Editorial

Blanke Nerven am Neurozentrum

Einer angesehenen Neurowissenschaftlerin wird fristlos gekündigt, nachdem sie ihrem Ex-Kollegen Datenmanipulationen vorgeworfen hat.


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(16. Februar 2012) Als die 30jährige Neuroforscherin Julietta Frey im Frühjahr 1992 aus Amerika nach Magdeburg zurückkehrte, hatte sie ein Science-Manuskript im Gepäck und eine steile Karriere vor sich. Zwanzig Jahre später steht Frey vor einem Scherbenhaufen: fristlos gekündigt, die Arbeitsgruppe zerschlagen, Prozesse am Hals. Und das sichere Gefühl, dass ein von ihr als Betrug gewerteter Fall mit aller Macht vertuscht werden soll.

 

Stimmt dieses Gefühl, oder ist alles ganz anders? Gibt es diesen Betrug überhaupt? Leidet Julietta Frey an Wahnvorstellungen? Ihre Gegner sagen ihr das nach, doch Frey gilt auch als glaubwürdige Wissenschaftlerin. Weshalb wurde Frey gefeuert? Welche Rolle spielen die Institutsleiter, das Wissenschaftsministerium, der Ombudsman?

Einige dieser Fragen konnten geklärt werden – und soviel sei schon mal verraten: Wahnvorstellungen haben wir bisher keine erkennen können. Die Hintergründe sind handfester, komplizierter und oftmals schlicht sonderbar. Was ist los am Leibniz-Institut für Neuroforschung in Magdeburg?

 

Beginnen wir mit einem Amerikaflug vor 21 Jahren. Die 28jährige Julietta Frey reiste auf eine Einladung Eric Kandels hin nach New York. Sie sollte am Columbia University Medical Center eine von ihr entwickelte in-vitro-Methode zur Langzeitinkubation von Hirnschnitten etablieren. Daneben erforschte Frey bei Kandel Prozesse, die im Hippocampus für gesteigerte Synapsenübertragungseffizienz mittels Proteinsynthese sorgen und so kurzlebige Erinnerungen in Langzeitgedächtnis umwandeln.

 

Bei Eric Kandel in New York

 

Frey hat gute Erinnerungen an Kandels Labor – damals wie heute ein Epizentrum der Hirnforschung. Sie durfte über ein freies Budget verfügen, sagt sie, und mit dem späteren Nobelpreisträger Kandel sei sie gut ausgekommen. Aussagen von damaligen Kollegen bestätigen dies.

 

Seit ihrem Amerikaaufenthalt gehört Frey zu den wenigen Deutschen, die als Erstautor mit einem leibhaftigen Nobelpreisträger auf einem High-Impact-Paper stehen. Auch nach ihrer Rückkehr ins Magdeburger Leibniz-Institut für Neurobiologie (IfN) – das war 1992 – buk die gebürtige Sachsen-Anhaltinerin keine kleinen Brötchen: Nach ihrer Habilitation 1997 wurde sie 1998 Leiterin der Abteilung Neurophysiologie am IfN. Diese Position kann mit der eines Max-Planck-Direktors verglichen werden. Im Laborjournal-Ranking der bestzitierten deutschen Neurowissenschaftler steht Frey auf Platz 40.

 

Fristlos gekündigt

 

Seit dem 6. Oktober 2011 jedoch steht Frey auf der Straße. Sie kann ihr Institut nicht mehr betreten. Das IfN-Direktorium hat ihr fristlos gekündigt – mit Zustimmung der obersten Dienstherrin Freys, der sachsen-anhaltinischen Landesministerin für Wissenschaft und Wirtschaft, Birgitta Wolff. Die Schlüssel und alle beruflichen Unterlagen musste Frey abgeben.

Warum will man am IfN Magdeburg, warum will Ministerin Wolff eine der besten Forscherinnen der Landeshauptstadt loswerden? Was hat Julietta Frey getan?

 

Frey sagte dem Laborjournal-Reporter, sie habe Datenmanipulationen am Institut aufgedeckt und jetzt wolle man sie „mit allen Mitteln mundtot machen“. Ein leitender IfN-Mitarbeiter widerspricht: Frey sei „nicht normal“ und die angeblich von ihr entdeckte Datenmanipulation sei gar keine. Ein anderes Mitglied der Geschäftsführung sagt lakonisch: „Die Frau Frey ist eben schwierig“.

