Editorial

Das ganze Hirn auf einmal...

... – Neue Mikroskopie-Methode macht’s möglich.
editorial_bild

(26. März 2013) Wie kommen eigentlich die wirklich großen Entdeckungen zustande? Fassen wir es einmal so zusammen: Gut beobachten, die richtigen Schlüsse daraus ziehen, daraus wiederum die richtigen Fragen stellen und schließlich die richtigen Ideen haben, wie man diese prüfen und lösen kann. Viele große Entdeckungen liefen in etwa nach diesem Schema ab.

Doch allzu oft verläuft dieser Weg etwas anders. Die Beobachtungen sind gemacht, die Schlüsse gezogen und auch die richtigen Fragen sind gestellt – doch man kann sie nicht angehen, da die Methodik dazu noch nicht ausreicht. Bis eines Tages die Technologie die Frage endlich eingeholt hat...

Ehrlich gesagt, ist dies womöglich sogar das gängigere Schema. Man nehme nur etwa die „Erfindung“ der PCR und welche Antworten auf lange gestellte Fragen dadurch plötzlich möglich wurden – nicht zuletzt das Sequenzieren ganzer Genome. Oder die stetige Weiterentwicklung der Mikroskopie, durch die man zuerst Zellen und dann immer kleinere Strukturen bis hin zu einzelnen Molekülen studieren konnte. Klar, dass dabei plötzlich viele Antworten auf alte Fragen möglich wurden, wenngleich aus den neuen Beobachtungen natürlich zugleich auch stetig neue Fragen formuliert werden konnten...

Ein klein wenig erinnert auch die Studie der beiden US-Forscher Phillip Keller und Misha Ahrens, die sie sinnigerweise gerade im Methoden-Edelblatt Nature Methods vorgestellt haben, an dieses Schema (doi:10.1038/nmeth.2434, publ. online 18. März 2013). Die Grundfrage an sich ist nämlich uralt: Wie arbeitet das Gehirn? Und auch wie man diesen einen Griff auf mögliche Antworten bekommen könnte, ist eigentlich schon lange klar: Die Aktivität aller Neuronen gleichzeitig messen und aufzeichnen. Doch wie dies tun?

Zwar hatte man es inzwischen mit entsprechenden Methoden geschafft, bis zu 2.000 Neuronen gleichzeitig zu beobachten. Allerdings war der Blick ins Hirn damit natürlich immer nur durch ein sehr kleines Fenster möglich, so dass große Teile davon schlichtweg im Schatten blieben. Man sah also immer nur ein kleines Bisschen und musste die Ergebnisse auf das große Ganze extrapolieren – mit allen Unsicherheiten, logischerweise.

Keller und Ahrens konnten das Fenster nun immerhin auf das gesamte Gehirn des Zebrafisches ausweiten. Möglich wurde dies... – na klar – durch eine neue Methode, die die Autoren „Light-Sheet Microscopy“ nannten. Diese basiert zum einen auf transgenen Zebrafischen, deren Neuronen das Calcium-Indikatorprotein GCaMP5G exprimieren. Wenn diese nun „feuern“, fluoreszieren die entsprechenden Indikatoren als Antwort auf die damit korrespondierende Fluktuation in der Calcium-Konzentration.

Doch wie macht man diese Fluoreszenzblitze umfassend sichtbar? Der entscheidende Trick von Keller und Ahrens war, dass sie das Fischlarven-Hirn unter dem Mikroskop nicht mit einem konventionellen Lichtstrahl durchleuchteten, sondern das Anregungslicht vielmehr in diskret gebündelten Scheiben (Sheets) hindurch schickten und die Signale mit einem Detektor auffingen. Auf diese Weise zeichnete das System alle 1,3 Sekunden die Aktivität von 80 Prozent der etwa 100.000 Zebrafisch-Neuronen auf.

Wie solche Hirnaktivitäts-Filme letztlich aussehen, kann man auf insgesamt neun Videos der Autoren sehen, die ihrem Nature Methods-Paper als „Supplementary Information“ anhängen. Der Wissenschaftsdienst des ORF schreibt etwa dazu: „Was auf den ersten Blick aussieht wie die Satellitenaufnahme einer nächtlichen Großstadt, ist in Wirklichkeit das elektrochemische Konzert tausender Neuronen.“ Nature News fand dafür ein anderes Bild: „Auf den ersten Blick sieht es aus wie ein seltsam geformtes Lagerfeuer: in rauchig-grauen Formen leuchten hier und da rote Funken und Blitze auf. Tatsächlich stellt das Video jedoch eine ganz andere Art Geknister dar: die Aktivität der einzelnen Neuronen quer durch das Gehirn einer Fischlarve.“

Hört sich doch schön an, oder? Doch auch wenn die Kollegen die Light-Sheet Microscopy von Keller und Ahrens im obigen Sinne als Durchbruch feiern und schon einige Szenarien entwerfen, was damit jetzt alles möglich werde – so sind dazu noch einige Hindernisse zu überwinden. Beispielsweise sind die Zebrafisch-Embryonen durchsichtig, so dass der Blick ins „aktivitätsblitzende“ Hirn relativ leicht ist. Für die Anwendung bei Mäusen und Menschen würde man dagegen wohl kaum um operative Eingriffe herumkommen.

Aber vielleicht gelingt ja auch hier bald der nächste „Methoden-Sprung“.

Ralf Neumann



Letzte Änderungen: 19.04.2013