Editorial

"Man kann sich nichts Schlimmeres vorstellen!"

Kann man als Autor über einer weitgehend abgeschriebenen Publikation stehen, ohne selbst ein Plagiator zu sein? Dem Ärztlichen Direktor des Forschungszentrums Borstel, Peter Zabel, ist genau dies passiert.

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Vollständig rehabilitiert: Peter Zabel

(20. Dezember 2011)  Ende Mai 2011 wurde ruchbar, dass eine Publikation des Lübecker C4-Professors Peter Zabel und seines Arbeitsgruppenleiters Hans-Peter Hauber abgeschrieben ist. Der Übersichtsartikel „Pathophysiology and pathogens of sepsis", erschienen 2009 im deutschsprachigen Fachblatt Der Internist (Band 50(7):779-80, 882-4, 786-7), entspricht in wesentlichen Zügen dem 2008 in englischer Sprache veröffentlichtem Review dreier US-Autoren („Harmful molecular mechanisms in sepsis", Nature Reviews Immunology 8(10):776-787). Das Plagiat erstreckt sich auf komplette Textpassagen sowie auf Abbildungen. Seniorautor Zabel trat sofort von seinen Ämtern zurück; gegen ihn und Erstautor Hauber wurde ein Untersuchungsverfahren eingeleitet. Der kopierte Review in Der Internist wurde bald darauf zurückgezogen.

 

Ende November gab die Untersuchungskommission bekannt, dass Hauber des Plagiats überführt, Zabel hingegen vollständig entlastet und in seine Ämter am FZB zurückgekehrt sei. Wie das? Laborjournal-Redakteur Winfried Köppelle unterhielt sich mit Peter Zabel.

Laborjournal: Herr Zabel, Sie haben 2009 zusammen mit Ihrem damaligen Kollegen Hans-Peter Hauber in der deutschen Fachzeitschrift „Der Internist" einen Übersichtsartikel über die „Pathophysiologie und Pathogene der Sepsis" veröffentlicht. Hauber war Erst-, Sie Seniorautor. Im Frühsommer 2011 stellte sich heraus, dass Ihr Review über weite Strecken abgeschrieben – sprich: ein Plagiat – ist. Eine Lübecker Untersuchungskommission hat kürzlich einen der beiden Autoren, nämlich Sie, von allen Vorwürfen und Plagiatsverdächtigungen freigesprochen und damit rehabilitiert. Warum sind Sie Ende Mai 2011 als Direktor des Forschunszentrums Borstel (FZB) aber zurückgetreten, wenn Sie doch unschuldig sind?

Peter Zabel: Allein schon aus dem Grund, um den Schaden für das FZB möglichst gering zu halten. Angesichts der medial aufgeheizten Atmosphäre, in der wir uns damals wegen der Datenfälschungs-Affäre in der Arbeitsgruppe Bulfone-Paus befanden, konnten wir keinen weiteren Skandal gebrauchen. Ich habe mich deshalb schon am nächsten Tag, nachdem ich vom Plagiatsverdacht gegen das bewusste Paper und dessen Autoren [Hans-Peter Hauber und Peter Zabel; die Red.] erfahren hatte, bei meinen Aufsichtsbehörden selbst angezeigt, um die Angelegenheit schnell aufzuklären, und vorsorglich auch meine Ämter als Geschäftsführender Direktor des FZB und als Leiter der Abteilung Pneumologie niedergelegt.

Die Begründung der Lübecker Untersuchungskommission ist ein wenig kryptisch. Könnten Sie verdeutlichen, wie es zum Plagiat kam und wieso Sie nichts damit zu tun haben?

Zabel: Der beanstandete Artikel ist 2009 in Der Internist erschienen [der mit 42.000 Exemplaren größten deutschsprachigen Facharztzeitschrift; die Red.], einer Fortbildungszeitschrift für Ärzte. Die dort erscheinenden Artikel werden nicht im Peer-Review-Verfahren von unabhängigen Gutachtern geprüft, sondern von den Herausgebern. Ich selbst war zu diesem Zeitpunkt einer dieser Herausgeber. Ein- bis zweimal pro Jahr machen wir Schwerpunkt-Hefte zu bestimmten Themen, und ich bin von einem Herausgeberkollegen für die betreffende Juli-Ausgabe des Jahres 2009 gebeten worden, zum Thema Sepsis etwas zu schreiben, weil ich auf diesem Gebiet früher aktiv war. Da ich inzwischen nicht mehr vollständig in diesem Thema drin bin, habe ich als Autor meinen Arbeitsgruppenleiter Hans-Peter Hauber vorgeschlagen. Der Vorschlag wurde angenommen, jedoch wurde ich gebeten, Herr Haubers Artikel mitzuredigieren und quasi als zweiter Verfasser zu fungieren. Diese Seniorautorenschaft habe ich gerne angenommen...