 

Fakt ist, dass es in Magdeburg seit Jahren brodelt, und dass nicht einmal die weltweite Neuroforscher-Community davon weiß. Der jüngste Anlass zum Disput war ein zwei Meter großes Plastikbecken, in dem in den Jahren 2007 und 2008 sieben Ratten paddelten. Dabei soll es zu faulen Experimenten gekommen sein.

 

Der Ort des Geschehens

 

Das Leibniz-Institut für Neuroforschung (IfN) ist der Nachfolger des einstigen DDR-Instituts für Neurobiologie und Hirnforschung (INH). Es wurde 1981 vom Nestor der neurobiologischen Forschung der DDR, Hansjürgen Matthies, gegründet. Nach der Wende wurde das INH in eine selbständige „Stiftung des öffentlichen Rechts“ umgewandelt: das IfN. Es wird von Bund und Ländern je zur Hälfte finanziert; der jährliche Gesamtetat betrug zuletzt rund 12 Millionen Euro. Die 220 Mitarbeiter erforschen „Fragen der Neuroplastizität“, sprich: die Mechanismen des Lernens und der Gedächtnisbildung. Zum Vergleich: Ein durchschnittliches Max-Planck-Institut hat mit 270 Mitarbeitern und einem Etat von 17 Millionen Euro eine ähnliche Größe.  Zum Jahresende 2011 zog das IfN in einen 38 Millionen Euro teuren Neubau um.

 

Als die nachfolgend geschilderten Geschehnisse ihren Anfang nahmen, residierte das IfN noch im alten Plattenbau aus DDR-Zeiten und war in vier Abteilungen untergliedert. Deren Leiter waren der Mediziner Henning Scheich (zugleich Institutsdirektor), der Molekularbiologe Eckart Gundelfinger (ab 2010 Scheichs Nachfolger), der Mediziner Hans-Jochen Heinze – sowie Julietta Frey. Die drei erstgenannten Abteilungsleiter sind zugewanderte „Wessis“, die erst nach der Wende nach Magdeburg kamen, Frey hingegen, 1961 im sachsen-anhaltinischen Merseburg geboren, hat in Donetzk und Kiew studiert und 1989 in Magdeburg bei Hansjürgen Matthies ihren Doktor gemacht.

 

Theorie der Gedächtnisbildung

 

In Freys Abteilung Neurophysiologie will man herausfinden, was physiologisch auf Zellebene und in kleinen Netzwerken passiert, wenn gelernt wird. Dass sich beim Lernen die Effizienz von Synapsen ändert und diese neu-, um- oder abgebaut werden, ist bekannt; man nennt dies die „neuronale Plastizität“, die Fähigkeit zur Veränderung des Gehirns.

 

Für die Gedächtnisbildung ist der Hippocampus wichtig – wird er zerstört, so kann man nicht mehr richtig lernen. Was aber passiert an den Synapsen, wenn Erlerntes dauerhaft gespeichert werden soll? Was ist nötig, um Kurz- in Langzeitgedächtnis umzuwandeln? Nach Julietta Frey müssen dazu „emotionale oder kognitive Prozesse mit einem lokalen zellulären Kurzzeitgedächtnis assoziiert werden“. Frey hat nachgewiesen, dass es nur zum Langzeitgedächtnis kommt, wenn mit dem eigentlichen Reiz eine zusätzliche emotionale oder kognitive Komponente einhergeht. Auf Menschen übertragen: Gut gelaunt lernt besser.

 

Wie aber steht es um negative Emotionen, etwa Stress? Verbessern diese ebenfalls den Lernerfolg? Um das herauszufinden, erhalten die Versuchstiere (in diesem Fall Ratten) über eine Hirnelektrode einen leichten Stimulationsreiz („Tetanus“), der zu einem lokalen Kurzzeitgedächtnis (short term memory, STM) führt. Die folgende, assoziative Überführung in ein Langzeitgedächtnis (long term memory, LTM) könnte – sofern Freys Annahme korrekt ist – durch leichten Stress verstärkt werden. Diesen Stress erzeugt man bei Ratten zum Beispiel, indem man sie schwimmen lässt.

