Editorial

Der Fehlerbalken im Auge des Forschers

"Der Charité-Skandal" (Folgen 1-9 und 10, Update vom 3. März 2010) -- Es gehen Gerüchte, Forscher an der Charité hätten eine Unzahl von gefälschten Papern veröffentlicht. Höchste Stellen seien verwickelt, der Filz reiche bis nach Hamburg. Selbst Ulrike Beisiegel, Sprecherin des Ombudsman der DFG, Kandidatin für das Präsidentenamt der Göttinger Universität, Ikone der deutschen Wissenschaftsethik, wurde angegriffen.

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Da biegt sich der (Fehler-)Balken

Folge 10: Kühbachers Generaluntersuchung

 

Zur Jahreswende 2008/2009 hatte Kühbacher etliche gemeinsame Arbeiten von Savaskan und Robert Nitsch gesichtet. Dabei hatte sich Kühbacher auf die Standardabweichungen (SD) bzw. Standard Error of the Mean (SEM), also die Fehlerbalken, konzentriert. Kühbacher hatte nämlich über Weihnachten 2008 die Figur 2C in Savaskans Ms2 noch mal studiert und bemerkt, daß eine SD fehlte und die SD 2 und 3 (zu entorhinal cortex und CA1) identisch schienen. Das war ihm seltsam vorgekommen.

 

Er hatte auch in den gemeinsamen Publikationen von Savaskan und Nitsch einige Auffälligkeiten gefunden und diese im Januar 2009 Frau Beisiegel vorgelegt. Frau Beisiegel habe ihm daraufhin geraten, sagt Kühbacher, die Sachverhalte mit den jeweiligen Editoren der Journals zu erörtern. Man sollte sich bei der Abgabe an den DFG Unterausschuß auf einen Fall beschränken.

 

Dieser Vorschlag stieß bei Kühbacher nicht auf Sympathie. Sein Verhältnis zu Frau Beisiegel erodierte vollends durch folgende Vorgänge:

 

Kühbacher war wegen des Schreibens des Ombudsman vom 28.10.08 in dem Glauben, dieser habe von Savaskan die Objektträger angefordert. Dies um so mehr als Kühbacher erfuhr, daß Savaskan inzwischen die Objektträger von der Charite angefordert hatte. Kühbacher fragte mehrmals beim Ombudsman an, ob die Objektträger aus Zürich eingetroffen seien. Telefonisch will Kühbacher die Leiterin der Ombudsman Geschäftsstelle, Frau Nolte, Ende Dezember 08 oder Anfang Januar 09 gefragt haben: „Sind die Objektträger bei ihnen eingetroffen und sind die inzwischen gezählt worden?“ Als Antwort sei gekommen: „Die sind bei Frau Beisiegel in guten Händen.“

 

Frau Nolte dagegen will Kühbacher nur versichert haben, daß alles was der Ombudsman von Savaskan angefordert hätte, er auch erhalten habe und beim Ombudsman in guten Händen sei.

Was da wirklich abgelaufen ist, ob Kühbacher die Aussage von Frau Nolte falsch verstand oder falsch auslegte oder sich Frau Nolte versprochen hat, konnte der Laborjournal-Reporter nicht aufklären. Tatsache ist jedoch: Der Ombudsman hatte zwar zuerst die Träger angefordert, nach einem Telefongespräch mit Savaskan aber davon Abstand genommen und nur Röntgenfilme und Fotografien angefordert. Daher hatte Savaskan auch nur die geschickt.

 

Im März 09 teilte Frau Beisiegel Kühbacher schließlich mit, sie habe von Savaskan keine Objektträger erhalten. Frau Beisiegel sagte noch, die Objektträger seien ja radioaktiv und dürften mit der Post nicht verschickt werden. Dies leuchtete Kühbacher nicht ein, da ja die Radioaktivität Ende 2008 schon abgeklungen war. Auch Savaskan hatte Frau Beisiegel in einem Brief vom 23.12.08 darauf aufmerksam gemacht, daß die Schnitte abgeklungen seien.

 

Dies alles - das Gespräch mit Frau Nolte, die widersprüchlichen Schreiben des Ombudsman, die Tatsache, daß Savaskan die Objektträger bei der Charite angefordert hatte, die Aussagen Frau Beisiegels zur Radioaktivität der Schnitte - weckten Kühbachers Mißtrauen: „Bei 120 Tagen Halbwertszeit sind die Objektträger nach sechs Jahren doch nicht mehr radioaktiv! Was ist da faul?“

 

Kühbacher interessierte sich nun für die Arbeiten von Ulrike Beisiegel.