... und anschließend Herrn Hauber gebeten, den Artikel zu schreiben?

Zabel: Genau, das hat er auch gemacht und mir anschließend seinen Entwurf vorgelegt. Den habe ich dann redigiert und diverse Einfügungen gemacht – die übrigens auch als nicht-plagiierte Teile sichtbar sind, etwa zum genetischen Polymorphismus und zu den Pathogenen der Sepsis.

Dass Sie zu diesem Zeitpunkt in einem Plagiat redigierten, ist Ihnen nicht aufgefallen?

Zabel: Mir war der plagiierte Original-Artikel nicht bekannt, und natürlich auch nicht, dass er die nahezu alleinige Grundlage für unseren Review darstellte. Herr Hauber hat den Originalartikel eigenmächtig ins Deutsche übersetzt und weitgehend als seinen Text ausgegeben. Natürlich habe ich überprüft, ob alle mir bekannten relevanten und mir bekannten Artikel zitiert wurden, und ob die von Herrn Hauber getätigten Aussagen auch belegt sind. Aber ich kenne natürlich nicht die gesamte Literatur zum Thema Sepsis weltweit. Gerade hier gibt es hunderte von Reviews allein in den letzten drei Jahren. Es ist schlicht nicht möglich, all diese Artikel zu kennen.

Was sagt Herr Hauber dazu?

Zabel: Herr Hauber hat bestätigt, dass sich die Entstehungsgeschichte des Artikels so abgespielt hat.

Plagiat oder nicht?

Zabel: Darüber brauchen wir nicht zu diskutieren. Es handelt sich zweifellos um ein Plagiat. Selbst wenn man den Original-Artikel zitiert hätte, wäre der Text von Herrn Hauber immer noch zu stark an diesen angelehnt. Man hätte schon ganz klar schreiben müssen, welche Quelle in wesentlichen Teilen die Vorlage für den eigenen Text war: eben das betreffende Paper aus Nature Reviews Immunology. Im Rahmen des Konzepts von Der Internist wäre das durchaus möglich – das ist ja kein Organ, das neueste Forschungsergebnisse veröffentlicht, sondern eher ein Medium, das praktizierende Ärzte schnell und übersichtsartig auf den neuesten Kenntnisstand bringen soll.

Sie selbst gelten laut Bericht der Untersuchungskommission nicht als Plagiator.

Zabel: Der Begriff „Plagiat" beinhaltet ein vorsätzliches oder zumindest fahrlässiges Tun, also eine subjektive Schuld. Eine solche ist in meinem Fall nicht vorhanden. Bei einem Plagiat muss man schon aktiv und mit Vorsatz etwas tun. Ich habe nicht einmal fahrlässig gehandelt, weil es schlicht keine Möglichkeit gibt, die von Herrn Hauber nicht als Zitate gekennzeichnete und von ihm aus dem Englischen ins Deutsche übersetzte Textstellen als Plagiate zu identifizieren.

Genau das meint die Untersuchungskommission vermutlich auch mit der etwas kryptischen Wendung im Abschlussbericht, Ihnen hätte „keine dahingehende Prüfung auferlegt werden können"?

Zabel: Genau. Es ist weder technisch noch inhaltlich möglich, derlei zu entdecken – vor allem wenn es so viele mögliche Quellen gibt wie in diesem Fall.

Und als dann der Plagiatsverdacht Ende Mai aufkam, sind Sie – wie gesagt – als Unschuldiger sofort zurückgetreten...

Zabel: Genau, nach Rücksprache mit Freunden. Das war ausschließlich der speziellen Borsteler Situation geschuldet. Sie wissen ja, was damals in Borstel los war...

Sie sprechen von der Datenmanipulations-Affäre in der Arbeitsgruppe Bulfone-Paus, die zu der Zeit noch für Schlagzeilen sorgte ...

Zabel: ...und man kann sich eigentlich nichts Schlimmeres vorstellen, was noch passieren könnte, als dass nach Frau Bulfone-Paus ein zweiter Institutsdirektor in den Verdacht des wissenschaftlichen Fehlverhaltens gerät.

Der wissenschaftliche Doppel-GAU sozusagen. – Würden Sie heute wieder so handeln? Sofort von allen Ämtern zurücktreten?

Zabel (lacht): Also, diese Situation möchte ich nicht noch einmal erleben, aber ich glaube schon, dass dies der richtige Weg war.

Interview: Winfried Köppelle

(Eine Langfassung dieses Interviews lesen Sie in der nächsten Laborjournal-Ausgabe, die am 15. Februar 2012 erscheint!)



Letzte Änderungen: 10.01.2012
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