 

Man verwendet dazu beispielsweise das „Morris-Wasserlabyrinth“ (Morris Water Maze), erfunden 1981 vom schottischen Hirnforscher Richard Morris. Diese Versuchsapparatur zum Erforschen des räumlichen Lernens besteht aus einem knapp zwei Meter durchmessenden Wasserbecken mit hohen Wänden, in dem Ratten eine unter der trüben Wasseroberfläche nicht sichtbare Plattform finden sollen.

 

Schwimmen im Bassin

 

Die in der Abteilung Frey seit Ende der 1990er Jahre durchgeführten Rattenversuche sind zum Teil an das Water-Maze-Konzept angelehnt. Allerdings kamen bei den erwähnten Langzeitgedächtnis-Experimenten nicht die Morris’schen Originalexperimente zum Einsatz. Es ging nicht darum, die Ratten eine Plattform finden zu lassen. Die Tiere sollten nur gestresst werden.

 

Der Arbeitstitel der Experimente lautete „Die Rolle von Transkription und Translation für LTP-Reinforcement und Gedächtnisbildung in verschiedenen Lernparadigma“. „LTP“ bedeutet „Langzeitpotenzierung“. Langzeitpotenzierung ist ein grundlegender Mechanismus der Gedächtniskonsolidierung: Sowohl Amplitude als auch Dauer erregender postsynaptischer Potenziale (EPSP) sind über Stunden, Tage oder Wochen erhöht, wenn die afferenten Axone wiederholt gereizt werden.

 

Soviel zum fachlichen Hintergrund. Die umstrittenen Experimente, um die es geht, wurden zwischen November 2007 und Mai 2008 von Volker Korz und der TA Jeanette Maiwald durchgeführt.

 

Der Experimentator

 

Volker Korz ist 53 Jahre alt und hat zusammen mit Julietta Frey elf Artikel veröffentlicht. Er trat 1999 in die Abteilung Neurophysiologie (unter Leitung Frey) ein. In den folgenden neun Jahren wurde seine Stelle über Freys Drittmittel finanziert. Ende 2008 sei es laut Frey „zum Knatsch gekommen“. Man habe sich verkracht. Wieso, habe sie damals nicht verstanden.

Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, wollte man das komplexe Beziehungsgeflecht zwischen allen Magdeburger Beteiligten in allen Einzelheiten schildern – zumal es jeder Befragte anders darstellt. Daher beschränken wir uns auf die Hauptakteure Frey und Korz.

 

Frey stellt es folgendermaßen dar: Korz habe ab Oktober 2008 bei einem von ihr und einer Mitarbeiterin geleiteten Forschungsvorhaben mitmachen wollen, dem SFB779-Teilprojekt B4. Der Sinn dieses Projekts ist es, nach Schlüsselmolekülen für die Transformation von Kurz- in Langzeitgedächtnis auf zellulärer Ebene zu suchen. Um ins B4-Projekt einsteigen zu können, hätte Korz die Ergebnisse bestimmter Experimente liefern müssen, die bereits seit etwa 2006 von ihm durchgeführt wurden. Mit diesen Experimenten habe Korz einen von ihm 2003 beschriebenen Effekt (Stress-Reinforcement der Spike-Komponente bei Water-Maze-Reinforcement) neuerlich, mit einer ausgefeilteren Methode, verifizieren wollen.

 

Frey sagt, dies sei wichtig gewesen: „Es musste ja überprüft werden, ob die von ihm damals beobachteten Effekte auch mit unserer neu entwickelten Methode auftreten.“ Zudem sei es ja auch darum gegangen, ob ihre seit Jahren verwendete Hypothese („Schwacher Stress verstärkt das Langzeitgedächtnis“) korrekt war oder korrigiert werden müsse.

 

Korz hatte 2002 in der Tat herausgefunden, dass leichter Stress den Lernerfolg auf zellulärer Ebene verbessert, genauer, dass die Überführung ins Langzeitgedächtnis assoziativ durch leichten Stress verstärkt wird. Diese Erkenntnis war seinerzeit von ihm zusammen mit Frey im Journal of Neuroscience veröffentlicht worden („Stress-Related Modulation of Hippocampal Long-Term Potentiation in Rats: Involvement of Adrenal Steroid Receptors“; J Neurosci 2003; 23(19):7281-7). Die in diesem Paper gemachten Aussagen sind Grundlage für viele der späteren gemeinsamen Arbeiten, die in mindestens fünf weiteren Publikationen beschrieben wurden – und auch von Korz’ Habilitationsschrift, mit der er 2009 die Lehrbefugnis erhielt.

