Editorial

Mit mRNA gegen Grippe

Die Tübinger Firma Curevac GmbH hat zusammen mit Forschern um Lothar Stitz vom Friedrich-Löffler-Institut (FLI) einen neuartigen Grippeimpfstoff auf mRNA-Basis hergestellt. Er funktioniert – in Mäusen und Hausschweinen.

editorial_bild

(10. Dezember 2012) Die Aufregung war groß im Oktober dieses Jahres: Die Grippeimpfstoffe wurden knapp! Schuld daran war ein Lieferengpass des Pharmariesen Novartis, der den Bundesländern aufgrund von Rabattverträgen mit den Krankenkassen die Impfstoffe liefern sollte. Verschärft wurde die Situation durch den Rückruf einiger Impfstoff-Chargen. Grund dafür: In den Vakzin-Lösungen waren Ausflockungen entdeckt worden – prompt war vielerorts von einem "Verdacht auf Verunreinigungen" zu lesen. Zu allem Übel konnte auch die Konkurrenz auf die Schnelle nicht genügend Impfdosen zur Verfügung stellen.

RNActive Vakzine, wie Curevac diese Impfstoff-Klasse bezeichnet, hätten in diesem Fall offenbar eine willkommene Alternative gewesen sein können. Im Gegensatz zur Herstellung der herkömmlichen Grippeimpfstoffe in Hühnereiern oder in Zellkultur werden mRNA-Vakzine komplett in vitro synthetisiert. Das hat theoretisch den Vorteil, dass auch kurzfristig viele Impfdosen produziert und bereitgestellt werden können. Zudem ist diese Herstellungsweise laut Curevac flexibler; angeblich ließen sich "noch während der Grippesaison Anpassungen an neu auftretende Virusstämme vornehmen".

Aktuell beruht die Zusammensetzung der Impfstoffe auf der jährlichen Voraussage der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sowie der Europäische Arzneimittelagentur (EMA) auf der Basis epidemiologischer Daten. Das geschieht, ebenso wie die Produktion der gängigen Influenzavakzine, weit im Voraus der Grippesaison, da die Herstellung in bebrüteten Hühnereiern etwa sechs Monate dauert.

Meist enthält ein Grippeimpfstoff einen Influenza B-Stamm und zwei Influenza A-Stämme. Influenza A-Viren sind durch die typischen Membranproteine Hämagglutin (H1-H17) und ein Enzym der Neuroaminidasen (N1-N9) gekennzeichnet – und werden auch dementsprechend benannt (z. B. H1N1). Die im Herbst dieses Jahres zurückgerufenen Impfstoffe Begripal und Fluad enthalten beispielsweise entsprechende inaktivierte Oberflächenantigene (Spaltvakzine), um das Immunsystem spezifisch dagegen „scharf“ zu machen. Der Nachteil dabei: Grippeviren mutieren relativ schnell, wodurch sich gerade diese Proteine oft verändern und der aufgebaute Impfschutz bald wirkungslos wird.

mRNA-Vakzine dagegen bieten, wie auch DNA-Vakzine, die potenzielle Möglichkeit, spontan auf diese Mutationen zu reagieren und innerhalb von wenigen Wochen neue Antigene für die Immunisierung herzustellen. Im Gegensatz zu den "RNActive"-Impfstoffen von Curevac jedoch bergen DNA-Vakzine die Gefahr, dass sich die DNA in das Erbgut der Zelle integriert und dadurch Mutationen hervorruft. (Impfstoffe aus Hühnereiern können dagegen durch weitere enthalten Eiweiße zu Unverträglichkeiten führen.)

Curevac stellt schon länger experimentelle RNActive Vakzine für andere Indikationen her, beispielsweise gegen bestimmte Tumoren. Mit Hilfe des basischen Proteingemischs Protamin wird die mRNA durch Komplexbildung vor Abbau im Körper geschützt und bleibt dadurch länger hitzestabil. Vor allem für Entwicklungsländer ist dies interessant, da auch bei fehlender Kühlkette die Wirksamkeit erhalten bliebe. Zusätzlicher Schutz und "optimale" Translation würden durch eine 5‘-Cap-Struktur und einen polyA-Schwanz am 3‘-Ende der mRNA gewährleistet, behaupten die Impfstoff-Entwickler.

RNActiveVakzine wurden bereits in klinischen Studien der Phase I/IIa bei Tumorerkrankungen untersucht. Bei Infektionskrankheiten ist dieser Ansatz jedoch bislang neu. „Die Herstellung basiert einzig auf der Sequenz des Virusgenoms“, erklärt Lothar Stitz, Leiter des Instituts für Immunologie am FLI. Diese wird umgeschrieben in mRNA, sodass nach deren Injektion die Immunzellen schließlich die gewünschten Virusproteine für die Immunisierung bilden. „Wir haben gegen verschiedene Abschnitte des Virusgenoms Impfstoffe entwickelt“, so Stitz weiter gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. „Beispiele sind das Oberflächenprotein Hämagglutinin, das sich sehr schnell verändert, wie auch das im Inneren des Virus liegende Nukleoprotein, das über alle Influenza-A-Viren hoch konserviert ist.“

Mit diesen mRNA-Impfstoffkonstrukten haben CureVac und das FLI vor kurzem erste präklinische Studien in Mäusen, Frettchen und Hausschweinen durchgeführt (Nature Biotechnology, Publ. online 25 Nov. 2012). Das Vakzin wurde den Tieren dabei jeweils in die Haut injiziert und anschließend auf sein immunogenes Potenzial und den vermittelten Impfschutz hin untersucht. Die Serokonversion, also die Entwicklung spezifischer Antikörper im Blut, war in Mäusen stark ausgeprägt. Die vorhandenen neutralisierenden Antikörper reichten aus, um die Mäuse effektiv vor einer Influenza A-Erkrankung zu schützen.

Diese Ergebnisse ließen sich analog auch in den anderen Tiermodellen reproduzieren. Auch in kritischen Altersgruppen, in diesem Fall neugeborene und sehr alte Mäuse, konnten die Tübinger mit ihrer Vakzinierung eine ausreichende Immunisierung ohne bemerkenswerte Nebenwirkungen erreichen. Ein weiterer Erfolg war nicht zuletzt die praktisch lebenslang bestehende Immunität dieser Mäuse.

Was fehlt, sind klinische Studien, die die Wirksamkeit und Sicherheit der RNActive-Impfstoffe im Menschen unter Beweis stellen. Hieran scheiterten schon viele bereits untersuchte DNA-Vakzine. Sollte diese Hürde genommen werden, könnten künftig Impfstoffe zur Verfügung stehen, die den bisherigen Grippe-Vakzinen in entscheidenden Punkten überlegen sind. Bis zu den ersten klinischen Ergebnissen werden wir uns jedoch noch ein paar Grippewinter gedulden müssen.

Stefanie Haas

(Illustration: Deborah Ervin)



Letzte Änderungen: 11.04.2013