Editorial

Der Fehlerbalken im Auge des Forschers

"Der Charité-Skandal" (Folgen 1-4 und 5, Update vom 24. Februar 2010) -- Es gehen Gerüchte, Forscher an der Charité hätten eine Unzahl von gefälschten Papern veröffentlicht. Höchste Stellen seien verwickelt, der Filz reiche bis nach Hamburg. Selbst Ulrike Beisiegel, Sprecherin des Ombudsman der DFG, Kandidatin für das Präsidentenamt der Göttinger Universität, Ikone der deutschen Wissenschaftsethik, wurde angegriffen.

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Da biegt sich der (Fehler-)Balken

Folge 5: Nachforschungen des LJ-Reporters.

 

Es gibt also zwei sich widersprechende Aussagen der Kontrahenten, erstens zum Schreiben des Ms1 und zweitens zum Schneiden der Hirne und Hoden. Wer hat geschrieben? Wer hat geschnitten? Kühbacher oder Savaskan?

 

Das Schreiben konnte der Laborjournal-Reporter nicht überprüfen bzw. kam zu keinen eindeutigen Schlüssen, aber beim Schneiden bohrte er nach.

 

Der zuständige Strahlenschutzbeauftragte Olaf Ninnemann sagte dazu: Er habe Kühbacher und Savaskan damals erlaubt, die Organe an einem Kryostaten zu schneiden, der vor dem Isotopenlabor der Anatomie und Biophysik gestanden sei. Dies deswegen, weil die Radioaktivitätsmenge (ca. 15 µCi) unter der damals geltenden Freigrenze gelegen sei. Er habe die Auflage gemacht, daß Kühbacher den Kryostaten putze und den radioaktiven Müll am HMI entsorge - was der auch getan habe. Im Isotopenlabor habe er, Ninnemann, das 75Se nicht haben wollen, da die Charite keine Umgangsgenehmigung für 75Se gehabt habe. Er habe das den beiden nur an einem einzigen Termin im Dezember 2001 erlaubt. Das sei ein Wochenende gewesen (der 20.12.01 und der 14.2.02, an denen Savaskan geschnitten haben will, waren Donnerstage). Kühbacher habe die radioaktiven Organe antransportiert und auch schneiden wollen. Ob er das wirklich gemacht habe und ob Savaskan auch geschnitten habe oder nicht, könne er, Ninnemann, nicht sagen, da er die beiden an dem Wochenende allein gelassen habe.

 

Rücksprache bei Savaskan ergab folgendes: Ja, es sei in der Tat vor dem Isotopenlabor geschnitten worden, nach seinem Laborbucheintrag am 20.12.01 und am 14.1.02. Er habe seine Laborantin, Frau Winkler, dabei gehabt. Kühbacher habe ihm die Organe gegeben und sei dann gegangen. Er habe mit Frau Winkler geschnitten und den Rest des Gewebes Kühbacher wieder zukommen lassen. Die Abfälle habe er im Abklingraum entsorgt und den Kryostaten dekontaminiert. Kühbacher habe später von Ninnemann die Erlaubnis für weitere Schneidesitzungen bekommen.

 

Olaf Ninnemann dazu: „Das kann nicht sein. Ich habe das Schneiden von 75Se-Organen nur einmal genehmigt und das an einem Wochenende. Von der Frau Winkler weiß ich nichts. Und Kühbacher hat auch keine Erlaubnis mehr erhalten.“

 

Dies deckt sich mit den Aussagen von Kühbacher. Der versichert, am Wochenende 21./22.12.01 geschnitten zu haben und nur an diesem Termin. Das könne er anhand von Transportpapieren und Fahrtenbuch nachweisen. Auch könne er sich noch gut daran erinnern am Samstagmittag, dem 22.12.01, mit Savaskan ins Asia Imbiß am Bahnhof Friedrichstraße, Berlin gegangen zu sein. Die Winkler sei beim Schneiden nicht dabei gewesen. Kühbacher versichert zudem, er habe Erfahrung im Schneiden gehabt, er habe vorher am gleichen Kryostaten Alzheimer Präparate geschnitten. Savaskan habe ihn auch nur hereingelassen, sich dann an seinen Schreibtisch gesetzt und geschrieben und sei auch mal weggegangen. Er, Kühbacher, habe ein Se- und ein Se+ Hirn und einen Hoden mit Nebenhoden von Se- Tier verarbeitet [einen Se+ Hoden gab es nie, das ist unstrittig, HR]. Er könne dafür eine Zeugin benennen.