 

Disput mit unklarer Ursache

 

Frey sagt, Korz habe sich Ende 2008 jedoch geweigert, die fälligen Kontrollexperimente zum LTP-Reinforcement vorzulegen. Er habe zu ihr gesagt, diese (seit 2006 laufenden) Experimente wolle er nicht abschließen. Frey sei diese Haltung „völlig unverständlich“ gewesen. Korz sei dann im Oktober 2008 zum damaligen Institutsdirektor Henning Scheich gegangen und habe diesem mitgeteilt, er wolle nicht mehr in Freys Abteilung weiterarbeiten.

 

Laut Korz habe das Zerwürfnis eine ganz andere Ursache gehabt. Es sei um ein gemeinsames DFG-Projekt der beiden gegangen; Korz sei Erstantragsteller gewesen. Er wollte eine Studentin, die in diesem Projekt ihre Diplomarbeit machte, dort auf einer Doktorandenstelle weiterbeschäftigen. Frey sei dagegen gewesen; sie habe versucht, einen ihrer eigenen Doktoranden auf diese Stelle versetzen, ohne Korz zu informieren. Dieser sei dafür weit weniger geeignet gewesen, sagt Korz. Laut ihm sei es anfangs also nicht um irgendwelche Daten gegangen, sondern um diese strittige Stellenbesetzung. Der ganze Vorgang sei irgendwann so eskaliert, dass Korz aus der Frey‘schen Abteilung ausgeschieden sei.

 

Der damalige Institutsdirektor Scheich meint dazu, Korz sei von Frey gemobbt worden. Dies sei auch einer der Kündigungsgründe gewesen. Hier stellt sich allerdings die Frage, weshalb man Ende 2011 eine fristlose Kündigung  ausspricht, wenn 2008 jemand mutmaßlich gemobbt wurde (Korz war ja bereits seit Anfang 2009 nicht mehr am IfN angestellt).

 

Vorläufiger Burgfrieden

 

Weshalb auch immer: Ende 2008 kam es zum Streit zwischen den langjährigen Freunden Frey und Korz. Nach einigem Hickhack hinter den Kulissen einigte man sich im November 2008 gütlich: Korz wechselte an die Uni Magdeburg auf eine Gruppenleiter-Stelle am Institut für Biologie, bezahlt aus Mitteln des Landes Sachsen-Anhalt. Im Rahmen dieser Einigung wurde zwischen Scheich, Frey und Korz vereinbart, dass Korz bis Ende Januar 2009 die von Frey eingeforderten Daten der letzten drei Jahre nachliefern und ein Manuskript verfassen solle.

 

Am IfN kehrte nach außen hin Frieden ein. Allerdings nicht lange.

 

Im Februar 2009 legte Korz seiner Ex-Chefin das Manuskript vor. Erneut kam es zum Disput. Frey war nicht zufrieden: Das Schriftwerk tauge nichts, er möge es überarbeiten. Recht bald eskalierte die Sache erneut. Korz und Frey wurden sich partout nicht einig über die Interpretation der Daten. Korz sagt, seine Auswertung sei korrekt verlaufen; Frey hingegen sprach ab dem Frühsommer 2009 immer öfter von Datenmanipulation.

 

Frey gibt an, am 26. Mai 2009 habe ihr Korz dann mitgeteilt, er wolle das Manuskript nun publizieren, und zwar alleine. Damit sei sie jedoch nicht einverstanden gewesen, da die Arbeiten in ihrer Gruppe durchgeführt wurden. Sie untersagte Korz eine Veröffentlichung – und wollte endlich die Originaldaten sehen. Dies habe Korz ihr mehrfach verweigert, sagt Frey. Korz habe bei seinem Weggang zwar das Laborbuch dagelassen. Doch da Frey nicht gewusst habe, welche speziellen Daten Korz daraus für seine Kurven verwendet habe, sei das Laborbuch allein für sie nutzlos gewesen. Zwar habe sie mehrmals versucht, die Graphen zu rekonstruieren. Damit sei sie aber erfolglos geblieben.

