Editorial

Computer, die auf Ameisen starren

Ameisenarten zu bestimmen ist ein kniffliger Job für Spezialisten. Auch die vermeintlich idiotensichere DNA-Analyse hilft nicht immer weiter. Görlitzer Forscher am Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum haben jetzt ein Verfahren entwickelt, das die Artbestimmung weitgehend automatisiert.
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(11. Juni 2013) So mancher angehende Molekularbiologe sitzt während des Studiums irgendwann vor einem Dutzend aufgespießter Insekten, blättert ratlos in einem Bestimmungsschlüssel und rätselt über kryptische Fachausdrücke: Hat das Bein jetzt vier oder fünf Tarsen – äh, was sind diese ominösen Tarsen überhaupt? Und wieso gibt’s in diesem drögen Buch eigentlich keine Abbildungen?

Insgeheim denkt der angehende Laborbiologe, von endlosen Bestimmungsübungen mürbe gemacht: „Gebt mir doch einfach ein Paar Primer und eine PCR-Maschine. Ich mach' euch schnell eine DNA-Analyse, dann wissen wir, wie dieses Biest auf lateinisch heißt.“

In der Tat hat die molekulare Systematik die Taxonomie revolutioniert und praktisch jedes forschende naturkundliche Museum hat heute auch Molekularbiologen beschäftigt. Wer nun aber meint, die „klassische“, morphologische Taxonomie wäre mit dem genetischen Fortschritt überflüssig geworden, der liegt auch falsch. Denn einerseits müssen die DNA-Daten zumindest einmal an beispielhaften, eindeutig bestimmten Exemplaren festgemacht werden – und dazu braucht man dann doch wieder jemanden, der das Tier morphologisch von anderen Arten abgrenzen kann.

Außerdem gibt es oft ganz praktische Hindernisse für Gen-Analysen. In den Insektenkästen der naturkundlichen Museen ist so manches wertvolles Einzelstück festgepinnt – dem kann man für eine DNA-Analyse eben nicht einfach mal ein Bein ausreißen. Und gerade bei historischen Museumsexponaten klappt die Extraktion des Erbguts oft sowieso nicht mehr; die Kuratoren der Vergangenheit haben nämlich nicht darauf geachtet, DNA-schonende Konservierungsmethoden einzusetzen.

Etwas unbeachtet vom Mainstream der Lebenswissenschaften macht aber auch die klassische Taxonomie ihre eigenen technischen Fortschritte. Die Systematiker nutzen dabei oft die gleichen, ausgefeilten statistischen Methoden und Computer-Algorithmen, die auch die Molekularbiologen für die Datenaufbereitung einsetzen.

So haben Görlitzer Ameisenexperten um Bernhard Seifert vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum jetzt ein Verfahren entwickelt, mit dem sie Ameisen schnell und effizient einer Spezies zuordnen können (Myrmecol. News 19: 1-15).

Die Krabbeltiere kommen dabei zuerst unter ein hochauflösendes Stereomikroskop, das automatisch alle zur Bestimmung wichtigen Parameter erfasst. Anschließend beginnt die Software mit der eigentlichen Bestimmungsarbeit. Zum Einsatz kommt dabei ein statistisches Tool, das auch viele Genomiker und Bioinformatiker zumindest dem Namen nach kennen – die sogenannte Cluster-Analyse.

Allgemein gesprochen, landen bei der Cluster-Analyse Objekte mit ähnlichen Eigenschaften in gemeinsamen Gruppen. Die Software baut also eine „Ähnlichkeits-Hierarchie“ auf, die grafisch in einem Dendrogramm dargestellt wird – also einem verästeltenden Schema, das die Distanzen der Gruppen zueinander zeigt. Für das spezielle Problem der Artbestimmung haben die Senckenberger Forscher einen Algorithmus entworfen, den sie „Next Centroid Clustering“ (NC-Clustering) nennen.

Der Ameisen-Algorithmus kommt dabei auch mit ausgesprochenen Härtefällen zurecht. In einem Test mit 48 Artenpaaren lag die Methode nur in 2% der Fälle daneben; weitere Verfeinerungen drücken die Fehlerquote noch weiter nach unten. Nur etwa zwei Stunden brauchen die Forscher so pro Artbestimmung.

Allerdings funktioniert die Methode insbesondere deshalb so reibungslos, weil die Ameisen Kolonien bilden und so jeweils mehrere „Ausführungen“ der Arbeiterinnen einer Kolonie eingelesen werden können. Nur so schafft es das NC-Clustering, die arttypischen Besonderheiten aus dem „Hintergrundrauschen“ herauszufiltern – trotz individueller Schwankungen in der Merkmalsausprägung. Geeignet ist das Verfahren also in erster Linie für kolonienbildende Insekten wie Ameisen oder Bienen. Bei anderen Arten muss sich immer noch ein Experte mit Verstand und Urteilsvermögen an die Bestimmung machen.

Und wenn der keine Zeit hat, bleibt der Job vielleicht doch am Molekularbiologen hängen.

Hans Zauner

(Illustrationen: KevinDuffy.net, YourWildLife.org)



Letzte Änderungen: 02.10.2013