 

Auch in Artikeln von Frau Beisiegel bzw. ihrem Umfeld will Kühbacher auffällige Abbildungen gefunden haben. Da der Laborjournal-Reporter sich weder in der Lage sah noch Lust hatte, Dutzende von Publikationen zu prüfen, bat er Herrn Kühbacher, ihm nur die krassesten Fälle vorzulegen.

 

Auffälligkeiten in Publikationen von Ulrike Beisiegel bzw. ihrem Umfeld

 

Hier legte Herr Kühbacher fünf Publikationen vor.  

1. In der Abbildung 4.15 auf Seite 61 der Dissertation von Sinje Sperber (Betreuerin: Ulrike Beisiegel) seien die beiden SD des dritten Blockpaars identisch. Zudem ergäben die Rohdaten im Annex der Dissertation andere Mittelwerte. PDF

2. In der Publikation "Increased lipoprotein oxidation in alzheimers disease" (Free Radical Biology & Medicine 28, 351-360) tauchten in den Figuren 3a und 4 negative Werte auf. Dies könne nicht sein. PDF

3. In Figur 1 der Publikation "Recycling of apolipoprotein E and lipoprotein lipase through endosomal compartments in vivo" (J. Biol. Chem. 276, 42333-42338). seien die SD der Blockpaare jeweils identisch. Bei einem Blockpaar (5. und 6.) sehe man, daß die Fehlerbalken denselben Artefakt aufweisen. Dies sei ein Hinweis darauf, daß diese durch copy und paste verdoppelt worden seien. PDF

4. In der Publikation "Recycling of apoprotein E is associated with cholesterol efflux and high density lipoprotein internalization" (J. Biol. Chem. 278, 14370-14378) träten in Figur 5 identische SD auf (bei Block 2 und Block 4) PDF

5. In der Publikation "Impaired recycling of apolipoprotein E4 is associated with intracellular cholesterol accumulation" (J. Biol. Chem. 279, 55483- 55492) träten in der Figur 2c, d und e identische SD auf, des weitern bei Fig. 7c. Bei Figur 2c beispielsweise sei die SD des dritten Blocks identisch mit der SD des sechsten Blocks. Bei Figur 2d seien die SD des zweiten und dritten Blocks identisch, des weiteren die SD des vierten und fünften Blocks.

Kühbacher hält die häufige Übereinstimmung der SD für statistisch auffällig (was zutrifft, wenn sie wirklich identisch wären). PDF

 

Bevor der Laborjournal-Reporter sich an Frau Beisiegel wandte, prüfte er die Auffälligkeiten. Er stellte fest: Bei den Figuren 3A und 4 der Publikation Free Radical Biology & Medicine 28, 351-360 (Punkt 2), wurde die Absorption bei 234 nm gemessen. Die Autoren wollen damit die Lipidperoxide erfassen. Eine mit der Zeit abnehmende Absorption bei 234 nm, d.h. die von Kühbacher inkriminierten negativen Werte, bedeutet also, daß Lipidperoxide verschwinden. Nach Überlegung kam der Laborjournal-Reporter zu dem Schluß, daß dies möglich sei: Lipidperoxide können mit Proteinen reagieren oder zerfallen, als Folge nimmt die Absorption bei 234 nm der Lösung ab.

 

Zu den Punkten 3,4 und 5 druckte der Laborjournal-Reporter die Figuren vergrößert aus und maß die SD mit dem Lineal nach. Im Rahmen dieser Genauigkeit schienen die SD in der Tat identisch zu sein. War Kühbachers Mißtrauen berechtigt?

 

 

von Hubert Rehm

 

Als PDFs zum Download:

 

MS1 v4

MS1 v5

Ms2

Dalla Pu


Was bisher geschah:

Folge 1: Die Kontrahenten

 

Folge 2: Der Krach

 

Folge 3: Die Affäre eskaliert

 

Folge 4: Savaskan weist die Vorwürfe zurück

 

Folge 5: Nachforschungen des LJ-Reporters

 

Folge 6: Vermittlungsversuche

 

Folge 7: Der DFG-Ombudsman wird angerufen

 

Folge 8: Der Ombudsman fordert Unterlagen an

 

Folge 9: Der DFG-Ombudsman gibt an den DFG Ausschuß für Fehlverhalten ab

 

Folge 10: Kühbachers Generaluntersuchung

 

Folge 11: Frau Beisiegels Stellungnahme

 

Folge 12: Noch ein fehlerhaftes Paper: Das Nogo Paper

 

Folge 13: Juristische Nullnummer

 

Folge 14: Ein neuer Ermittler schaltet sich ein

 

Folge 15: Hugo Habicht widerspricht Adebar Storch!

 

Folge 16: Seltsame Endziffern

 

Folge 17: Zusammenfassung und Kommentar

 

Folge 18: Ergänzungen und Bemerkungen

 



Letzte Änderungen: 09.08.2010