 

Im Juni 2009 schrieb Frey einen Brief an den Dekan der Uni Magdeburg. Dieser wiederum beauftragte den DFG-Ombudsman an der Uni Magdeburg, Volker Höllt, ein Schlichtungsverfahren einzuleiten. Am 6. August 2009 fand ein gemeinsames Gespräch (Frey, Korz, Höllt) statt, bei dem Korz die im Manuskript verwendeten Daten offenlegen sollte. Zwei Tage vor diesem Gespräch habe Korz ihr die betreffenden Daten (samt Versuchsnummern) in Form eines elektronischen Files plötzlich doch vorgelegt.

 

Die Versuche von 2007/2008

 

Der Laborjournal-Redaktion liegen Originaldaten zu jenen Schwimmversuchen an Ratten vor, die Korz zwischen November 2007 und Mai 2008 in den Frey’schen Laboren durchführte. Korz implantierte dazu sieben Wochen alten Albinoratten jeweils Doppelableit-Elektroden in eine definierte Hippocampus-Region (den Gyrus dentatus). Die erste Elektrode registriert die lokale Erregung am Entstehungsort Synapse („EPSP“), die zweite (etwa 420 Mikrometer entfernt platziert) registriert das Summenaktionspotential („Pop-Spike“) vom neuronalen Zellkörper.

 

Wie erwähnt ging es unter anderem darum, Belege für Freys und Korz‘ Hypothese zu finden („Schwacher Stress verstärkt das Langzeitgedächtnis“). Dies hatte Korz 2003 mittels der damals von ihm beobachteten, verstärkten Summenaktionspotentiale gezeigt. Jetzt sollte dies mittels Doppelmessungen (EPSP/Pop-Spike) bestätigt werden: Stimmte seine Hypothese, so würde die parallele Messung von EPSP/Pop-Spike ebenfalls eine erhöhte Langzeitpotenzierung liefern.

 

Stimmt die Hypothese?

 

War dies so? Die Interpretation dieser Versuche ist der Kern des Disputs.

Vereinfacht dargestellt wird mittels Testimpulsen eine stabile Basislinie ermittelt, dann mit einem kurzen Mehrfach-Reiz eine „frühe Langzeitpotenzierung“ (LTP) hervorgerufen und schließlich über mehrere Stunden hinweg gemessen, wie schnell diese LTP-Antwort wieder abklingt.

Im Normalfall ist nach rund 4-6 Stunden wieder die anfängliche Nulllinie erreicht: Der Rattenhippocampus hat den Reiz „vergessen“.  Versetzt man die Ratte kurz nach dem Tetanus aber unter leichten Stress, so sollte dies anders sein: Dann würde das Erlernte (also die gesteigerte Reizantwort) ins Langzeitgedächtnis überführt; die Langzeitpotenzierung (LTP) sollte also wesentlich länger bestehen.

 

Frey sagt, in der Fachwelt sei Letzteres bisher nicht beobachtet worden – mit Ausnahme der Korz’schen Versuche von 2002, veröffentlicht 2003 in Form des erwähnten Journal of Neuroscience-Papers und fünf nachfolgenden Artikeln.

 

Korz widerspricht: Unter Experten bestünde Konsens, dass kurzfristiger akuter Stress die LTP im Gyrus dentatus langfristig verstärken könne. Korz nannte uns auf Nachfrage vier Publikationen, in denen fremde Arbeitsgruppen seine Ergebnisse verifiziert hätten. Zwei davon haben wir wahllos herausgegriffen. Eine davon entpuppte sich als Review. Die andere stammt von israelischen Forschern (Avital et al. 2006, J. Neurosci 26, 9130); laut Korz hätten diese „fast exakt unser Protokoll nachgekocht“ und seine Ergebnisse bestätigt.

Den Laborjournal-Redakteur überzeugte dieses Paper als unabhängiger Beleg für die Korz‘sche These nicht. Warum?

