Editorial

Viel Geld ohne Antrag - Die Leibniz-Preise 2011

Die DFG kürte am 2. Dezember die Leibniz-Preisträger des Jahres 2011. Vier der zehn Preise gehen in die Lebenswissenschaften. Die Ausgezeichneten sind die Pflanzengenetikerin Ulla Bonas, der Neurowissenschaftler Christian Büchel, der Zellbiologe Anthony Hyman und der Röntgenforscher Franz Pfeiffer. Sie bekommen jeweils 2,5 Millionen Euro zur freien Verfügung für ihre weitere Forschung.



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Ulla Bonas (l.o.), Christian Büchel (r.o.), Anthony Hyman (l.u.), Franz Pfeiffer (r.u.)

(8. Dezember 2010) Normalo-Wissenschaftler können nur vor Neid erblassen. Die Preisträger dürfen das Preisgeld bis zu sieben Jahre lang nach ihren eigenen Vorstellungen und ohne bürokratischen Aufwand ausgeben. Am Ende der Förderung müssen sie lediglich in einem ausführlichen Bericht die Verwendung der Gelder erklären.

Zehn aus 152

Die Konkurrenz um den Preis ist groß, was bei der Höhe des Preisgeldes und der kaum vorhandenen Bürokratie nicht verwundert. Dieses Mal lagen dem Nominierungsausschuss der DFG in seiner ersten Sitzung 152 Vorschläge vor, in der engeren Auswahl waren es noch 31. Gut ein Drittel der Vorgeschlagenen in beiden Runden waren Forscherinnen. Am Ende wählte der Ausschuss insgesamt zehn Preisträger und Preisträgerinnen für ihre wissenschaftlichen Leistungen aus. Wir stellen die vier Glücklichen aus den Lebenswissenschaften kurz vor:

Ulla Bonas von der Universität Halle-Wittenberg bekam den Leibniz-Preis für ihre Arbeiten zur  Interaktion von Pflanzen und Bakterien. Die 54-jährige Genetikprofessorin untersucht Faktoren, die für die Virulenz pflanzenpathogener, Gram-negativer Bakterien verantwortlich sind. Als Modellsystem benutzt sie vorwiegend das Bakterium Xanthomonas campestris pv. vesicatoria, das bei Paprika und Tomaten die Fleckenkrankheit auslöst; dabei spielt das bakterielle Effektorprotein AvrBs3 eine Rolle. Bonas hat  in den 1980ern als Postdoc an der Universität von Kalifornien in Berkeley das entsprechende Gen kloniert und das AvrBs3-Protein seither funktionell charakterisiert. Mit ihren Mitarbeitern zeigte sie, dass AvrBs3 in die Pflanzenzellen via Typ III-Sekretionssystem injiziert wird, in den Kern gelangt und dort eukaryotische Transkriptionsaktivatoren nachahmt. Auf diese Wiese beeinflusst es die Genexpression der befallenen Pflanze. In empfänglichen Pflanzen verursacht es Zellvergrößerungen im Mesophyllgewebe, indem es die Transkription eines Zellgrößenregulator-Gens aktiviert. In resistenten Pflanzen bindet AvrBs3 an den Promotor eines Suizidgens und aktiviert dieses. Dadurch kommt es zum Absterben der infizierten Zellen –  eine weitere Vermehrung der Bakterien findet nicht statt. Bonas und Kollegen charakterisierten auch ein neues DNA-Bindemotiv in Transkriptionsaktivatoren der AvrBs3-Familie aus Xanthomonas.

Der 44-jährige Christian Büchel vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf erhielt den Leibniz-Preis für seine Untersuchungen zu den Eigenschaften des Zentralnervensystems bei Angst, Schmerz und Lernen und beim Gedächtnis. Büchel ist Inhaber des Lehrstuhls für Systemische Neurowissenschaften. Um das Zusammenspiel von aktiven Hirnarealen bis in den Millimeterbereich zu analysieren, benutzt er funktionelle Magnetresonanztomographie. Seine neurobiologischen Untersuchungen sind weit gestreut: Der Forscher zeigte als Erster, dass die Amygdala (der Mandelkern) im limbischen System bei der Furchtkonditionierung auch beim Menschen eine zentrale Rolle spielt. Er erforschte die neuroanatomischen Grundlagen des Stotterns und warum uns Multitasking schwer fällt. Büchel analysierte auch, wie kognitive Faktoren den Schmerz verändern, und beobachtete, dass neuronale Aktivitäten im Rückenmark durch kognitive Faktoren beeinflussbar sind.

