Editorial

Seltenes Drama um Medizin-Nobelpreis

Erst wenige Stunden, nachdem das Nobelpreis-Komitee die drei Immunologen Bruce Beutler, Jules Hoffmann und Ralph Steinman als diesjährige Medizin-Nobelpreisträger verkündete, gab die Rockefeller University in New York bekannt, dass Steinman bereits drei Tage zuvor verstorben war. Trotzdem die Statuten es verbieten, dass Verstorbene den Nobelpreis erhalten, wird Steinman der Preis ausnahmsweise trotzdem posthum verliehen.

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(4. Oktober 2011) Es hat schon etwas von einem Drama. Die diesjährige Verkündung der Medizin-Nobelpreisträger wird vorerst überschattet von der Nachricht, das einer der drei Auserwählten, Ralph Steinman von der Rockefeller University in New York, drei Tage zuvor verstorben war. Die Tragik, dass Steinman auf diese Weise die Krönung seiner wissenschaftlichen Laufbahn so knapp nicht mehr erlebt hat, ist das eine. Doch es hätte noch schlimmer kommen können. Denn eigentlich verbieten die Statuten des Nobelpreises eine Verleihung an Verstorbene.

 

 

Um 11:30 Uhr mitteleuropäischer Zeit verkündete das Nobelpreis-Komitee, wer im Dezember den diesjährigen Nobelpreis für Physiologie und Medizin erhalten würde. Die Glücklichen waren drei Immunologen: Bruce Beutler vom Scripps Research Institute in La Jolla, Kalifornien, Jules Hoffmann, emeritierter Forscher am CNRS-Institut für Molekulare und Zellbiologie in Straßburg, sowie eben Ralph Steinman. Doch letzterer konnte sich nicht mehr darüber freuen. Drei Stunden später, um 14:30 Uhr, erreichte Stockholm die Nachricht, dass Steinman bereits drei Tage zuvor verstorben war. Das Nobelpreis-Komitee trat sofort wieder zusammen um zu beraten, was zu tun sei. Am Abend dann die Entscheidung: Ralph Steinman behält seinen Nobelpreis und wird als erster Nobelpreisträger in die Geschichte eingehen, der den Preis posthum erhält.

 

In seiner Presseerklärung begründet das Komitee die Entscheidung damit, dass die Statuten die Verleihung des Preises ja auch posthum erlauben, wenn der Geehrte in dem Zeitraum zwischen Zuerkennung und tatsächlichem Erhalt des Preises stirbt. Zweck dieser Regelung sei, dass der Nobelpreis nicht vorsätzlich an Verstorbene vergeben werde. Dies sei hier nicht der Fall. Vielmehr entschied sich das Komitee für Steinman in dem gutem Glauben, dass dieser am Leben sei. Von daher sei der “Fall Steinman” eher im obigen Sinne zu sehen – nämlich de facto als verstorben zwischen Verkündung und Erhalt des Preises. Und da deshalb auch die Statuten nicht verletzt würden, könne man den Preis mit gutem Gewissen posthum an Steinman vergeben.

 

Klingt ein wenig konstruiert, führt aber dennoch zur einzig richtigen Entscheidung, Steinman den Nobelpreis nicht wieder abzuerkennen.

 

 

Welche Themen mit den Preisträgern geehrt wurden, geriet an diesem Tag wegen dieser Vorgänge ein wenig in den Hintergrund. Ralph Steinman, der eine Hälfte des Preises erhält, entdeckte mit seinen Mitarbeitern 1973 die Dendritischen Zellen. Diese entpuppten sich schnell als “Scharfmacher” der adaptiven Immunantwort, indem sie B- und T-Zellen aktivieren – unter anderem auch die T-Zellen, die das immunologische Gedächtnis gegen eine Vielzahl von Fremdsubstanzen etablieren.

 

Zusätzlich zum reinen Erkenntniswert dieser Entdeckung lieferte Steinman mit den Dendritischen Zellen auch einen Hoffnungsträger für die klinische Therapie. In der sogenannten Tumorvakzinierung versucht man beispielsweise körpereigene Dendritische Zellen in der Kulturschale gezielt gegen Tumorantigene zu „trainieren“, um mit diesen nachfolgend das Immunsystem des Patienten gegen die Tumorzellen „scharf zu machen“. Auch für die Behandlung von Infektionskrankheiten gibt es ähnliche Konzepte, die auf Dendritischen Zellen basieren.

 

Bruce Beutler und Jules Hoffmann, die sich die andere Hälfte des Nobelpreises teilen, gelten dagegen als Pioniere bei der Entschlüsselung des angeborenen Immunsystems. Der gebürtige Luxemburger Hoffmann und sein Team bemerkten 1996, dass Taufliegen, in denen das Entwicklungs-Gen Toll defekt war, keinerlei Infektionen abwehren konnten und starben. Damit hatten sie, wie sie schnell feststellten, den zentralen Schalter entdeckt, der pathogene Infektionen entdeckt und daraufhin umgehend das Abwehrsystem der Fliegen aktiviert.

 

Bruce Beutler dagegen suchte mit seinen Mitarbeitern in Mäusen den Rezeptor für bakterielles Lipopolysaccharid (LPS). Dieses ist in der Lage, den sogenannten septischen Schock auszulösen – eine lebensbedrohliche Überstimulation des Immunsystems. 1998 schließlich fand das Team, dass Mäuse, die gegen LPS resistent waren, eine Mutation in einem Gen trugen, das dem Toll-Gen der Fliegen sehr ähnlich war. Bei diesem Toll-like-Rezeptor handelte es sich gleichsam um den gesuchten LPS-Rezeptor, der bei exzessiver LPS-Bindung das Immunsystem „überdreht“. Gleichsam war damit klar, dass Mäuse wie Fliegen ähnliche Moleküle nutzen, um bei Befall mit pathogenen Mikroben die angeborene Immunantwort anzuwerfen.

 

Viele Nobelpreis-Tipps, die in den letzten Wochen im Internet kursierten, hatten diese Drei nicht auf der Rechnung. Dennoch gibt es keinen Zweifel, dass beide Themen den Preis verdient haben – wie auch, dass die richtigen Köpfe dafür ausgewählt wurden. Auch wenn Ralph Steinman diese Wahl nicht mehr selbst erleben durfte.

 

Ralf Neumann



Letzte Änderungen: 04.03.2013