 

Korz‘ Basishypothese besagt: Stress verlängert die Langzeitpotenzierung nach 4-6 Stunden. Im genannten Paper kann dies gar nicht belegt werden, da die Autoren nur eine Stunde lang gemessen haben. Noch seltsamer ist, dass die von Korz als Beleg für seine Hypothese ins Feld geführte Publikation das genaue Gegenteil erbringt. Unter „Results“ steht dort auf Seite 9131 unten: The exposure to acute swim stress resulted in a significant suppression of LTP.


Die Verfasser fanden also, dass Schwimmstress die Langzeitpotenzierung blockiert und nicht verstärkt (und schon gar nicht verlängert, wie von Korz behauptet).

 

Nicht überzeugend

 

Warum nennt Korz dem Redakteur ein Paper, das seine eigene Hypothese widerlegt? Ist es Stress?

 

Doch zurück zum Kern des Disputs zwischen Korz und Frey: der Interpretation seiner Versuche von 2007/2008, durchgeführt mit der Doppelelektrodentechnik. Damals gelang es ihm, seine Ergebnisse von 2002/2003, zumindest für den Pop-Spike, zu bestätigen.

Korz gelang also, was bisher niemandem gelang. Warum?

 

Wie erwähnt wurde mit Doppelableitungen gearbeitet; gemessen wurden also immer zum gleichen Zeitpunkt die synaptische Komponente (EPSP) und das Summenaktionspotential (Pop-Spike). Diese Werte gehörten zwangsläufig zusammen, sagt Frey, sie seien von ihrer Aussagekraft her gekoppelt. Man dürfe keineswegs willkürlich nur eine Komponente eines Tiers (also EPSP oder Pop-Spike) auswählen. Dann würde man bei der Auswertung zwangsläufig den einen Wert von Tier A mit dem anderen von Tier B vergleichen – und dies sei Unfug.

 

Genau diesen Unfug jedoch habe Korz angestellt: Von insgesamt 13 verwendeten Kontrolltieren (die 26 Einzeldaten in Form von 13 jeweils gekoppelten EPSP/Pop-Datenpaaren lieferten), habe er 15 Einzeldaten ausgewählt, die restlichen 11 jedoch weggelassen.

 

Umstrittene Datenselektion

 

Korz sagt, man könne dies sehr wohl tun; es sei für die von ihm gemachte statistische Auswertung irrelevant: „Warum solle man die mit unabhängigen Elektroden erhaltenen Ergebnisse nicht unabhängig voneinander verwenden dürfen?“ Der Laborjournal-Redakteur vermochte diese Frage nicht zu klären, über die selbst Neurophysiologen uneinig zu sein scheinen.

 

Allerdings wirkt die von Korz getroffene Auswahl willkürlich. Warum verwendete er im vorliegenden Fall nur 15 und nicht alle 26 erhaltenen Daten? Gemäß guter wissenschaftlicher Praxis muss das Weglassen von Daten ausreichend begründet sein. Frey sagt, es könne zwar durchaus vorkommen, dass man ein bestimmtes Tier ausschließen müsse, etwa weil Elektroden sich gelöst hätten. Solche Ausschlussgründe habe Korz im Versuchsprotokoll aber nicht in diesem Umfang vermerkt. Ferner gäbe es andere, unter Neurophysiologen anerkannte Regeln, die den Ausschluss eines Versuchstiers rechtfertigen würden. Auch nach diesen Regeln sei Korz nicht vorgegangen. Sie habe seine Auswahl nicht nachvollziehen können und von Korz keine zufriedenstellende Antwort erhalten.

 

Laut Frey habe Korz “völlig willkürlich” sechs von 13 Versuchstieren in seine Auswertung einfließen lassen: „Nach den weltweit unter Neurophysiologen üblichen Auswahlkriterien hätte er die Daten anderer Tiere auswerten müssen.“ Korz sagt dazu nur, er habe seine Gründe glaubhaft im Protokollbuch vermerkt.

 

Tippex im Laborbuch

 

Was allerdings nicht von der Hand zu weisen ist: Die Korz’sche Protokollführung ist kreativ. Im Laborbuch wurde mehrmals mit Tippex gearbeitet, beispielsweise bei Ratte J1046. Diese wurde am 4. Dezember 2007 als Rapamycin-behandeltes Tier ins Protokoll eingetragen – und nachträglich in ein „NaCl“-Kontrolltier verwandelt (siehe Abbildung auf Seite 18).

