Editorial

„Die Konzerne waren aus dem Häuschen!“

Wie kommt ein amerikanischer Pharmakonzern dazu, 135 Millionen Euro in eine deutsche Minifirma mit gut zwanzig Mitarbeitern zu stecken? Der Geschäftsführer der Ludwigshafener Phenex AG, Claus Kremoser, erklärt die Hintergründe.

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(19. März 2013) Kurz vor Weihnachten vermeldete die Phenex Pharmaceuticals AG aus Ludwigshafen, man werde künftig eng mit Janssen Biotech zusammenarbeiten, einem Tochterunternehmen des US-Konzerns Johnson&Johnson. Die Forschungskooperation soll langfristig neue Wirkstoffe zur Behandlung chronischer Autoimmunerkrankungen erbringen. Schon die Höhe der von den Amerikanern lockergemachten Summe sorgt für Aufsehen: Sage und schreibe 135 Millionen Euro könnten aufs Konto der Südwestdeutschen fließen, wenn sie ihre Aufgabe anständig erledigen; spätere Umsatzbeteiligungen würden weitere Millionen einbringen.

Ist die mit gut 20 Mitarbeitern vergleichsweise winzige Firma Phenex damit aller finanziellen Sorgen ledig? Gibt man die eigene Wirkstoffforschung jetzt auf ? Oder wollen die Rheinpfälzer künftig das ganz große Pharmarad drehen? Und warum zahlt ein US-Konzern 135 Millionen Euro für ein präklinisches Programm?

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Laborjournal: Worum geht es bei der unlängst verkündeten Forschungskooperation mit Janssen Biotech?

Claus Kremoser: Es geht um den Kernrezeptor RORgamma, kurz RorγT. Wie der Name schon andeutet sind Kernrezeptoren Proteine, die im Zellkern von Tieren vorkommen. Wenn sie durch einen Liganden aktiviert werden, können solche Kernrezeptoren DNA binden und dadurch die Transkription von Genen beeinflussen. RorγT ist ein Schlüsselfaktor für die Differenzierung der Th-17-Helferzellen des Immunsystems; diese produzieren das Signalpeptid Interleukin 17 (IL-17). Interleukin 17 scheint an der Vermittlung des Entzündungsgeschehens und damit an diversen chronisch entzündlichen Erkrankungen – Rheumatoide Arthritis, Schuppenflechte, Morbus Crohn, eventuell auch Multiple Sklerose – beteiligt zu sein.

Was konkret hat RorγT mit den genannten Autoimmunkrankheiten zu tun?

Kremoser: Der Kernrezeptor RorγT sorgt als „Hauptschalter“ dafür, dass aus T-Vorläuferzellen potenziell aggressive Th17-Zellen entstehen – und diese Th17-Zellen begünstigen vermutlich durch die Produktion und Ausscheidung von IL-17 die Entstehung dieser Erkrankungen. Wenn man also diesen Kernrezeptor RorγT durch einen Inhibitor blockieren würde, so könnte man damit die Bildung der Th17-Zellen unterbinden und damit sinnvoll ins Entzündungsgeschehen eingreifen. Diese Hypothese wurde in der Tat im Jahr 2011 durch zwei Nature-Publikationen gestützt: Man konnte RorγT durch bestimmte niedermolekulare Inhibitoren blockieren. Im Tiermodell konnte man durch diese Blockade chronisch entzündliche Erkrankungen hemmen [Huh et al., Nature 472(7344):486-90; Solt et al., Nature 472(7344):491-94].

Die RorγT/Th-17-Hypothese war somit für die Industrie interessant geworden...

Kremoser: Die Pharmaunternehmen waren aus dem Häuschen; plötzlich waren alle an RorγT interessiert. Wir selbst hatten RorγT allerdings schon davor für ein interessantes Target gehalten, und bereits 2008 dazu ein Wirkstoffforschungsprogramm gestartet – einfach indem wir die Literatur verfolgt und uns gedacht haben: Das könnte ein interessanter Schalter werden. Naja, und so kam es dann 2010 ja auch.

Wieso ist die Industrie nicht schon damals auf Sie zugekommen?

