Editorial

Was ist ein Embryo?

Der Europäische Gerichtshof klärte den Begriff des „menschlichen Embryos“ und die Frage, unter welchen Bedingungen die Verwendung menschlicher Embryonen patentierbar ist.

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(18. Oktober 2011) Im jahrelangen Rechtsstreit zwischen Oliver Brüstle, Direktor am Institute of Reconstructive Neurobiology der Uni Bonn, und der Umweltschutzorganisation Greenpeace hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) festgestellt: „Ein Verfahren, das durch die Entnahme von Stammzellen, die aus einem menschlichen Embryo im Blastozystenstadium gewonnen werden, die Zerstörung des Embryos nacht sich zieht, ist von der Patentierung auszuschließen.“ Der EuGH bezieht sich dabei auf ein Patent, das Brüstle 1999 vom deutschen Patentamt erteilt wurde, gegen das Greenpeace aber Klage erhob. Das Patent beschreibt die Herstellung von neuralen Vorläuferzellen und deren Verwendung in der Therapie von neuralen Defekten (Patentnummer DE: 197 56 864.5). Brüstle wollte so Nervenzellen aus embryonalen Stammzellen gewinnen und damit eines Tages Alzheimer- oder Parkinsonpatienten helfen.

Greenpeace bekam mit seiner Klage gegen Brüstle vor dem Bundespatentgericht teilweise recht; die Teile aus Brüstles Patent, die Zellen oder deren Herstellung umfassten, die aus embryonalen menschlichen Stammzellen gewonnen wurden, wurden für nichtig erklärt (Az.: 3 Ni 42/04). Brüstle legte Berufung beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe ein, dieser wiederum rief den EuGH an, um klären zu lassen, „ob der Ausschluss von der Patentierbarkeit des menschlichen Embryos alle Stadien des Lebens von der Befruchtung der Eizelle an umfasst oder ob zusätzliche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, z.B., dass ein bestimmtes Entwicklungsstadium erreicht ist“.

Ab wann ist eine Eizelle ein Embryo?

Um sich zum Kern der Sache vorzuarbeiten, klärten die Richter drei Fragen. Zuerst: Was ist ein „menschlicher Embryo“? Der Begriff wird in der Biopatentrichtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zwar verwendet, aber nicht definiert. Der EuGH befand, dass der Begriff „weit auszulegen“ sei. Die Begründung: mit der Biopatentrichtlinie sollten Patente ausgeschlossen werden, die eine der „Menschenwürde geschuldete Beachtung“ beeinträchtigen könnten. Demnach sei jede menschliche Eizelle ab der Befruchtung als „menschlicher Embryo“ anzusehen, da die Befruchtung der Prozess sei, der die Entwicklung eines Menschen in Gang setze. Weiterhin gelte dies auch für Eizellen, in die ein Zellkern aus einer menschlichen Zelle transplantiert wurde oder die durch Parthenogenese zur Teilung angeregt wurden.

Zweitens: Kann man wissenschaftliche Forschung, die menschliche Embryonen verwendet, patentieren? Für industrielle oder kommerzielle Zwecke ist dies laut Biopatentrichtlinie verboten, kein Teil des menschlichen Körpers ist – egal in welcher Entwicklungsphase – patentierbar. Nach Auffassung des EuGH gilt dieses Verbot ebenso für wissenschaftliche Zwecke, denn die Erteilung eines Patentes an sich schließe schon dessen industrielle oder kommerzielle Verwertung mit ein. Mit einer Ausnahme: Die Richtlinie erlaubt die Verwendung menschlicher Embryonen auch zu industriellen oder kommerziellen Zwecken zu patentieren, wenn ein menschlicher Embryo nutzen daraus zieht; zum Beispiel, wenn durch eine Diagnose oder Therapie Missbildungen verhindert werden.

Die dritte Frage betrifft Brüstles Patent direkt: Kann eine Erfindung patentiert werden, die die Herstellung neuraler Vorläuferzellen betrifft? Nein, kann sie nicht, solange das Verfahren die „vorhergehende Zerstörung menschlicher Embryonen oder deren Verwendung als Ausgangsmaterial“ erfordere. Das ist bei Brüstles Patent der Fall, denn – auch, wenn es nicht im Patentantrag steht – werden für seine Erfindung Stammzellen verwendet, die einem menschlichen Embryo im Blastozystenstadium entnommen wurden und der danach zerstört wurde.

Folgen für die Stammzellforschung

Anhand der Entscheidungen des EuGH muss der Bundesgerichtshof nun ein nationales Urteil fällen. Das EuGH betonte, dass es nicht nach ethischen oder medizinischen Gesichtspunkten entschied, sondern die Biopatentrichtlinie juristisch auslegte. Stammzellforscher dürften sich über das Ergebnis nicht freuen. Denn Biotech-Firmen, in denen die angewandte Forschung stattfindet, siedeln sich lieber dort an, wo sie ihre Erfindungen auch durch Patente schützen lassen können. Ob sie das zukünftig in Ländern tun werden, wo die Gesetzgebung weniger streng ist, wird sich zeigen.


Valérie Labonté
Bild: misterQM / photocase.com





Letzte Änderungen: 04.03.2013