 

Kurze Erklärung dazu: Rapamycin ist ein Blocker der lokalen Proteinsynthese zum Beispiel in Dendriten; in den geschilderten Versuchen wollte man sehen, ob ein Unterschied in punkto LTP-Verstärkung zwischen Rapamycin-behandelten Tieren und der Kontrollgruppe auftritt.

Tippex im Laborbuch? „Absolut verpönt!“, kommentierte spontan ein Kollege des Laborjournal-Reporters (er ist Chemiker). Da hat er recht. Üblicherweise sollten Schreibfehler durchgestrichen werden, damit erkennbar bleibt, was vorher dort stand. Zudem muss immer das Korrekturdatum notiert und mit einem Namenszeichen versehen werden. Auch dies fehlt im Korz’schen Protokoll.

Wie hält man es in der Abteilung Neurophysiologie normalerweise mit der guten wissenschaftlichen Praxis? Frey versicherte uns, dass dieser Standard „natürlich“ auch in ihrer Abteilung gelte beziehungsweise gegolten habe, solange sie dort Abteilungsleiterin gewesen sei.

 

Korz sagte uns, Fehler würden eben passieren, wenn man im Labor arbeite. Und wenn man‘s hinterher mit Tippex verbessere, „wäre das als Täuschungsversuch ja wohl eher armselig“.

 

Datenverdoppelung

 

Es gab weitere Unregelmäßigkeiten. So ließ Korz Versuchstier J1075 doppelt in seine Auswertung einfließen. Ferner wertete er Ratte J1073, auch in der Auswertung, als Kontrolltier, obwohl es laut seinem eigenen Protokollbuch ein behandeltes Rapamycin-Tier war.

Wir halten fest: Frey bemängelt, dass Korz eine willkürliche Auswahl größtenteils unzusammenhängender Einzeldaten verwendet habe, die in ihrer unvollständigen und willkürlichen Gesamtheit zwangsläufig kein sinnvolles Ergebnis liefern

konnten. Korz hingegen versichert, er habe korrekt gearbeitet.

 

Frey sagt, sie habe später die von Korz ermittelten Versuchsdaten nach den, wie sie sagt, allgemein anerkannten Kriterien für derartige Experimente selbst ausgewertet und die entsprechenden Kurven erstellt. Deren Aussage sei in allen Fällen, die  sie bisher untersucht habe, klar: Leichter Schwimmstress rufe eindeutig keine verstärkte Langzeitpotenzierung hervor. Stress beim Lernen verbessere den Lernerfolg also nicht.

 

Volker Korz behauptet das Gegenteil. 2009 habilitierte er sich erfolgreich; in seiner Habilitationsschrift stehen die Experimente, von denen hier die Rede ist.

 

Was sagt der Ex-Direktor?

 

Die fraglichen Experimente ereigneten sich am IfN unter der Ägide des damaligen wissenschaftlichen Direktors Henning Scheich. Der 69jährige Humanmediziner glaubt, dass die Angelegenheit Korz/Frey lediglich eine ungeklärte  wissenschaftliche Streitfrage sei. Dass Korz keine Daten manipuliert habe, habe bereits der Ombudsman geklärt. Es sei festgestellt worden, dass durch die erkannten Ungenauigkeiten die Aussage der Korz’schen Studie nicht verändert werde (was Frey bestreitet). Es sei also kein Tatmotiv vorhanden. Scheich: „Solche Fehler passieren immer mal.“ Scheich erklärt weiter, dass Frey unbedingt habe verhindern wollen, dass Korz sich habilitiere. Daher habe sie versucht, die Korz’schen Daten als Fälschung darzustellen. Dies sei seine private Meinung.

 

Was sagt der Direktor?

 

Der derzeitige Institutsleiter Eckhart Gundelfinger hält es nicht für erwiesen, dass manipuliert wurde. Dies sei lediglich eine Behauptung von Frey. Er habe die beanstandeten Daten nie im Detail gesehen und könne daher auch nicht sagen, ob die Korz’schen Versuche in Ordnung seien. Die beanstandeten Daten seien bereits von vertrauenswürdigen Fachleuten geprüft worden, und Ombudsman Höllt habe ihm gegenüber gesagt, es hätten sich keine Anzeichen für eine absichtliche Manipulation ergeben. Für ihn seien längst alle Vorwürfe geklärt gewesen, dann aber von Frey wieder aufgegriffen worden. Frey verfolge ohnehin ein ganz anderes Ziel: Sie werde entlassen und wolle das verhindern.

