Editorial

Promotionen künftig (fast) unbenotet?

Es soll sich allerhand ändern in den Promotionsverfahren. So will es der Wissenschaftsrat. Doch wird er sich durchsetzen können mit seinen teils weitreichenden, größtenteils aber banalen Vorschlägen? Ein Kommentar von Winfried Köppelle.

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Jungdoktores künftig mit Hut, aber ohne Note?

(15. November 2011) Die Doktoranden künftiger Jahrgänge blicken geradezu revolutionären Änderungen entgegen – zumindest wenn es nach dem jüngsten Positionspapier des Wissenschaftsrats geht (veröffentlicht am gestrigen Montag hier). In diesem steht unter anderem: Das Ergebnis einer Dissertation soll künftig nur noch "bestanden" oder "durchgefallen" lauten (naja, zumindest fast); externe Gutachter sollen künftig bei der Bewertung mehr mitzureden haben; und: medizinische Doktorarbeiten werden weitgehend verschwinden. Hört sich gut an, ist jedoch nur teilweise gut. Und in weiten Teilen höchst banal.

 

Der Wissenschaftsrat: Ohne Befugnisse, aber nicht ohne Gewicht

Der Wissenschaftsrat (WR), was tut der eigentlich? Dieses Gremium berät die deutschen Parlamente in Hochschulbelangen und hat zwar keine administrativen Befugnisse, aber großen Einfluss. Laut Satzung ist der WR zuständig für "alle Fragen der (...) Entwicklung der Wissenschaft, der Forschung und des Hochschulbereichs". Bei diesen Fragen geht's um Struktur, Leistungsfähigkeit und Finanzierung der Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen.

Ferner widmet sich der WR "übergreifenden Fragen des Wissenschaftssystems und ausgewählten Strukturaspekten von Forschung und Lehre". Die 54 Mitglieder (24 Wissenschaftler, 8 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, 22 Verwaltungskommissionäre aus den Ländern und dem Bund) sichern so "die internationale Konkurrenzfähigkeit der Wissenschaft in Deutschland".

 

Dass der WR lediglich "Empfehlungen und Stellungnahmen" abgibt, sollte niemanden in Sicherheit wiegen. Denn diese "unverbindlichen Ratschläge" wurden in der Praxis von den Entscheidern schon des öfteren 1:1 umgesetzt. Sofern die Lobby derer, um deren Pfründe es ging, nicht zu mächtig war.

Abschied von "Magna cum" und "Rite" droht

In ihren eben beendeten Herbstsitzungen 2012 in Halle konnten sich die Ratsmitglieder zu geradezu revolutionären Vorschlägen durchringen. Eines der Hauptthemen dieses Treffens war die Qualität der hierzulande durchgeführten Promotionen (wohl angestoßen durch die Guttenberg- und diverse andere Affären); rund 25.000 sind's pro Jahr, davon entfallen rund 7.400 auf Mathematik und Naturwissenschaften und weitere 8.200 auf die Medizin.


Und so unterbreitete der WR am gestrigen 14. November "Vorschläge zur Qualitätssicherung bei Promotionen". Die hören sich gut an, bestehen jedoch zum Teil nur aus heißer Luft. Denn manches von dem, was der WR als geniale Neuerung verkauft, ist höchstens banal und zudem nicht neu. So schreibt der WR in seinem Positionspapier stolz:

"Die Qualität der Promotion müssen neben den einzelnen (...) Betreuern auch die Universitäten als Träger des Promotionsrechts mitverantworten."

Ach so? War das denn bisher nicht so? Immerhin wurden die derzeit geltenden universitären Promotionsordnungen doch nicht von einzelnen Lehrstuhlinhabern in Eigenregie und nach Gutdünken zusammengebastelt, sondern sind eine  Gemeinschaftsproduktion der jeweiligen Universitäts-Gremien, sprich: der Universitäten. Was also soll dieser Passus? Die Universitäten in die Pflicht nehmen, in der sie schon längst sein müssten?

Und noch'n Komitee: Bürokratie statt Praxishilfe

Auch die nächste Forderung des Wissenschaftsrats atmet nicht die Luft der Verbesserung, sondern den Mief der Bürokratie:

"Konkret spricht sich das Beratungsgremium dafür aus, Doktorandinnen und Doktoranden einen einheitlichen Status zu geben und zusätzlich zu den Betreuerinnen und Betreuern durch ein fachnahes Promotionskomitee zu begleiten."