 

Die Objektträger sollen nach Savaskan bei den jeweiligen Kommissionen der DFG und Charite liegen. Die Handschrift darauf müßte zeigen, wer hier die Unwahrheit sagt.

 

Kühbacher gibt nicht auf


Zurück zum Juli 2008. Kühbacher beantwortete die Email Savaskans noch am gleichen Tag (6.7.08), indem er an Savaskan, die Coautoren und andere die Figuren der 4. Version des Ms1 und „die durch Herrn Dr. Savaskan veränderte Fassung dieses Manuskriptes“, also die 5. Version von Ms1, schickte. Im Begleitschreiben bestand er auf seinen vorherigen Behauptungen, wiederholte (das scheint allerdings der Gegenseite nicht aufgegangen zu sein), daß das time lapse video und die Fälschung der Fallzahlen von 1 auf 3 sich auf Ms1 bezögen.

 

Des weiteren machte Kühbacher auf eine seiner Ansicht nach weitere Fälschung von Fallzahlen aufmerksam, die diesmal im Ms2 enthalten sei: „In der von Herrn Dr. Savaskan eingereichten Fassung sind acht Wistar Ratten (n=8) benannt, obwohl die von mir präparierten und am Mikrotom geschnittenen Organe lediglich von jeweils einer selendefizienten bzw. selenadäquat ernährten Ratte aus der Zucht des Hahn-Meitner-Institutes stammen (n=2).

 

In der Tat steht in Material & Methoden von Ms2: „The animal experiments were carried out in accordance with the German and European legislation on animal protection. A total number of 8 adult male Wistar rats (Charles Rives Sulzfeld, Germany) were used and were maintained under local regulations as described (Savaskan et al. 2003). Selenium-deficient diet containing a maximum of 2-5 µg Se/kg, and selenium adequate controls received a selenium-adequate diet according to RDA in humans, which consisted of the same basal diet with 300 µg Se/kg added as sodium selenite (MP Biomedicals, formerly ICN Biomedicals, Cleveland Ohio, USA). Analysis of selenium concentration in the diets was performed as formerly described (Behne et al. 1994). The animals were labeled in vivo by intraperitoneal injection of 0,5 ml of 75Se-selenite solution containing 1 µg selenium.

 

 

von Hubert Rehm

 

Als PDFs zum Download:

 

MS1 v4

MS1 v5

Ms2

Dalla Pu


Was bisher geschah:

Folge 1: Die Kontrahenten

 

Folge 2: Der Krach

 

Folge 3: Die Affäre eskaliert

 

Folge 4: Savaskan weist die Vorwürfe zurück

 

Folge 5: Nachforschungen des LJ-Reporters

 

Folge 6: Vermittlungsversuche

 

Folge 7: Der DFG-Ombudsman wird angerufen

 

Folge 8: Der Ombudsman fordert Unterlagen an

 

Folge 9: Der DFG-Ombudsman gibt an den DFG Ausschuß für Fehlverhalten ab

 

Folge 10: Kühbachers Generaluntersuchung

 

Folge 11: Frau Beisiegels Stellungnahme

 

Folge 12: Noch ein fehlerhaftes Paper: Das Nogo Paper

 

Folge 13: Juristische Nullnummer

 

Folge 14: Ein neuer Ermittler schaltet sich ein

 

Folge 15: Hugo Habicht widerspricht Adebar Storch!

 

Folge 16: Seltsame Endziffern

 

Folge 17: Zusammenfassung und Kommentar

 

Folge 18: Ergänzungen und Bemerkungen

 



Letzte Änderungen: 09.08.2010