Editorial

MDC feuert Vorstand / Charité verlängert mit Einhäupl

Die Finanzkrise im Berliner Max-Delbrück-Centrum fordert ihr erstes Opfer: Das Kuratorium der Stiftung berief Verwaltungsvorstand Cornelia Lanz mit sofortiger Wirkung ab. - Mit aktuellem UPDATE!
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Sie geht, er bleibt: Aufregung und Finanzdebatte in Berlin

(14. August 2013) Die Idylle auf dem Forschungscampus im Berliner Ortsteil Buch trügt; zumindest im Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) ist die Welt nicht mehr in Ordnung. Eine schwere Finanzkrise lastet auf dem Forschungsinstitut und sorgt für Unruhe und Debatten unter den Mitarbeitern. Das MDC muss sparen, die Budgets der 57 Arbeitsgruppen werden um 20 Prozent (in Einzelfällen noch höher) gekürzt, berichten Insider. Viele Professoren reagierten empört, zahlreiche Arbeitsgruppen waren kurz zuvor mit hervorragenden Ergebnissen evaluiert worden. Manche fragen sarkastisch, ob jetzt auch das „Futter für die Mäuse“ in den Forschungslabors rationiert wird.

Ende Mai informierte Vorstandschef Walter Rosenthal die Mitarbeiter über eine „erhebliche Finanzierungslücke“. Das MDC sei schneller gewachsen als die Finanzmittel, so der Wissenschaftler, und gestand „Fehler und Versäumnisse in der „Finanzplanung und beim Controlling“ ein. Man habe die Leitung der Finanzplanung neu ausgeschrieben und arbeite an einem Konzept für ein „kontinuierliches Controlling. Dann verteilte der Pharmakologe Beruhigungspillen: Niemand müsse um sein Gehalt fürchten.

Um die Ursachen für das Schlamassel zu finden, durchleuchtete die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young acht Wochen lang Zahlen und Abläufe. Nach Lektüre der Ergebnisse und einer Anhörung von Rosenthal und Lanz zog das Kuratorium unter Vorsitz von Bärbel Brumme-Bothe aus dem  Forschungsministerium (BMBF) die Reißleine. Der adminstrative Vorstand Cornelia Lanz, erst 2008 aus Lübeck gekommen, musste sofort gehen.

"Erhebliche Defizite festgestellt“

Das Kuratorium habe „erhebliche strukturelle und personelle Defizite in der Administration des Zentrums festgestellt“ – mit diesen Worten überbrachte der „überlebende“ Rosenthal am 6. August den Beschäftigten die Abberufung. Die Nachricht sickerte durch, doch gegenüber der Öffentlichkeit zeigte sich das MDC verschlossen wie ein Geheimdienst. Eine Deckungslücke in zweistelliger Millionenhöhe, dieser Betrag macht in Buch hartnäckig die Runde, wollte Institutssprecher Josef Zens „weder bestätigen noch dementieren“. Krise und Sparkurs konnte der frühere Journalist nicht mehr leugnen, durfte offenbar zunächst keine Details preisgeben. Das Schicksal vieler Sprecher.

Nach Dokumenten, die Laborjournal vorliegen, wird das zur Helmholtz-Gemeinschaft gehörende MDC auf Grund des Sparkurses in den kommenden Jahren deutlich langsamer wachsen. Administration und wissenschaftliche Arbeitsgruppen werden ihre Ausgaben „vorübergehend spürbar einschränken müssen“, so Rosenthal. Auf Basis eines „Eckpunktepapiers“ des Kuratoriums arbeite man an einem „Konsolidierungskonzept“. Die nächsten Schritte sollen die Mitarbeiter am 16. August auf einer Personalversammlung erfahren. Am 2. September wird Rosenthal dem Kuratorium das Konsolidierungskonzept zur Beschlussfassung vorlegen. Die Aufpasser wollen auf Nummer sicher gehen: Sie haben zur Beratung eine Task Force eingerichtet mit hauseigenen und externen Fachleuten.

UPDATE (14.08., 12:00 Uhr): Bis 2015 will man eine schwarze Null, auf deutsch: Dann soll endlich Ende sein mit den Verlusten.

Die Finanzmisere trifft das MDC zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Erst im Juni wurde in Anwesenheit zahlreicher Gäste aus Wissenschaft und Politik die Gründung des „Berliner Instituts für Gesundheitsforschung“ (BIG) verkündet (Laborjournal berichtete bereits in seiner Printausgabe 12/2012 auf Seite 6 über diesbezügliche Pläne). Der Bund und das Land Berlin stellen bis 2018 rund 300 Millionen Euro zur Verfügung, davon 90 Prozent der Bund, um die Grundlagenforschung des MDC und die medizinische Forschung der Charité unter einem Dach zu vereinen. Die Ansprüche sind hoch, Forschungsministerin Johanna Wanke (CDU) erwartet „bahnbrechende Impulse für die Gesundheit der Menschen“.

