Editorial

Zwillingsstudien im Array-Zeitalter

Systematische Studien mithilfe von Array-Plattformen zeigen, dass sich eineiige Zwillinge auf genetischer und epigenetischer Ebene unterscheiden können. Was zunächst wie ein Tiefschlag für die Zwillingsforschung aussieht, eröffnet jedoch neue Wege für die Suche nach Krankheitsursachen.

(24. Februar 2009) Jeder, der eineiige (monozygote) Zwillinge kennt, weiß: Sie sind sich sehr ähnlich, stimmen aber nicht zu 100 Prozent überein. Studien von Bruder et al. (Am. J. Hum. Genet. 82: 763-771, 2008) und Kaminsky et al. (Nat. Genet. 41: 240-245, 2009) bestätigen diesen Eindruck. Sie analysierten die Genome von monozygoten Zwillingen mithilfe von Array-Plattformen und fanden dabei genetische und epigenetische Unterschiede. Die Studien legen nahe, dass genetische und epigenetische Faktoren für Merkmalsunterschiede bei monozygoten Zwillingen in größerem Umfang verantwortlich sind als bisher in der Zwillingsforschung angenommen. Der Einfluss von Umweltfaktoren wurde möglicherweise überschätzt.

Die Zwillingsforschung hat sich im letzten Jahrhundert mit allem Erdenklichen beschäftigt: von der Veranlagung zu psychischen Erkrankungen und Krebs über die Partnerwahl bis zu politischen Einstellungen. Zwillingsforscher suchen außerdem nach den Ursachen "komplexer KrankheitenÓ. Diese entstehen nicht durch Veränderungen eines einzelnen Gens, sondern durch eine Kombination von genetischen, epigenetischen und Umweltfaktoren. Immer wurde die Frage gestellt, ob der betreffende Parameter Produkt unserer Gene oder der Umwelt ist und eineiige Zwillinge galten als die ideale Referenz: Traten bei ihnen Varianzen auf, wurden sie der Umwelt zugeschrieben.

Bruder et al. untersuchten die Genome von 19 monozygoten Zwillingspaaren und fanden dabei Unterschiede in der Kopienzahl von DNA-Abschnitten. Diese Entdeckung bricht das Dogma, eineiige Zwillinge seien genetisch identisch, und birgt eine Chance. Ist ein monozygoter Zwilling krank, der andere nicht, ermöglichen es genomweiten Analysen, Bereiche des Genoms einzugrenzen, die für die Erkrankung prädestinieren.

Kaminsky et al. untersuchten die DNA-Methylierung bei monozygoten Zwillingen und fanden Unterschiede in allen analysierten Geweben. Man kann daher bei monozygoten Zwillingspaaren mit unterschiedlich starker Anfälligkeit für eine Krankheit systematisch nach Unterschieden der DNA-Methylierung suchen, um epigenetischen Krankheitsursachen auf die Spur zu kommen.

Die Gründe für genetische und epigenetische Unterschiede zwischen monozygoten Zwillingen sind vielfältig. Sie können sich bereits vor der Geburt ausbilden, wenn Störungen der Entwicklung und Differenzierung oder Infektionen nur einen der Zwillinge betreffen. Nach der Geburt können Ungenauigkeiten DNA-abhängiger zellulärer Prozesse und Umwelteinflüsse zu genetischen und epigenetischen Veränderungen führen. Solche Unterschiede betreffen nur bestimmte Zellpopulationen des Körpers. Bruder et al. berichten auch, dass die Kopienzahl von DNA-Abschnitten in verschiedenen Geweben eines einzelnen Menschen variieren kann.

Das hat Konsequenzen für die Zwillingsforschung: Genomweite Analysen der genetischen und epigenetischen Ursachen von Krankheiten müssen zunächst einmal an den geeigneten Zelltypen durchgeführt werden. Bei psychischen Erkrankungen oder Verhaltensstudien sind das idealerweise Zellen des Gehirns. Solange die Teilnehmer solcher Studien unter den Lebenden weilen, ist ein solches Vorgehen kaum möglich. Und selbst wenn bei monozygoten Zwillingen mit unterschiedlichem Erkrankungsgrad Unterschiede in geeigneten Zelltypen gefunden werden, müssen diese Unterschiede nicht ursächlich am Entstehen der Krankheit beteiligt sein. Der Zusammenhang muss erst einmal bewiesen werden.

Vor Gericht hatten kriminelle monozygote Zwillinge bisher Vorteile. Mithilfe der üblichen DNA-Tests auf der Basis von Restriktionslängenpolymorphismen kann man sie nicht unterscheiden. Dadurch lassen sich DNA-Spuren von einem Tatort nicht eindeutig einem von ihnen zuordnen. Nach den neuesten Fortschritten in der Analyse von Zwillingsgenomen könnte sich das bald ändern - vorausgesetzt sie hinterlassen den richtigen ZellTyp.



Bettina Dupont



Quellen:

Bruder et al. (2008). Phenotypically Concordant and Discordant Monozygotic Twins Display Different DNA Copy-Number-Variation Profiles. American Journal of Human Genetics 82: 763-771.

Kaminsky et al. (2009). DNA methylation profiles in monozygotic and dizygotic twins. Nature Genetics 41: 240-245.

Pressemitteilung der University of Alabama at Birmingham vom 14. Februar 2008

Roche Lexikon Medizin, 5. Auflage

Petronis A (2006). Epigenetics and twins: three variations on the theme. Trends in Genetics 22: 347-350.

Martin N, Boomsma D, Machin G (1997). A twin-pronged attack on complec traits. Nature Genetics 17: 387-392.

Ptak C and Petronis A (2008). Epigenetics and Complex Disease: From Etiology to New Therapeutics. Ann. Rev. Pharmakol. 48: 10.1-10.20.



Letzte Änderungen: 19.04.2009