Editorial

Mächtiger Gegner

Patentstreit um Endotoxine: Eine kleine deutsche Biotechfirma muss sich vor einem US-Gericht verantworten

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(13. Juni 2012) Der Bernrieder Biotechfirma Hyglos droht Ungemach. Es geht um Patente. Der Basler Pharmakonzern Lonza wirft den Oberbayern vor, sie würden dessen geistiges Eigentum missbräuchlich verwenden. Hyglos wird unterstellt, auf diese Weise illegale Einnahmen zu erzielen. Der Streit wird in den USA ausgetragen – und könnte deshalb, dank schwer kalkulierbarer Anwaltskosten, für den Verlierer teuer werden.

In einer neunseitigen Klageschrift von Lonza, die am 24. Februar 2012 ans Bezirksgericht von Maryland geschickt wurde, sind die betreffenden Patente aufgeführt: Es handelt sich um die Nummern 5.858.706, 5.716.834, 6.645.724, 5.985.590 und 5.712.144.

Worüber wird gestritten?

Es geht um Endotoxine, genauer: um deren Nachweis in wässrigen Lösungen. Endotoxine sind die hitzestabilen Zerfallsprodukte der äußeren Bakterienzellmembran. Sie entstehen bei Infektionen, aber auch als unerwünschtes Nebenprodukt bei der biotechnologischen Proteinherstellung. Wegen ihrer Giftigkeit müssen Endotoxine in medizinischen Produkten aufgespürt und, falls vorhanden, entfernt werden. Besonders die Hersteller von biologischen Arzneimitteln und Impfstoffen müssen darauf achten, dass sich möglichst wenige – im Idealfall: keine – Endotoxine mehr im gebrauchsfertigen Endprodukt befinden.

Zu hohe Endotoxin-Konzentrationen im menschlichen Organismus lösen eine Autoimmunreaktion aus. Ein massiver Meningokokken-Befall etwa bewirkt quasi eine Endotoxin-„Schwemme“, was zu einer überschießenden Zytokin-Produktion und letztlich zu lebensgefährlicher Sepsis führt. Speziell Krebspatienten sind empfindlich gegenüber geringsten Endotoxin-Mengen.

Handelsübliche Kits

Die Firmen Lonza und Hyglos vertreiben Endotoxin-Detektionskits. Mit diesen kann man die giftigen Bestandteile der Bakterienzellwand aufspüren. Lonza bietet dafür zum Beispiel den „Pyrogene 192 Test Kit“ an (vor Jahren im Rahmen einer Firmenübernahme erworben), Hyglos wiederum den selbst entwickelten „Endolisa“-Kit. Beide basieren auf ähnlichen Verfahrensweisen: Falls sich Endotoxine in der getesteten Lösung befinden, so binden diese an im Kit enthaltene Nachweisproteine – und erzeugen daraufhin ein Fluoreszenzsignal.

Die zentrale Frage, die das US-Gericht zu klären hat: Nutzt Hyglos mit seinem „Endolisa“-Kit patentrechtlich geschützte Verfahren, die Lonza gehören? Speziell der sogenannte „Faktor C“ steht im Mittelpunkt des Interesses. Er wurde einst von zwei Wissenschaftlern in Fernost studiert.

Schlüsselfaktor „C“

1998 klonierten Ding Jeak Ling und Bow Ho an der National University of Singapore den natürlicherweise im Pfeilschwanzkrebs (Limulus) vorkommenden Faktor C (eine Endotoxin-sensitive Serinprotease). Die beiden sind daher in den fünf erwähnten Patenten als Erfinder genannt. Faktor C ist hochsensitiv auf Endotoxine und reagiert mit ihnen bereits bei extrem niedrigen Konzentrationen. Die rekombinante Form dieses Enzyms sei zudem „stabiler und chemisch beständiger“ als das native Limulus-Enzym, sagen die Forscher.

Inhaber der fünf Patente aus den Jahren 1998 bis 2003 sind jedoch nicht Ding Jeak Ling und Bow Ho, sondern die National University of Singapore. Diese erteilte im Jahr 2000 dem Biowhittaker-Konzern eine Exklusivlizenz zur Patentverwertung. Lonza ist der Rechtsnachfolger der nicht mehr existenten Firma Biowhittaker – und verwendet den rekombinanten Faktor C in seinen „Pyrogene“-Testkits zur Endotoxin-Erkennung.

Auch Hyglos verwendet Faktor C. Allerdings, so Firmenchef Wolfgang Mutter, verstoße man gegen keines der genannten Patente. Es sei seiner Firma gelungen, diese zu umgehen: „Unser EndoLISA-Kit enthält eine selbst entwickelte Faktor-C-Variante, deren Sequenz signifikant von der patentierten Lonza-Variante abweicht und vor der Patentanmeldung von Lonza bereits veröffentlicht war (prior-art).“ Laut Mutter befinde man sich bereits in Verhandlungen mit Lonza.

Waffen ungleich verteilt

Könnte der Ausgang des Patentstreits trotzdem zur existenziellen Frage für Hyglos werden? Auf den ersten Blick sind die Waffen ungleich verteilt: Lonza zählt rund 11.000 Mitarbeiter, die 2011 einen Umsatz von 2,2 Milliarden Euro erzielten. Hyglos beschäftigt kaum 20 Mitarbeiter; der Umsatz liegt im niedrigen einstelligen Millionenbereich. Ein Patentstreit in den USA ist üblicherweise eine kostspielige Angelegenheit. Ferner hat die obsiegende Partei Anspruch auf Schadenersatz.

Allerdings habe Hyglos kürzlich schon einmal die Oberhand behalten, so Mutter: Am 28. Februar 2012 habe man am Europäischen Patentamt in München bei einem anderen Patentstreit gegen Lonza Recht bekommen. Der Schweizer Konzern musste daraufhin sein Patent EP1409984 einschränken. Dieses beschreibt die Herstellung und Zusammensetzung bestimmter Pufferlösungen in Zusammenhang mit Faktor C und Endotoxin-Detektion.

Manchmal gewinnt also auch der Zwerg gegen den Riesen. Ob dies auch beim aktuellen Streit in den USA so sein wird, bleibt abzuwarten.

 


Winfried Köppelle
Bild: intek1/istock

Dieser Text ist in Laborjournal 6/2012 erschienen.



Letzte Änderungen: 26.06.2012
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