Neben der Lösung der Finanzkrise muss das MDC mit dem Aufbau des BIG somit eine zweite anspruchsvolle Aufgabe stemmen. Das MDC verwaltet während der Übergangsphase bis 2015 – dann soll das BIG als eigenständige Körperschaft arbeiten – Finanzmittel in Höhe von 12 Millionen Euro (2013) und 26 Millionen Euro (2014), was MDC-Sprecher Zens bestätigte. Dass ausgerechnet das MDC, dem die Ausgaben aus dem Ruder gelaufen sind, jetzt zusätzlich Millionenbeträge verantworten muss, sorgt für Spott und Häme: „Die können doch nicht mal mit dem eigenen Geld umgehen“.

Manche wundern sich, dass das Kuratorium als Aufsicht nicht früher eingeschritten ist, denn die Probleme waren schon letztes Jahr bekannt (siehe dazu UPDATE unten).

Das Streichorchester des MDC könnte einen Dominoeffekt auslösen. Ohne Schuld gefährdet ist das ECRC (Experimental and Clinical Research Center) in Buch – ein Kooperationsprojekt zur translationalen Forschung, zu gleichen Teilen finanziert von Charité und MDC. Auch hier will das MDC den Rotstift ansetzen, während einzelne Projekte wie das BIMSB (Berlin Institute for Medical Systems Biology) oder das sog. 7-Tesla-Projekt von MDC und PTB (Physikalisch-Technische Bundesanstalt) von der Streichorgie verschont bleiben sollen.

Charité verlängert mit Einhäupl

Im Gegensatz zum MDC, das unverhofft ins Rampenlicht geraten ist, liefert die Berliner Charité seit Jahren zuverlässig und in regelmäßigen Abständen neuen Zünd- und Diskussionsstoff für die Medien. Fast auf den letzten Drücker verlängerte der Aufsichtsrat vergangenen Montag den nur noch bis Ende August gültigen Dienstvertrag mit dem Vorstandsvorsitzenden Karl Max Einhäupl um weitere fünf Jahre.

Über die Personalie wird seit Monaten spekuliert, denn der Neurologe hat sich mit seinem Sparkurs nicht nur Freunde gemacht. Immer neue Gerüchte machten die Runde. Dass der 66-jährige Neurologe eine Verlängerung um fünf Jahre gefordert, der Senat aber nur drei Jahre angeboten habe, dementierte Thorsten Metter, Sprachrohr von Wissenschaftssenatorin Sandra Scheeres (SPD), ebenso heftig wie Mutmaßungen, der Neurologe habe Vertragsverhandlungen mit Zusagen über eine Erhöhung der Investitionsmittel verknüpft.

Trotz Dementi: Papier ist geduldig. Im Frühjahr erklärte der Neurologe gegenüber einer Berliner Zeitung seine Bereitschaft zum Weitermachen. Eine „Mission impossible“ werde er nicht antreten. Voraussetzung für einen wirtschaftlichen Betrieb und zur Auflösung des Modernisierungs- und Investitionsstaus seien Investitionsmittel von zusätzlich 600 Millionen Euro. „Vom Entgegenkommen des Landes wird es abhängen, ob Einhäupl seinen bis August 2013 laufenden Vertrag verlängert“, schrieb das Blatt, zu dem Einhäupl einen guten Draht pflegen soll.

Manche meinten, mit dieser Forderung habe der Neurologe seine Chancen auf eine Vertragsverlängerung aufs Spiel gesetzt. Auch machten ihm letztes Jahr zwei schwere Kommunikationspannen zu schaffen. Trotz einer großen PR-Abteilung holte sich Einhäupl externe Hilfe aus dem Rheinland ins Haus. Auf der anderen Seite konnte der seit 2008 amtierende Vorstandschef mit kleinen Überschüssen im Jahr 2011 (8 Mio. Euro) und 2012 (5 Mio. Euro) bei der Politik für sich punkten.

Im Mai stellte der Aufsichtsrat die Ampel auf „grün“. Man könne sich Einhäupl weiterhin als Vorstandsvorsitzenden vorstellen, war sich das Gremium einig. Notwendig sei Kontinuität, mit der BIG-Gründung, den Umbaumaßnahmen, neuen Berufungen stünden schwere Aufgaben vor der Tür. Als Aufsichtsratsvorsitzende erhielt Senatorin Scheeres den Auftrag, den Vertrag final auszuhandeln.