Kremoser: Big Pharma setzt erst Ressourcen frei, wenn sie beispielsweise durch ein Nature-Paper überzeugt wird; oder wenn jemand durch eine klinische Studie zeigt, dass ein Konzept funktioniert. Und letzteres ist 2012 indirekt passiert: Die drei Firmen Novartis, Amgen und Lilly haben Antikörper, die in den IL-17-Signalweg eingreifen, in drei klinischen Phase-II-Studien an mehreren hundert Psoriasis-Patienten getestet – und alle drei Studien konnten eine fulminante Wirksamkeit der Blockade dieses IL-17-Pathways zeigen. Mit anderen Worten: Wenn man IL-17 blockiert, hat man einen fantastischen Effekt bei Schuppenflechte – und wenn man RorγT blockiert, verhindert man die Differenzierung von Th17 und damit die Produktion von IL-17. Man setzt also einen Schritt früher in der Kaskade an. Damit gilt dieser ganze Pathway, dieser ganze Mechanismus als klinisch validiert. Der „clinical proof-of-concept“ war also vollbracht. Und ab diesem Zeitpunkt, also ab 2012, haben sich die Pharmafirmen beinahe überschlagen auf der Suche nach Biotechfirmen, die RorγT-Programme anbieten.

Und? Wurden sie fündig?

Kremoser: Mehrmals. Es gibt zum Beispiel seit 2010 eine sehr hoch bewertete, präklinische Zusammenarbeit zwischen der US-Biotechfirma Exelixis und dem Pharmakonzern Bristol-Myers Squibb; ferner gibt’s seit 2011 eine ähnliche Kooperation zwischen Lycera, ebenfalls aus den USA, und dem Pharmakonzern Merck & Co.; und die dritten, die eine RORgamma-Kooperation im dreistelligen Millionenbereich vereinbarten, waren Ende 2011 die schwedische Firma Karo Bio und Pfizer. In all diesen Fällen wurden dreistellige Millionenbeträge für präklinische RorγT-Projekte investiert, und das belegt das riesige Interesse der Pharmaindustrie am RorγT-Rezeptor als potenzielles Target zur Behandlung von Autoimmunkrankheiten. Naja, und wir waren halt die letzten am Markt, die ein seriöses Programm dazu anbieten konnten. Wir halten zudem eine Reihe von Patenten, und so haben eben letztes Jahr beinahe ein dutzend Pharmafirmen bei uns angefragt.

Sie haben sich letztlich für Janssen Biotech entschieden, ein Tochterunternehmen des US-Konzerns Johnson&Johnson. Warum?

Kremoser: Natürlich auch, weil die finanziellen Konditionen sehr gut waren. Entscheidend waren für uns jedoch andere Gründe. Erstens hat Janssen mit dem Antikörper Remicade bereits ein erfolgreiches Immunsuppressivum auf dem Markt; die kennen sich also mit der Zulassung von Präparaten gegen Autoimmunkrankheiten aus. Und zweitens hat uns Janssen vertraglich garantiert, dass wir in jedem Fall von den jeweils erreichten klinischen Meilensteinen profitieren werden, egal von welcher Seite des Atlantiks im Einzelnen der jeweilige wissenschaftliche Beitrag gekommen ist. Eine echte Partnerschaft also.

Wo spielt sich die künftige Forschung und Entwicklung ab – in Deutschland oder in den USA?

Kremoser: Sowohl als auch. Wir arbeiten eng zusammen; demnächst beispielsweise werden fünf Phenex-Mitarbeiter nach USA fliegen, um dort mit den Janssen-Leuten in deren Laboren zusammenzuarbeiten.

Im Winter 2002/2003 haben Sie zu fünft die Firma gegründet; im Sommer 2004 hatte Phenex immerhin schon 13 Mitarbeiter, und jetzt...

Kremoser: ... sind wir 22.

Stellen Sie neue Mitarbeiter ein? Geld genug hätten Sie jetzt ja.

Kremoser: Nein. Die Leute, die jetzt bei uns sind, haben auch schon die letzten Jahre an RorγT gearbeitet, und das läuft sehr gut. Nein, in Deutschland wird immer der Fehler gemacht, den Wert einer Biotechfirma anhand der Anzahl der Mitarbeiter zu messen. Das ist Schwachsinn – der Wert wird anhand der erzielten Wertschöpfung gemessen, beziehungsweise wieviel Umsatz Sie damit machen. Unser Ziel ist es daher gerade nicht, neue Leute einzustellen, weil es dann sehr schwierig wird, damit auch noch kommerziellen Erfolg zu erzielen. Wir brauchen das nicht – die Medizinalchemie wird größtenteils bei Janssen laufen, und wir machen hier eben weiter, was wir bisher schon gemacht haben.

Sie haben im Dezember gesagt, dass die Höhe der Vorauszahlung aus der Janssen-Kooperation ausreiche, um in der nächsten Zeit keine Finanzierungsrunden mehr durchführen zu müssen. Geht’s etwas konkreter?

