Editorial

Vesikeltransport nach Stockholm

Thomas Südhof, Randy Schekman und James Rothman teilen sich den diesjährigen Medizin-Nobelpreis. Alle drei Preisträger forschen an amerikanischen Universitäten. Mit Südhof ist aber auch ein Deutscher unter den Geehrten.

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(7. Oktober 2013) Göran Hansson, der Sekretär des Nobelkomitees, hat heute die ersten Einladungen nach Stockholm verteilt: Zwei Amerikaner und ein gebürtiger Deutscher werden sich Gedanken machen müssen, wo sie einen repräsentativen Frack auftreiben. Denn am 10. Dezember dürfen Thomas Südhof (Universität Stanford), Randy Schekman (Universität Berkeley) und James Rothman (Universität Yale) den von Alfred Bernhard Nobel gestifteten Preis für Physiologie oder Medizin entgegennehmen.

 

Mit ihren jeweils eigenen Ansätzen haben die drei Forscher über Jahrzehnte hinweg einen zentralen Mechanismus der Zelle aufgeklärt: Wie kommen Moleküle von ihrem Produktionsort ans Ziel, und wie ist der intrazelluläre Fracht-Transport organisiert?

 

Denn das Zellinnere ist keine strukturlose Masse. Moleküle erfüllen ihre Aufgaben an einem ganz bestimmten Ort. Membranproteine beispielsweise müssen an ihren Platz an der Zelloberfläche gelangen; auch Hormone und Neurotransmitter, die zur kontrollierten Ausschüttung bestimmt sind, dürfen nicht einfach irgendwo abgeladen werden. Auf dem Weg vom Produktionsort zum Ziel reisen die Moleküle in Transportvesikeln. Diese Vesikel sind kleine, membranumschlossene Gefäße, die mit molekularen „Adressfähnchen“ versehen sind. Auf ihrer Oberfläche tragen sie Proteine, die wie ein Schloss funktionieren. Am richtigen Ort angekommen, steht dort ein passender Schlüssel bereit, um das Vesikel zu öffnen.

 

Das gemeinsame Lebensthema der diesjährigen Preisträger sind die molekularen Mechanismen dieses durch-organisierten zellulären Transportwesens. Dabei gingen die drei Forscher aber mit je eigenen Methoden und Schwerpunkten vor.

 

Randy Schekman setzte auf Mutanten der Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae. In diesen Mutanten funktioniert der Frachttransport nicht mehr richtig, die Vesikel stauen sich in der Zelle. Schekman und seine Mitarbeiter machten sich daran, nach den mutierten Genen in ihren Hefestämmen zu fischen. Sie konnten zentrale Agenten des Vesikeltransports identifizieren.

 

Wenn ein Vesikel mit der Zellmembran fusioniert und seinen Inhalt an die Aussenwelt abgibt, so wird dieser Vorgang von einer Protein-Maschinerie kontrolliert und gesteuert. Ein Protein-Komplex auf dem Transport-Vesikel nimmt Kontakt zu passenden Molekülen an der Ziel-Membran auf; so wird sichergestellt, dass die Ladung genau am vorgesehenen Ort abgegeben wird. James Rothman bekommt den Preis insbesondere dafür, dass er molekulare Details dieses Andock- und Fusions-Prozesses aufgeklärt hat.

 

Thomas Südhof schliesslich hat sich die Vesikel-Fusion in Nervenzellen vorgenommen. Die Signalübertragung an der Synapse einer Nervenzelle erfolgt chemisch, über die Fusion von Vesikeln, die Neurotransmitter enthalten. Es kommt dabei nicht nur auf den richtigen Ort, sondern auch ganz entscheidend auf den richtigen Zeitpunkt an. Millisekundengenau getimtes Ausschütten des Vesikelinhalts – wie macht die Zelle das? Südhof fand unter anderem heraus, dass Kalzium-Ionen eine entscheidende Rolle als Signalgeber spielen.

