Editorial

„Sex sells“ war gestern

Aus der Reihe "Erlebnisse einer (anderen) TA"

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(31. Mai 2013) Werbebroschüren entwerfen heißt, sich etwas einfallen zu lassen. Der Empfänger und potentielle Käufer hat in der Regel selten auf genau diese Broschüre gewartet – folglich hat er nur wenig bis gar keine Zeit und Ambitionen, sie zu lesen. Vor allem, wenn man nach dem strengen Zeitplan seiner Testreihen im Labor arbeitet.

Umso wichtiger ist demanch die äußere Aufmachung der Broschüre. Denn wer sieht sich schon eine schnöde Broschüre an, die lediglich Produktinformationen enthält? Heutzutage benötigt man einen Aufhänger – etwas, das den Empfänger gleich auf der Umschlagseite in den Bann schlägt.

Zuletzt bewährt hat sich da offenbar die reichliche Bebilderung mit Tieren. Warum sonst sollten mehr und mehr Firmen ihre Werbung mit faunischen Abbildungen schmücken?

Sogar die beiden Cheerleader, die – schräg von unten gegen das Licht betrachtet, oder so ähnlich – einen Antikörper darstellten, mussten jetzt einer chimärenhaften Kreuzung aus Schwein, Kuh und anderen Antikörperlieferanten Platz machen. „Sex sells“ war eben gestern.

Den Grund für diese Marketingstrategie habe ich, außer bei dem Antikörperhändler, bis heute nicht begriffen, vertreiben die herausgebenden Firmen doch kein Tierhaltungszubehör, sondern Reagenzien und Laborbedarf.

Wie lange suche ich nicht schon den Zusammenhang zwischen putzigen Fuchswelpen und den im Innenteil beworbenen Proteaseinhibitoren? Oder zwischen Blaufußtölpeln und Restriktionsenzymen?

Heute flatterte ein frisch ersonnenes Prachtexemplar ins Labor, fast sogar wortwörtlich, zierte das Deckblatt der Werbung doch der Kopf eines knallbunten Vogels.

Im Innenteil stieß ich rechterhand auf ein Ganzkörperfoto desselben, nebst exakter Auskunft über seine Schnabellänge und was das gute Tier im Alltag so damit anfängt.

Mein mentales Suchprogramm „tierisch-kaufmännischer Zusammenhang“ sprang sofort darauf an. Hatte der Vogel einen Bezug zum Slogan der Firma? Der Schnabel eine vergleichbare Funktion wie die Enzyme?

Derart beflügelt schlug meine Phantasie regelrechte Kapriolen. Es ging sogar soweit, dass ich mich im Internet über die Ernährungsgewohnheiten des Tieres kundig machte, ob genau jene angepriesenen Enzyme dabei eine Rolle spielen – mehr noch, ob die Enzyme vielleicht sogar aus einem seiner Artgenossen isoliert wurden. Was allerdings beides nicht der Fall war.

Ob man bei all seinen Überlegungen zu einem befriedigenden Ergebnis kommt, ist letztlich jedoch gar nicht wichtig. Der Vogel hat seine Aufgabe schon längst erfüllt, hat der Kunde die Broschüre doch sorgfältig studiert. Anstatt sie einfach wegzuwerfen, wie es die meisten von uns mit einer vogellosen, unbefuchsten oder tölpelfreien Variante getan hätten.

Maike Rupprecht



Letzte Änderungen: 31.05.2013