Stammeinlage von 84000 EURO Miteigentümer von Innovacell. 1964 in Kufstein geboren, erhielt Strasser im Mai 2007 30000 EURO vom höchstdotierten Wissenschaftspreis in Österreich für die "Erforschung und Entwicklung neuer Methoden bei der Therapie von Harninkontinenz" . Strasser galt als "Top-Experte" und "Spitzenmediziner" und war beliebter Redner bei Veranstaltungen von Gegnern der Verwendung von embryonalen Stammzellen (Strasser arbeitet nicht mit embryonalen Stammzellen, sondern mit autologen Vorläuferzellen). Der Laborjournal Reporter, der Herrn Strasser einige Male am Telefon erlebt hat, bekam den Eindruck eines erregten Menschen - man musste den Hörer immer eine Handbreit vom Ohr abhalten, wollte man keine Hörschäden erleiden - der ähnlich hastig spricht wie der selige Hans Moser. Leider kam Herr Strasser unserer Bitte, einen Lebenslauf zu liefern, nicht nach. Er versicherte jedoch kein Mitglied der FPÖ zu sein, was in späteren Folgen noch von Interesse sein wird.

Die EK sprach Bartsch und Strasser im April 2007 auf die Probleme an. Es habe sie niemand darauf aufmerksam gemacht, dass die EK befasst werden müsse, war die erste Antwort. Ende Mai 2007 erschien Georg Bartsch bei Peter Lukas, dem Vorsitzenden der EK. Bartsch klagte, dass die EK originelle Wissenschaft verzögere. Es werde Anzeige gegen Unbekannt wegen Verleumdung erstattet werden. Es wäre sicherlich unangenehm, wenn bei Mitgliedern der EK der Staatsanwalt auftauchen würde. Die EK habe mit der Studie nicht befasst werden müssen, man habe die Genehmigung für die Durchführung dieser Studie von ganz oben erhalten. Lukas machte von dem Gespräch eine Aktennotiz. Doch die EK informierte er darüber erst Anfang April 2008. (Zu diesem Zeitpunkt hatten die beiden Subkommissionen ihre Tätigkeit beendet: Das Votum zum Pinggera Antrag war am 24. Januar 2008 erstellt worden). Glossmann dazu: "Peter Lukas hat korrekt gehandelt - er wollte, dass die Subkommissionen ohne bias agierten. Man stellt sich natürlich die Frage, was Bartsch seinerzeit über die verschiedenen Versionen des Lancet Papers wusste, denn die erste Version war ja beim Lancet bereits 2005 eingereicht worden. Bemerkenswert ist, dass alles was Bartsch laut dieser Niederschrift sagte, auch eintraf."

Lukas jedenfalls bestand im Mai 2007 auf einer Erklärung. Bartsch und Strasser und der Geschäftsführer der Innovacell, Marksteiner, beriefen sich nun auf den Rechtsanwalt Dietmar Czernich, der in buntem Wechsel mal den einen mal den anderen vertritt. Czernich arbeitet in der gleichen Kanzlei wie Guggenberger und ist Miteigentümer von Innovacell mit einer Stammeinlage von knapp 12 000 ¥. Czernich verfasste ein mit 20. Juni 2006 datiertes Rechtsgutachten, nach dem die Zellen keine "Arzneispezialität" und damit ihre Anwendung "zulassungsfrei" sei. Das Gutachten kommt zum Schluss, dass die Befassung der EK rechtlich nicht erforderlich sei. Ähnlich hatte Czernich schon gegenüber der TILAK argumentiert. Marksteiner legt Czernichs Gutachten 2007 der EK vor.

Die EK wies das Gutachten zurück: Thema sei nicht die Frage der Zulassungspflicht einer "Arzneispezialität", sondern die klinische Prüfung eines Arzneimittels. Und darum handelt es sich bei der Studie mit den Myo- und Fibroblasten zweifelsfrei. Nach österreichischem Arzneimittelgesetz hätte die Studie deshalb nicht vor Vorliegen der Stellungnahme der EK durchgeführt werden dürfen. Eine solche Stellungnahme lag nicht vor und wurde auch nicht beantragt.

In diesem Sinne unterrichtete EK-Vorsitzender Lukas Mitte Juli 2007 - die Phase III Studie war am 30. Juni 2007 in Lancet erschienen - den Generaldirektor für öffentliche Gesundheit vom Bundesministerium für Gesundheit, Hubert Hrabcik, von der Angelegenheit.

Des weiteren schrieb Glossmann, als betroffener Institutsvorstand, am 20. August 2007 einen Brief an Lancet, in dem er dem Chefredakteur mitteilte, dass die Autoren Marksteiner und Margreiter nicht, wie im Artikel behauptet, Mitglieder des Instituts für Biochemische Pharmakologie gewesen seien, sondern Gäste. Ihre Adresse sei die der Firma Innovacell. Desweiteren sei die Angabe in Strasser et al. (Lancet 2007), die Studie sei vom FWF Grant P-12828 gefördert worden, unzutreffend. Der Grant sei an Steffen Hering gegangen (Hering gehörte damals zu Glossmanns Institut für Biochemische Pharmakologie) und für das Thema "Charakterisierung von Ionen Kanälen im menschlichen Rhabdosphincter der Harnröhre" bestimmt gewesen. Endlich machte Glossmann darauf aufmerksam, daß die Genehmigung des Bundesministeriums für Gesundheit gemäß österreichischem Recht nicht für die Durchführung einer prospektiven, interventionellen vergleichenden Studie ausreiche. Glossmann schickte den Brief auch an den Präsidenten des FWF (österreichisches Äquivalent zur DFG) und den Präsidenten der österreichischen Gesellschaft für Urologie Stackl. Ersterer reagierte nicht und gab auf Rückfrage an, ein solches Schreiben nie erhalten zu haben. Letzterer reichte den Brief an Bartsch weiter.

Da Czernich mit seinen Rechtsausführungen nicht überzeugte, unterrichteten Mitte September 2007 Rektor Sorg und der Vorsitzende der EK Lukas den Chefredakteur von Lancet, dass die Studie nicht, wie es das österreichische Gesetz fordere, der EK vorgelegt worden sei. Ende September 2007 teilte Rektor Sorg dem Institutsvorstand Bartsch mit, dass er ernste Zweifel an der Lancet-Studie habe. Vermutlich handele es sich um wissenschaftlichen Betrug.



Hubert Rehm



Letzte Änderungen: 16.12.2008