 

Eine der ersten Fragen bei der Pressekonferenz in Stockholm war erwartungsgemäß die nach der medizinischen Anwendbarkeit der Arbeiten. Da ein fundamentaler zellulärer Mechanismus im Zentrum des diesjährigen Preises steht, fällt es sicher schwer, einen bestimmten medizinischen Zusammenhang hervorzuheben – aber das Nobelkommittee weist darauf hin, dass wir durch die Arbeiten der drei Preisträger Volkskrankheiten wie Diabetes besser verstehen. Insulin ist nämlich auch eines der Moleküle, die kontrolliert in Vesikel verpackt, korrekt adressiert und genau dosiert freigesetzt werden müssen.

 

Allerdings äusserte sich Professor Patrik Rorsman von der Universität Oxford gegenüber dem Guardian auch skeptisch zu den direkten medizinischen Anwendungsmöglichkeiten der Arbeiten: „Der Preis ist hochverdient. [..] Ich glaube, der Nutzen liegt eher darin, dass wir verstehen, wie Zellen funktionieren. Der Prozess [des Vesikeltransports] ist fundamental und findet in allen Zellen statt, es könnte deshalb schwer sein, dort pharmakologisch einzugreifen.“

 

Wieder einmal ging der Preis an in Amerika tätige Forscher, aber mit Südhof ist ein gebürtiger Deutscher unter den Geehrten. Er studierte Medizin in Aachen, Harvard und Göttingen und promovierte 1982 am Max Planck Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen. Den Nobelpreis dürfen sich trotzdem in erster Linie die Amerikaner auf die Fahnen schreiben, denn schon nach der Promotion wechselte er in die USA, an das University of Texas Southwestern Medical Center. (UPDATE: Südhof war zwischen 1995 und 1998 auch Direktor am Max Planck Institut für Experimentelle Medizin in Göttingen. Über die Hintergründe hatte Laborjournal schon 1998 berichtet).  Seit 2008 ist Südhof Professor an der Universität Stanford.

 

Schekman stand schon seit Jahren auf den Wettlisten für ein Ticket nach Stockholm. Er ist seit 1989 Professor für Molekular- und Zellbiologie an der Universität Berkeley – wo er ab heute einen der für Nobelpreisträger reservierten Parkplätze direkt vor dem Eingang benutzen darf.

 

Auch Rothmans Lebenslauf zieren die Namen der amerikanischen Elite-Unis: Nach Stationen am Massachusetts Institute of Technology (MIT), in Princeton und Stanford ist er seit 2008 Professor in Yale.

 

Angesichts der freudigen Gesichter verdienter Preisträger ist heute vielleicht der falsche Tag, um es anzusprechen; aber ob der Nobelpreis in seiner überlieferten Form überhaupt noch zeitgemäß ist, das wird von Jahr zu Jahr fraglicher. Mehr als drei Preisträger pro Kategorie lassen die Regeln nicht zu. Aber dass einzelne Forscher einen ganz großen Durchbruch quasi im Alleingang erzielen – diese Zeiten sind lange vorbei, falls es sie denn je gegeben hatte. Mehr als je zuvor sind medizinische und biowissenschaftliche Durchbrüche heute ein Produkt eines verzweigten Forschernetzwerks. Drei Forscher herauszupicken, die eine große Idee hatten oder bei nächtelanger Laborarbeit über die eine, sensationelle Entdeckung stolperten - das ist eigentlich unmöglich, denn so funktioniert Forschung heute nur noch ganz selten. Und auch dieses Jahr wird vielleicht bald die Diskussion losgehen, wen die Nobelversammlung des Karolinska-Instituts unfairerweise übergangen habe; das empörte Nachkarten gehört schließlich auch seit Jahrzehnten zum Ritual.

 

Aber der Faszination der mehr als hundert Jahre alten Tradition kann man sich schwer entziehen, und so ist der Nobelpreis immer noch der ultimative Lorbeerkranz für Naturwissenschaftler. Die Naturwissenschaftlerinnen dagegen werden gerne mal übersehen. Nur 10 der mehr als 200 Preisträger in der Kategorie Physiologie oder Medizin sind Frauen.

 

 

Hans Zauner

 

 

Quelle: Pressemitteilung von Nobelprize.org

Foto: MDoug, Public domain



Letzte Änderungen: 08.04.2014