Editorial

Der Wasserfloh und die Rote Königin

Basler Forscher um Dieter Ebert zeigen, dass der Wasserfloh Daphnia und einer seiner bakteriellen Parasiten nach den Regeln der Red Queen-Hypothese koevolvieren.
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(28. Mai 2013) „Wenn du am gleichen Ort bleiben willst, musst Du rennen, soviel du kannst“: Das ist die paradoxe Regel im Land der „Red Queen“ aus Lewis Carrolls Erzählung Through the Looking Glass. Wenn Biologen die Red Queen-Hypothese ins Spiel bringen, meinen sie damit also einen evolutionären Dauerwettlauf ohne Sieger, wie er beispielhaft zwischen Parasiten und ihren Wirtsorganismen stattfindet.

Um eine solche Koevolution von Parasit/Wirt-Beziehungen besser zu verstehen, hat sich die Arbeitsgruppe um Dieter Ebert am Zoologischen Institut der Universität Basel den Wasserfloh Daphnia magna samt seiner bakteriellen Plagegeister als „Haustier“ ausgesucht. Was natürlich Gründe hat. So kann sich der Wasserfloh (übrigens kein Floh, sondern ein kleiner Krebs) sowohl geschlechtlich, als auch durch Jungfernzeugung vermehren. Die Wasserflohforscher können daher unterschiedliche Genotypen miteinander kreuzen und die Nachkommen dann „klonal“ vermehren – wodurch sie beliebig viele Experimente im gleichen rekombinanten Hintergrund durchführen können.

In ihrer zuletzt erschienenen Arbeit haben sich die Basler Forscher Pepijn Luijckx, Harris Fienberg, David Duneau und Dieter Ebert nun ein wichtiges Koevolutionsmodell aus dem Baukasten der theoretischen Genetiker experimentell vorgeknöpft, das sogenannte „Matching Alleles“-Modell (MAM) (Current Biology; 23. Mai 2013; DOI: 10.1016/j.cub.2013.04.064).

Das MAM ist eine theoretisch-genetisch exakte Formulierung des Red Queen-Prinzips: Parasiten können den Wirt nur dann befallen, wenn ihr „Schlüssel“ (der „Virulenz-Faktor“) passgenau ins „Schloss“ (der Resistenzfaktor) des Wirts passt. Verändert sich der Resistenzfaktor, so ist der Parasit erst mal ausgesperrt. Aber nur solange, bis die Parasitenpopulation einen neuen Genotyp des Virulenzfaktors hervorbringt, der in das veränderte Schloss passt. Zugleich macht sich aber schon wieder eine neue Version des Resistenzfaktors breit, die dem Parasit erneut Probleme macht – und immer so weiter. Im theoretischen Modell entsteht so ein langfristiges Gleichgewicht – ein irrer Wettlauf zwischen Wirt und Parasit, der aber gerade ausreicht, um die jeweilige Stellung zu halten.

Das Problem: Die Theoretiker können diverse Varianten des MAM wunderbar im Rechner simulieren. Was bisher fehlte, war der eindeutige experimentelle Beleg, dass ein real existierendes Wirt-Parasit-System die Bedingungen des Modells erfüllt.

Dabei gilt es insbesondere, eine zentrale Vorhersage des Schlüssel-Schloss-Prinzips im Rahmen des MAMs zu testen: Eine Genotypveränderung an einem einzigen Genort des Wirts sollte ausreichen, um Resistenz und Anfälligkeit in Bezug auf zwei Parasiten-Genotypen umzukehren. Konkret: Ist der Wirt zuerst anfällig für Parasitenstamm A, aber resistent gegen Stamm B, so ist nach Austausch eines einzigen Allels der Wirt nun resistent gegen A, aber zugleich anfällig für Stamm B.

Hier kommen nun endlich die Wasserflöhe ins Spiel. Die Arbeitsgruppe um Ebert hält sich einen Zoo aus verschiedenen Daphnia-Stämmen im Labor; darunter auch zwei, die von einem Fundort in Finnland stammen und sich – das ist jetzt wichtig – in ihrer Anfälligkeit gegen parasitische Bakterien unterscheiden: Einer der beiden Wasserfloh-Stämme ist resistent gegen Genotyp „C1“ des Bakteriums Pasteuria ramosa, jedoch aber anfällig für den Genotyp „C19“ der gleichen Bakterienart; beim „Schwesterstamm“ dagegen sind Resistenz und Anfälligkeit genau umgekehrt verteilt.

Ideale Voraussetzungen also, um die Vorhersage des MAM zu testen. Die Basler Forscher kreuzten die beiden Daphnia-Stämme und infizierten die Kreuzungsprodukte jeweils mit den zwei Bakterienstämmen C1 und C19. Auf die Details des Kreuzungsschemas und Komplikationen, wie mögliche Epistase, Dominanz und Genkopplung, verzichte ich hier und springe gleich zum Kernergebnis der Arbeit:

Die Forscher fanden rekombinante Wasserfloh-Stämme, die für jeweils nur einen der beiden oder auch für beide Bakterien-Stämme anfällig sind – und zwar in Verhältnissen, die sich gut mit mendelscher Genetik erklären lassen. Die Kreuzungsdaten legen insbesondere nahe, dass in der Tat eine einzige Allel-Substitution den Status der Resistenz bzw. Anfälligkeit in den beiden Parasitenstämmen vertauschen kann – genau wie vom MAM verlangt. 

Steckt man die Rahmendaten der beobachteten Genetik in eine Computersimulation, so zeigt sich auch in silico, dass das Wasserfloh-Bakterium-System nach den Regeln des MAM funktioniert. Konkurrierende genetische Modelle, die „universelle Resistenz“ annehmen, decken sich dagegen eher nicht mit den neuen und auch älteren Daten aus dem Ebert-Labor.  

Das freut zwar den Theoretiker, molekular- und zellbiologisch interessierte Evolutionsbiologen werden jedoch am Ende des Papers etwas enttäuscht sein. Welche Gene die Resistenz im Wasserfloh und die Virulenz der Bakterien vermitteln, und welche zellbiologischen Mechanismen das Eindringen der Parasiten jeweils ermöglichen oder verhindern – all dies ist nicht Thema der neuen Studie von Ebert und Co.

Trotzdem ist das Paper von grundsätzlicher Bedeutung, denn gerade um die Evolution der sexuellen Vermehrung zu verstehen, spielen Parasiten und Koevolution eine zentrale Rolle. Wirtsorganismen gewinnen nämlich eventuell einen adaptiven Vorteil, wenn sie Varianten möglicher Resistenzgene effektiv in der Population austauschen – eben durch sexuelle Rekombination. Unter dem Diktat der Red Queen überwiegen demnach die Fitnessvorteile der sexuellen Vermehrung gegenüber den unweigerlichen „evolutionären Kosten“, die das umständliche Prozedere zwischen Männchen und Weibchen mit sich bringt. Das MAM ist daher ein Schlüsselmodell für die exakte genetische Beschreibung des Übergangsszenarios von klonaler zu sexueller Vermehrung unter dem Einfluss der Parasiten.

Das Reich der Red Queen nicht nur in Modellen und Simulationen, sondern draußen im Feld abzustecken, ist also mühsam, aber hoffentlich lohnend – denn warum wir uns den Mühen der sexuellen Fortpflanzung hingeben, anstatt uns klonal zu vermehren, das wollen wir doch schon irgendwann einmal wissen.

Hans Zauner



Letzte Änderungen: 31.05.2013