Editorial

Laborgeschichten (8) - Praktikanten betreuen

Was machen die vielen Leute in den weißen Kitteln hier im Labor? – Das sind unsere Praktikanten, die sind jetzt für sechs Wochen da!

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(29. September 2011) Großpraktikum: Jedes Jahr kommen die Studenten grüppchenweise und wuseln durchs Labor. Für sie gilt Laborkittelpflicht, weshalb sie immer schon von weitem gut zu erkennen sind. Während des Praktikums ist das Labor im Ausnahmezustand: Etliche Reagenzien finden einen anderen Platz. Pipetten bekommen ihre jährliche Durchspülung mit Puffer, Salzsäure oder irgendetwas Klebrigem. Und Geräte entwickeln unter Studentenhand ein Eigenleben – sie tun alles mögliche, nur nicht das Ergebnis liefern, das man erwartet. Woran das liegt, bleibt meist ein Rätsel.

 

Für manche Betreuer ist das Praktikum ein großer Spaß, endlich hört ihnen jemand andächtig zu, wenn sie von ihrem Projekt berichten. Andere Betreuer wünschen sich schon am ersten Tag, dass es der letzte wäre. Diesmal hat es Doktorand P. erwischt.

 

Der Spaß am Betreuen hängt natürlich auch von den Praktikanten ab. Über die Jahre hat das Labor im zweiten Stock schon viele Praktikanten-Typen gesehen. Auch Betreuer P. kennt schon einige davon: Die einen bohren so lange, bis der Betreuer in Erklärungsnot gerät – „Nein, wo dieses Elektron genau hingeht, weiß ich jetzt leider nicht.“ Andere interessieren sich gar nicht und brauchen nur den Schein – „Wie viele Fehltage darf man haben?“. Dann gibt es welche, die jeden Satz mitschreiben und den Betreuer spitz auf seine fachlichen Schwächen hinweisen – „Kann es sein, dass Du gerade oxidieren und reduzieren verwechselt hast?“. Oder die, denen man wünscht, sie würden es mit einem weniger praktischen Fach versuchen – „Ich hab jetzt auch die letzte Tasche im Gel zerrissen.“ Aber auch die, die scheinbar das Protokoll auswendig gelernt haben und die, die es noch nicht gelesen haben – „Auf Seite 16 steht aber...!“, beziehungsweise „Coo-mas-sie? Nee, davon hab ich noch nie was gehört!?“. Je nach dem, wie die Gruppen zusammengesetzt sind, kann man sich als Betreuer auf die nächsten Wochen freuen – oder nicht.

 

Dafür, dass Betreuer P. nebenher nicht seiner eigenen Forschung nachgehen kann, hat jedenfalls TA S. schon gesorgt. Überall im Labor hat sie Zettel an die Geräte geklebt mit einer Aufschrift wie: „Zentrifuge von Montag bis Donnerstag 9-16 Uhr für Großpraktikum reserviert“. Und wehe da drängelt sich wer rein! Aber nicht nur die Zentrifuge, sondern auch das Photometer, die Waage und der Sozialraum sind dauerbelegt. Also ist volle Konzentration auf das Praktikum möglich.

 

Der erste Praktikumstag beginnt für Betreuer P. jedoch denkbar schlecht: Extra früh ins Labor gekommen, um noch alles vorbereiten zu können, entdeckt er, dass seine für das Praktikum gezogenen Keimlinge verschimmelt sind. Zu viel gegossen? Temperatur zu hoch? Falsche Bestrahlung? Warum auch immer!? Jedenfalls kann ohne Keimlinge kein Versuch stattfinden. Betreuer P. überlegt, wie er den Schaden begrenzen kann: unauffällig neue Pflanzen aussähen und das Programm vom nächsten Tag vorziehen – auch, wenn das den ganzen Zeitplan sprengt? Vor allem die Praktikanten mögen erfahrungsgemäß gar nicht, wenn am ersten Tag schon das Programm verändert wird. Am meisten stört das die, die das Protokoll rezitieren können, am wenigsten natürlich die, die es gar nicht gelesen haben.

 

Aber nichts hilft: Das „trockene“ Programm steht an für den Tag: Pipetten eichen, Gele gießen und Molekulargewichtsmarker machen. Die unbeliebteste Aufgabe ist das Eichen: Immer einen Tropfen auf die Feinwaage, am Rädchen drehen, einen Tropfen auf die Feinwaage, am Rädchen drehen, einen Tropfen auf die Feinwaage... Das bringt die ersten Praktikanten zur Verzweiflung. Auch das Versichern, dass man Pipetten spätestens während der Diplomarbeit – sozusagen in vivo – gelegentlich eichen muss, hilft nicht. Die Praktikanten kommen sich als billige Arbeitskräfte missbraucht vor. Betreuer P. denkt sich im Stillen: Wenn ihr wüsstet, wie sich das erst in der Diplomarbeit anfühlt...

 

SDS-Gele gießen dagegen fühlt sich mehr nach „Wissenschaft“ an. Und leider auch nach „Handwerk“, denn zu viele Gelreste im Waschbecken verstopfen den Abfluss. Mal eben das U-Rohr abzuschrauben und sauber zu kratzen, verzögert den Zeitablauf im Praktikum auch nur minimal. Marker zu kochen haben die Praktikanten dagegen ganz prima hinbekommen! Für zehn Gele hochgerechnet das zehnfache Rezept Marker! – das reicht für die ganze AG für ein ganzes Jahr, mindestens. Und Betreuer P. freut sich, denn Marker kocht er selber gar nicht gerne. Das geht jetzt noch sechs Wochen lang so. Alle paar Tage eine neue Gruppe mit neuem Potential und immer der gleiche Versuch – Betreuer P. ist gespannt. Seine frischen Keimlinge für den nächsten Tag hat er jedenfalls gut vorbereitet und peinlichst auf zu viel Feuchtigkeit überprüft.

 

Seine einzige Sorge ist, dass unter den noch kommenden Praktikanten wieder jemand wie der Medizinstudent vom letzten Jahr ist: Dieser hatte am Ende des ersten Praktikumstages gefragt, ob er das Sicherheitshütchen auch wieder auf die Pipette stecken solle.

 

 

Valérie Labonté

 



Letzte Änderungen: 04.03.2013