Der 48-jährige Leibniz-Preisträger Anthony Hyman ist Direktor am Max-Planck-Institut für Molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden. Seine Forscherkarriere begann er indes als Technischer Assistent. Hyman untersucht die Rolle von Mikrotubuli bei der Zellteilung. Seine Arbeiten an der Nahtstelle zwischen Zellbiologie und Embryologie hat er vorwiegend im Nematoden C. elegans durchgeführt. Hierzu entwickelte er neue physikalische und genomische Methoden, zum Beispiel in der Laser-Mikrochirurgie. Indem er Mikrotubuli mit einem Laserstrahl zerschnitt, konnte er als Doktorand den Mechanismus der Spindelrotation bei der ungleichen Zellteilung im frühen Nematodenembryo aufklären. Zu Postdoc-Zeiten entwickelte er Echtzeit-Mikroskopie-Assays, um die Interaktion von Mikrotubuli und Chromosomen im Zuge der Chromosomensegregation zu untersuchen. Später, als Gruppenleiter am EMBL in Heidelberg, untersuchte Hyman unter anderem die Bildung der meiotischen Spindel. Hier begann er auch, die Laser-Mikrochirurgiestudien im C. elegans-Embryo aus seiner Doktorarbeit weiterzuentwickeln. Am Max-Planck-Institut in Dresden identifizierte die Hyman-Gruppe schließlich zusammen mit einer eigens dafür gegründeten Firma, unter Einsatz von genomweitem RNAi-Screening und Videomikroskopie, hunderte von Genen, die bei der Zellteilung im Nematodenembryo eine wesentliche Rolle spielen. Die Daten stellten sie der Scientific Community über das Internet zur Verfügung.

Franz Pfeiffer, 38-jähriger Physiker und Inhaber des Lehrstuhls für Biomedizinische Physik an der Technischen Universität München, erhielt den Leibniz-Preis für seine Arbeiten zur Verbesserung der Gewebedarstellung beim Röntgen. Zusammen mit seinem ehemaligen Kollegen Christian David entwickelte er eine Methode zur Phasenkontrast-Röntenbildgebung mit herkömmlichen Röntgengeräten. Zuvor war dies nur mit Synchroton-Röntgenquellen von Großforschungsanlagen möglich. Die ersten Versuche hierzu machten die beiden Forscher vor einigen Jahren am Paul-Scherrer-Institut im schweizerischen Villigen während ihrer Freizeit. Im Vergleich zum konventionellen Röntgen interessiert bei der Phasenkontrastbildgebung weniger die Intensität der austretenden Röntgenstrahlung, als vielmehr die Phasenverschiebung im Körperinnern, aus der sich zusätzliche Information gewinnen lässt. Auch Weichteile mit unterschiedlicher Zusammensetzung zeichnen sich deutlich ab. Indem er das neue Verfahren mit Computertomografie kombinierte, erreichte Pfeiffer besonders klare und kontrastreiche dreidimensionale Darstellungen. Die Auswertung der Phasenkontrast-Informationen soll die Früherkennung von Tumoren verbessern und kommt ohne Kontrastmittel aus. Zudem machte Pfeiffer die Dunkelfeldbildgebung für Labor-Röntgenquellen nutzbar. Dabei fängt man nur die schwache, von den Strukturen eines Objekts gestreute Röntgenstrahlung auf. Mit Hilfe solcher Dunkelfeldbilder lässt sich etwa Osteoporose früh erkennen, oder aber auch – ganz anders – Sprengstoff im Handgepäck aufspüren.

Mehr Freiheit, etwas auszuprobieren


Da die Preisverleihung erst am 16. März 2011 in Berlin stattfindet, fühlt sich der Preis wohl noch recht irreal an. Ansonsten rangierte die Gefühlslage der von Laborjournal befragten Preisträger von bisher noch nicht euphorisiert über herausgefordert bis fantastisch. Preisträger Christian Büchel denkt über die Anschaffung eines Gerätes und Investitionen in eine Graduiertenschule nach. Röntgenforscher Franz Pfeiffer möchte das Preisgeld möglichst verantwortungsvoll und forschungseffizient einsetzen. Ulla Bonas beabsichtigt, weitere Forschungsprojekte anzuschieben und neue Mitarbeiter einzustellen. Der Leibnizpreis gäbe ihr nun die Freiheit, in der Forschung etwas Neues auszuprobieren.

Allgemeines zum Leibniz-Preis


Den Leibniz-Preis gibt es seit 1986 für Wissenschaftler an deutschen Forschungseinrichtungen im In- und Ausland. Bisher wurde er insgesamt 290 Mal verliehen, davon 83 mal an die Lebenswissenschaften. In der Regel sind die Leibniz-Preisträger bei ihrer Ernennung bereits Professor und im Durchschnitt 44 Jahre alt. Bei den 26 bisherigen Preisverleihungen waren die Gekürten zwischen Ende zwanzig und Ende fünfzig. Frauen sind mit 10 Prozent unter den Preisträgern bisher spärlich vertreten. DFG-Präsident Kleiner sagte hierzu, herausragende Forscherinnen würden bei der Nominierung durch Vorschlagberechtigte „noch immer eher übersehen als ihre männlichen Kollegen“ und betonte sein Anliegen beim Leibniz-Preis eine „angemessene Beteiligung von Spitzenforscherinnen“ zu erreichen. Unter den zehn Preisträgern des Jahres 2011 sind immerhin vier Wissenschaftlerinnen.


Bettina Dupont



Bildquellen: Ulla Bonas (Maike Glöckner, Pressestelle der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg), Christian Büchel (Unternehmenskommunikation des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf), Anthony Hyman (Information Office des Max-Planck-Instituts für Molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden), Franz Pfeiffer (Copyright Thorsten Naeser)



Letzte Änderungen: 04.03.2013