 

Sonderbare Kündigungsgründe

 

Leider müssen wir hier einen vorläufigen Schlussstrich ziehen. Denn das, was am Magdeburger Institut für Neuroforschung zwischen 2009 und 2011 noch alles passierte, lässt sich nicht auf die verbleibende Seite pressen. Nur soviel: Es ist einer gesonderten Aufarbeitung wert. Denn wie eingangs erwähnt: Die Begleitumstände der fristlosen Entlassung von Julietta Frey sind sonderbar.

 

Genauer gesagt: Die Entlassungsgründe sind sonderbar. Nachdem sich das IfN-Direktorium wochenlang zierte, diese gegenüber Frey und ihrem Anwalt zu nennen, legte das IfN-Direktorium am 27. Dezember 2011 (also gut zehn Wochen nach der Kündigung) erstmals konkrete Gründe vor. Laut Frey sind diese konstruiert und unzutreffend. Gegenüber Laborjournal mochte keiner der IfN-Oberen einen offiziellen Grund für Freys Entlassung anführen. Man schickte einen Brief, in dem es heißt: „Wir können keine Auskunft geben. Das gebietet der Persönlichkeitsschutz.“

 

Allerdings waren wir nicht auf Auskünfte des Leibniz-Instituts angewiesen. Es gab andere Vöglein, die uns allerhand Interessantes ins Ohr zwitscherten. Die zusätzlich zur Verfügung gestellten Dokumente enthalten höchst Erstaunliches. So scheinen von Seiten des Leibniz- Instituts mehrere Grundrechte – etwa das Briefgeheimnis und das Recht auf  Datenschutz – missachtet worden zu sein. Zudem gelangten vertrauliche Schreiben, die Frey an ihre oberste Dienstherrin im sachsen-anhaltinischen Wissenschaftsministerium richtete, auf sonderbaren Wegen in die Hände des IfN-Direktoriums.

 

Unwahre Beschuldigungen

 

Zu guter Letzt kann Frey nachweisen, dass mindestens einige der gegen sie kursierenden Vorwürfe unwahr sind. Ein Beispiel: In einer institutsinternen Stellungnahme vom Oktober 2010, in dem es um „die anstehende Wiederbestellung der derzeitigen Abteilungsleiterin Frau Prof. Dr. J. U. Frey“ geht, schreiben die Geschäftsführer Gundelfinger und Thiel sowie die Abteilungsleiter Scheich und Heinze dem Stiftungsrats-Vorsitzenden Thomas Reitmann: „Das Dienstreisebudget der Abteilung wird beinahe ausschließlich von Frau Prof. Frey und ihrer Vertretung konsumiert.“

 

Frey kann jedoch anhand einer Dienstreiseaufstellung der Abteilung Neurophysiologie belegen, dass dies nicht so ist: Zwischen 2005 und 2010 wurden in ihrer Abteilung 103 Dienstreisen zu rund vierzig Tagungsorten unternommen. 28 dieser 103 Reisen gehen auf das Konto von Frey (19) und ihres Vertreters Volker Korz (9), die restlichen 75 Reisen unternahmen andere Abteilungsmitarbeiter. Dazu kommt, dass Frey zu 14 ihrer 19 Reisen vom Gastgeber eingeladen wurde.

 

Die erwähnte Stellungnahme der IfNDirektoren gegenüber dem Stiftungsrat, der über Freys Bestellung (oder Entlassung) als Abteilungsleiterin entscheidet, enthält weitere Behauptungen mit ähnlich geringem Wahrheitsgehalt.

 

Die Manipulationsvorwürfe gegen Korz werden derzeit von der DFG untersucht. Mit der Kündigung von Frey beschäftigen sich die Gerichte. Es bleibt spannend in Magdeburg. Wir werden am Thema dranbleiben.

 

 

Winfried Köppelle

Bild: Uni Magdeburg

 

Dieser Text ist in Laborjournal 1-2/2012 erschienen.



Letzte Änderungen: 28.02.2012
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