Editorial

Labortester

Pilotprojekt: Das freiwillige wissenschaftliche Jahr (FWJ) für forschungsbegeisterte Abiturienten.

editorial_bild

(10. Juni 2011) Ab September läuft in Hannoveraner biomedizinischen Instituten eine neue Spezies auf zwei Beinen durch die Laborflure: neben Studis, Hiwis, TAs und PostDocs gibt es dann auch FWJler. FWJ steht für Freiwilliges Wissenschaftliches Jahr, eine Art Freiwilligendienst wie es ihn schon seit vielen Jahren vor allem mit sozialem oder ökologischem Schwerpunkt gibt (FSJ und FÖJ). Im FWJ können Niedersachsener Abiturienten des Jahrgangs 2011 unter realen Forschungsbedingungen testen, ob die echte Wissenschaft, von der sie während der trockenen Bio- oder Chemiestunden träumten, tatsächlich etwas für sie ist: pippettieren, zentrifugieren, Knallgasprobe machen.

Doch wer braucht Abiturienten, die womöglich auch mal Chaos im Labor anrichten? „Alle Einrichtungen, die wir angesprochen haben, waren sofort mit dabei“, versichert Christopher Baum, Forschungsdekan der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und Initiator des FWJ. Neben der MHH wollen auch die Uni Hannover, die Tierärztliche Hochschule Hannover (TiHo), das Fraunhofer-Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin (ITEM) und das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig (HZI) FWJler nehmen.

In welchen Projekten, die Jungforscher mitarbeiten sollen, steht noch nicht ganz fest. Um die 40 Stellen sind in Planung. Mit dabei: Forschung zur Stammzell-Therapie bei Lebererkrankungen, zu Tuberkulose und Malaria-Impfstoffen oder zur bioartifiziellen Lunge, Projekte in der Immunologie, dem Tissue-Engeneering oder in der Mikroskopie. Ausuferndes Chaos oder Sicherheitsprobleme fürchtet man dabei nicht, hat man doch jahrelange Erfahrung mit Praktikanten, auch solchen aus der Schule. „Wir wollen die FWJler in die Forschungsteams integrieren, sie könnten Aufgaben wie etwa Bachelor- oder Masterstudenten im Großpraktikum übernehmen“, so Baum. Für den Anfang wäre das beispielsweise Zellkulturen anzusetzen und zu pflegen oder PCRs durchzuführen, je nach Talent mit der Zeit auch Schwierigeres. Die Betreuung sollen TAs und Postdocs übernehmen – wie bisher bei den meisten Praktikanten auch. Für ihren Einsatz bekommen die FWJler 400 Euro im Monat aus der Institutskasse und am Ende können Sie vielleicht besser einschätzen, ob sie das Zeug zum Forschen haben oder doch nicht. Berufsfindung an der Bench.

Bleibt die Frage, ob Abiturienten, die bestenfalls einen Bio- oder Chemie-Leistungskurs besucht haben, sich durch ein mehrmonatiges Hilfswissenschaftler-Dasein für Forschung begeistern lassen, oder ob die Arbeit sie gar vom Studium abschreckt. Baum jedenfalls betont, dass das FWJ keine Eingangshilfe für das Studium sein soll, sondern dass die Teilnehmer einfach nur herausfinden sollen, ob sie sich für Wissenschaft begeistern lassen.

Orientierungssuchende Abiturienten wird es dafür wahrscheinlich genügend geben: Der Zivildienst fällt zum 1. Juli weg, weil die Wehrpflicht endet, zudem sind die Studienplätze knapper als sonst, weil in Niedersachsen und Bayern wegen der verkürzten Gymnasialzeit zwei Jahrgänge gleichzeitig Abitur machen. Über 20 Bewerbungen liegen für das FWJ schon vor, die Bewerbungsfrist läuft bis 1. Juli. Baum hofft derweil noch auf Unterstützung von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und könnte sich vorstellen, dass das Projekt in anderen Bundesländern Nachahmer findet und irgendwann einen festen Platz unter den Freiwilligenprogrammen einnehmen wird.

Denn im Grunde ähneln sich Zivildienst, die bisherigen Freiwilligendienste und das FWJ: Vögel auf einer Nordseeinsel zählen oder Bakterien unter dem Mikroskop, Medikamente in der richtigen Dosierung verteilen oder Puffer richtig ansetzen, hochbetagte Senioren im Rollstuhl durch die Stadt fahren oder mit dem Laborwagen das Ergebnis von drei Monaten Arbeit zum Messgerät schieben – die Anforderungen sind erstmal recht ähnlich.

Was indes die „richtigen“ Forscher, allen voran die betreuenden TAs und PostDocs, vom FWJ und ihrem potentiellen Nachwuchs haben, wird sich bald zeigen.


Valérie Labonté
Bild: lordalea / Fotolia.com



Letzte Änderungen: 04.03.2013