Kremoser: Ich würde die Summe gerne nennen, aber wir haben uns vertraglich verpflichtet, darüber zu schweigen. Die Vorauszahlung reicht jedenfalls, um in den nächsten zwei Jahren eine Phase-II-Studie mit unserem eigenen FXR-Projekt durchführen und unsere Mannschaft hier bezahlen zu können.

Worum geht es bei diesem Projekt?

Kremoser: Wir untersuchen die Substanz Px-102, die den körpereigenen Gallensäurerezeptor FXR aktiviert, auf ihre Wirksamkeit als Medikament gegen mehrere Stoffwechselkrankheiten.

Und das läuft weiter wie bisher geplant, trotz der Janssen-Kooperation?

Kremoser: Natürlich. Aber um das mal grundsätzlich klarzustellen: Diese neue Kooperation, so toll sie auch sein mag, ist nicht der Return-of-Investment für unsere Investoren. Die haben in den letzten Jahren während mehrerer Finanzierungsrunden rund 22 Millionen Euro in unser Unternehmen investiert, von denen wir rund 5 Millionen bereits zurückgezahlt haben. Aber die restlichen 17 Millionen Euro müssen wir natürlich auch noch zurückzahlen – und das werden wir nur mit unserem eigenen FXR-Projekt schaffen. Deshalb müssen wir dieses natürlich parallel zur Janssen-Kooperation ebenfalls weiterbetreiben.

Und wie kommen Ihre Investoren dann zu ihrem Geld?

Kremoser: Indem wir das gesamte Projekt – oder die ganze Firma – nach der hoffentlich erfolgreichen Phase-II-Studie verkaufen.

Winfried Köppelle

 

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Nukleäre Rezeptoren (NR)

... sind Zielstrukturen („Targets“), an denen eine Reihe gut verkaufter Medikamente ihre Wirkung entfaltet – etwa der Entzündungshemmer Kortisol, der an den Glukokortikoid-Rezeptor bindet; oder Östrogen, Progesteron und Dihydrotestosteron, die über ihre Rezeptoren die sexuelle Differenzierung und Fortpflanzung steuern. Bei einigen Krebserkrankungen macht man es andersherum und verwendet bestimmte Antagonisten als Wirkstoffe, die den betreffenden NR blockieren. Bei den NR gibt es noch viel zu erforschen und damit auch ein enormes wirtschaftliches Potenzial: Man kennt im Menschen zwar bisher 48 dieser Rezeptoren – für die meisten davon jedoch weder den zugehörigen Liganden noch die genaue biologische Funktion.

Das Ziel der Firma Phenex ist es, Wirkstoffkandidaten zu finden, die an diesen NR ansetzen. Dazu verwenden die Phenex-Wissenschaftler eine Technologieplattform namens „SnuRM“ („selektiver Nukleärer Rezeptor Modulator“); diese kombiniert automatisierte Proteininteraktions-Methoden mit Genexpressions-Analyse. Derzeit stützen sich die Ludwigsburger auf zwei Standbeine: auf den Wirkstoff Px-102, der den körpereigenen Gallensäurerezeptor FXR aktiviert und demnächst in Phase II in der Behandlung diverser Stoffwechselkrankheiten untersucht werden soll – und auf noch zu entwickelnde Wirkstoffe, die den Kernrezeptor RORgamma hemmen und dadurch als Kandidaten für die Therapie von Autoimmunkrankheiten in Frage kommen könnten.


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Claus Kremoser

... ist Biochemiker und leitet seit zehn Jahren die Ludwigshafener Biotechfirma Phenex Pharmaceuticals. Seine wissenschaftliche Grundausbildung erhielt der Hobby-Koch und begeisterte Freizeitsportler in Tübingen, wo er 1996 am MPI für Entwicklungsbiologie über „die Beteiligung von Rezeptortyrosinkinasen bei der Ausbildung der Retinotektalen Projektion im Huhn“ promovierte. Nach einem Intermezzo bei Ernst & Young stieg er 1998 in leitender Funktion bei der Heidelberger Bioinformatikfirma Lion Bioscience ein – und nutzte seine Chance, als sein mittlerweile kränkelnder Arbeitgeber 2002 die Arzneimittelforschung aufgab: Zusammen mit fünf Kollegen (darunter seine heutigen Vorstandskollegen Thomas Hoffmann und Ulrich Deuschle) erwarb Kremoser die nötigen Laborgeräte, Wirkstoffbibliotheken und Patente und gründete die Phenex Pharmaceuticals AG. Seit 2003 führen die beiden dort mit inzwischen rund 20 Mitarbeitern die Wirkstoffsuche an nukleären Rezeptoren weiter.


(Der Artikel erschien bereits gedruckt in Laborjournal 3/2013: 52-4)



Letzte Änderungen: 19.04.2013