Editorial

The show must go on!

Erinnern Sie sich noch an den Zelltherapie-Skandal in der Innsbrucker Urologie? Stichworte: Inkontinenztherapie. Ethikkommission. Dokumentenfälschung. Anonyme Briefe. Phase-III-Studie (sie wurde ohne Befassung der Ethikkommission „durchgeführt“, in „The Lancet“ publiziert (Juni 2007) und dann von der Zeitschrift selbst nach einem vernichtenden behördlichen Inspektionsbericht im September 2008 zurückgezogen).

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(9. Februar 2010) Handelnde Personen: Der Oberarzt Hannes Strasser und der Lehrstuhlinhaber Georg Bartsch, beide sind Autoren der in „The Lancet“ publizierten, vermutlich gefälschten Phase III Studie, der undurchsichtige Ministerialbeamte Hubert Hrabcik, der Strasser und Bartsch ein falsches Gefälligkeitsrechtsgutachten ausstellte, der Rektor Clemens Sorg, der vermutlich entlassen wurde, weil er auch gegen Bartsch vorgehen wollte, die Universitätsratsvorsitzende Gabriele Fischer, die an der Entlassung Sorgs beteiligt war, der dritte Nationalratspräsident Martin Graf, der Strasser mit parlamentarischen Anfragen politisch unterstützte, und viele andere mehr.

 

Nach einem jetzt für Zivilprozesse vorgelegten Gerichtsgutachten des Grazer Urologen Peter Petritsch sind von 377 stationär behandelten Patienten nur 21 legal (im Rahmen zweier Phase I Prüfungen) behandelt worden. Eine Heilwirkung der Behandlung (Injektion von Zellen in den Harnröhrenschließmuskel zur Behandlung der Inkontinenz) wurde – sieht man von den zwei Phase I Studien mit 21 Teilnehmern ab – bisher nie in einer legalen Studie nachgewiesen. Im Gegenteil kam es in manchen Fällen zu Harnröhrenverschlüssen. Ein Patient hat bereits gegen den Krankenhausträger, die TILAK, geklagt und gewonnen, Klagen von 8 Patienten stehen an.

 

Im Verlauf des bald ins vierte Jahr gehenden Skandals kam es zu Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft, Dienstaufsichtsbeschwerden, Mordverdächtigungen und polizeilichen Ermittlungen. Charakteristisch und auf ein pathologisches Moment hinweisend sind die immer wieder auftauchenden anonymen Briefe, die meist Mitglieder der Ethikkommission belasteten, sich aber immer als haltlos herausstellen.

 

Seit Herbst 2008 arbeitete eine Staatsanwältin an dem Fall. Sie ermittelte gegen Hannes Strasser wegen Verleumdung, falscher Zeugenaussagen vor Gericht und Urkunden- und Beweismittelfälschungen. Strasser und Bartsch stehen auch im Verdacht, zwischen August 2003 bis Ende 2006 den bei der TILAK für die Budgetverhandlungen verantwortlichen Bereichsverwalter und das für finanzielle Agenden zuständige Vorstandsmitglied getäuscht und so zur Übernahme der Kosten für die Zellzüchtungen durch die TILAK verleitet und dadurch der TILAK einen Schaden von 1.209.022,-- Euro zugefügt zu haben. Das wäre schwerer, gewerbsmäßiger Betrug. Strasser wird zudem Betrug zu Lasten der 8 klagenden Privatpatienten angelastet.

 

Strasser und Bartsch bestreiten alle Vorwürfe.


Ende Dezember 2009 lieferte die Kripo der Staatsanwaltschaft ihren Abschlussbericht. Die Staatsanwältin machte sich daran, die Anklageschrift zu verfassen.

Im Januar 2010 ging jedoch bei der Oberstaatsanwaltschaft Innsbruck ein anonymes Dossier ein, das eine „Nähe“ zwischen Staatsanwältin und dem ärztlichen Direktor der TILAK belegen soll. Grundlage dieses Dossiers sollen Sitzungsprotokolle der Arbeitsgruppe behördlicher Kinderschutz sein. Sie erarbeitete im Jahr 2008 Vorschläge, wie Tiroler Jugendschutzeinrichtungen Misshandlungen von Kleinkindern besser verhindern können.

 

In der Tat nahmen an diesen Sitzungen, neben vielen anderen Personen, sowohl die Staatsanwältin, die sich beruflich mit Gewaltstraftaten gegen Kinder befasst, als auch der ärztliche Direktor der TILAK teil (beide in amtlichem Auftrag). Letztere war von dem Fall, der zur Einsetzung der Arbeitsgruppe geführt hatte, tangiert. Die Protokolle der Arbeitsgruppe hat der Anonymus vermutlich im Internet gefunden. Sie haben in ihm wohl den Verdacht erzeugt, die Staatsanwältin und der ärztliche Direktor hätten sich gegen ihn verschworen: Weil sie ja in der gleichen Arbeitsgruppe sitzen. In der richtigen Erkenntnis, dass dies allein auf andere nicht überzeugend wirke, hat der Anonymus sein Dossier wohl mit gefälschten Schriftstücken angereichert, die belegen sollen, dass die Staatsanwältin und der ärztliche Direktor Informationen über den Fall Strasser/Bartsch ausgetauscht oder sich abgesprochen haben.

 

Der ärztliche Direktor streitet jedenfalls jeden persönlichen Kontakt mit der Staatsanwältin in dieser Sache ab. Der Schriftverkehr mit der Staatsanwältin habe ausschließlich über die Rechtsabteilung stattgefunden (nach Tiroler Tageszeitung). Nichtsdestotrotz gab die Oberstaatsanwaltschaft Innsbruck den Fall an die Korruptionsstaatsanwaltschaft in Wien ab. Die ermittelt nun gegen die Staatsanwältin wegen Amtsmissbrauchs.

 

Es handelt es sich bei dem Dossier also wohl, wie bei allen bisherigen anonymen Briefen auch, um eine Mischung aus echten und gefälschten Dokumenten. Vermutlich gehen sie auch alle von derselben Person aus, die jeder kennt, die aber keiner öffentlich zu nennen wagt. Ob es dieser Person außer einem Zeitaufschub etwas bringt? Oberstaatsanwalt Spitzer sagte zur Tiroler Tageszeitung: „Wenn jemand meint, dass er durch eine Diskreditierung in Innsbruck einem Strafverfahren entgeht, täuscht er sich.“

 

Hubert Rehm



Letzte Änderungen: 04.03.2013