Brisante Vertragsdetails?

Letzte Woche brodelte plötzlich die Gerüchteküche. Die Berliner Zeitung berichtete über angeblich brisante Details im Vertragsentwurf und einen Dissens zwischen Finanzsenator Ulrich Nussbaum (parteilos) – der ebenfalls im Aufsichtsrat sitzt – und Scheeres. Der Fünfjahresvertrag enthalte eine komfortable Ausstiegsklausel, dagegen habe Nussbaum „Bedenken“ angemeldet. Einhäupl könne nach drei Jahren ausscheiden, bei teilweise oder ganz weiterlaufenden Bezügen. Scheeres-Sprecher Metter tobte: „Das ist die Unwahrheit.“

Nach der Vertragsverlängerung fand Aufsichtsratschefin Scheeres lobende Worte für den 66-Jährigen. Dieser habe „Großes geleistet und wichtige Weichen gestellt“. Fragen nach möglicherweise brisanten Details im Vertrag blieben unbeantwortet. Der Wiedergewählte räumte gegenüber der „Berliner Abendschau“ ein, die  Personalausstattung bei Ärzten und Pflegekräften sei „am Limit angekommen ohne viel Spielraum“. Politiker aller Parteien hätten begriffen, dass die Charité „dringend mehr investive Mittel benötige, um weiterhin in der Weltspitze mitspielen zu können“. Konkret wurde der Neurologe nicht. Finanzsenator Nussbaum hielt sich bedeckt und stand der „Abendschau“ für ein Interview nicht zur Verfügung.

Beobachter rechnen mit einer Neuauflage der alten Diskussion über Strukturen und Standorte. Diese sei letztlich nie ganz beendet worden. Offiziell wurde das Kriegsbeil vor fünf Jahren mühsam begraben, durch die Zusammenführung der drei universitären Standorte (Wedding, Mitte, Steglitz) unter das Dach der „Charité – Universitätsmedizin Berlin“. Doch die Berliner Politik hat sich vor unliebsamen Entscheidungen gedrückt. „Fakt ist: Die Charité erhält finanzielle Mittel für zwei Standorte, um drei Standorte am Laufen zu halten“, meint ein Gesundheitspolitiker. „Das funktioniert auf Dauer nicht.“

Carsten Becker, Vorsitzender im Gesamtpersonalrat, stimmt die Personalräte bereits auf Konflikte ein. Viele seiner Mitstreiter im Personalrat sind neu und daher nicht vertraut mit alten Schlachten und Standortdebatten. Vor der letzten Personalratssitzung am Montag vergangener Woche ließ Becker alte Papiere aus 2009 verteilen, deren Inhalt aktuell ist. Der Personalrat kämpft für alle drei Standorte, erteilt einer Privatisierung oder Teilprivatisierung eine strikte Absage, auch mit dem Hinweis auf die 2008 gescheiterte Kooperation von Helios und der Charité in Buch. Aus der Personalvertretung dringen auch andere Stimmen. Entweder müsse die Politik mehr finanzielle Mittel für drei Standorte zur Verfügung stellen oder einen Standort dicht machen. „Der jetzige Kurs ist nicht zu halten.“

Charité und MDC, über das BIG künftig enger verbunden, müssen jetzt die Gründung stemmen. Trotz der Lobeshymnen aus Politik und Wissenschaft für das neue Institut und nach der Vertragsverlängerung von Einhäupl: Viele Mitarbeiter sind ernüchtert. „Nachdem sich der Weihrauch um das BIG verflüchtigt hat“, schreibt der Fakultätspersonalrat, „sehen wir keinen Garten Eden, sondern die alte steinige und staubbedeckte Ebene, auf der uns einer weiterer Hungerwinter – neuer Personalabbau – erwartet.“

Hermann Müller

UPDATE (14.08., 12:00 Uhr): Nach mehreren Presseberichten hat das MDC seine zugeknöpfte Haltung zumindest zum Teil aufgegeben: Gegenüber der Berliner Zeitung (Ausgabe 14. August 2013), seinem alten Blatt, räumt Institutssprecher Zens ein, bereits Ende 2012 habe sich ein Defizit von 12 Millionen Euro abgezeichnet. Damals hatte das MDC bereits Probleme, die Rechnungen zu begleichen, wie Lieferanten und Vertragspartner berichten. (hm)

Fotos: Charité / Gesundheitsstadt Berlin



Letzte Änderungen: 09.09.2013