Es soll also künftig nicht nur wie bisher den Betreuer ("Doktorvater") geben, der sich um den Jungforscher kümmert, sondern ein weiteres universitäres "Komitee" geschaffen werden, das dem Doktoranden irgendwie unter die Arme greift (ihn "begleitet", um im Duktus des WR zu bleiben). Wer aber soll in diesem Komitee sitzen, sprich: Wer soll seine schmale übrige Arbeitszeit für die Sitzungen und Beratungen dieses Komitees hergeben, wer soll also in der Praxis die Doktoranden "begleiten"? Und WAS soll dieses Komitee überhaupt tun? Den Doktoranden beim Pipettieren und Zentrifugieren unterstützen? Die Rohfassung seiner Disseration gegenlesen? Ihm einen Kaffee in der Mensa spendieren? Ja, was denn?


Zumal schwebt dem WR eine "Arbeitsteilung" zwischen diesen teils noch zu schaffenden Gremien vor – also zwischen Doktorvater, Promotionsausschuss, Promotionskomitee und Prüfungskommission. In der Praxis dürfte ein solches System wohl darauf hinauslaufen, dass sich am Ende niemand für nichts zuständig fühlt. Und der Doktorand im Falle des Falles noch alleingelassener ist, als er es bisher anscheinend schon ist (ist er das wirklich?).

Platitüden zum wissenschaftlichen Fehlverhalten

Zum Umgang mit wissenschaftlichem Verhalten fällt dem WR in seinem "Positionspapier" nicht besonders viel ein, außer auf die "Vorschläge zur Sicherung guter wissenschaftlicher Standards" der DFG von 1998 zu verweisen. Dass sich diese Vorschläge und vor allem deren Einhaltung, Überprüfung und Sanktionierung in den letzten 13 Jahren jedoch keineswegs bewährt haben, scheint dem WR nicht aufgefallen zu sein.


Ein kleines Beispiel: Die auch vom WR wiedergekäute Verpflichtung, experimentelle Originaldaten "mindestens 10 Jahre" aufzubewahren, ist längst überholt, wie aktuelle Fälle zeigen, in denen man auf inzwischen gelöschte/vernichtete Daten nicht mehr zugreifen konnte und daher mangels handfester Daten den mutmaßlichen Fälschungsfall nicht beweisen konnte. Immer mehr Wissenschaftler fordern daher längst eine unbefristete Aufbewahrungspflicht experimentell erhaltener Forschungsdaten.


Immerhin – das ist ausdrücklich zu loben – fordert der WR "als besten Schutz vor wissenschaftlichem Fehlverhalten (...) die konsequente Sanktionierung von Fehlverhalten".

Keine multiplen Doktorväter mehr!

Der nächste Punkt im Positionspapier des WR spricht wohl die berüchtigten "multiplen Doktorväter" an, die Vielfachbetreuer um des Renommees willen, die man als Doktorand nur zweimal im Leben zu sehen bekommt: am ersten Tag der Doktorarbeit – und beim Rigorosum:

"Zudem regt der Wissenschaftsrat an, Betreuungsaufwand und Betreuungskapazitäten in ein angemessenes Verhältnis zu bringen, flächendeckend Betreuungsvereinbarungen einzuführen und externe Doktorandinnen und Doktoranden besser in Arbeitsgruppen und Forschungskontexte zu integrieren."

Nichts dagegen zu sagen.

Ebensowenig kann man darüber meckern, dass Mediziner nur dann einen Doktortitel verliehen bekommen sollen, wenn die betreffende Dissertation auch einen Erkenntnisfortschritt bringt und in einer anerkannten Fachzeitschrift veröffentlicht wurde. Dies konsequent umgesetzt würde die Promotionshäufigkeit bei Medizinern wohl in einstellige Prozentbereiche drücken.


Bei seinem letzten Verbesserungsvorschlag allerdings verhält sich der WR wieder seltsam halbherzig und unentschlossen. Es geht um die Benotung mittels differenzierter Notenskalen, wie sie außer in Deutschland nur noch in der Schweiz und in Frankreich üblich ist:

"Aus der zu geringen Ausschöpfung der vorhandenen Notenskala folgert der Rat, dass die Beschränkung auf die Notenstufen „Bestanden“ und „Mit Auszeichnung“ konsequent sei."

Falsch. Konsequent wäre es, die in der Tat (zumindest für eine Promotion) überflüssigen Noten komplett abzuschaffen. Doch dazu fehlte dem WR wohl der Mut.


Winfried Köppelle



Letzte Änderungen: 04.03.2013