Editorial

Trügerische Champagner-Nasen

Britische Forscher entkorkten Champagner aus Frankreich für eine professionelle Blindverkostung. Ihre Statistiken sind ernüchternd, aber auf die transparente Veröffentlichung der Rohdaten darf man anstossen.
editorial_bild

(9. Dezember 2013) An Weihnachten und Silvester sollen vielerorts Champagner-Gläser klirren. Im Supermarkt stehen Menschen mit ratlosen Gesichtern vor dem Weinregal. So gesehen gerade rechtzeitig erschien nun eine Arbeit über das edle Getränk aus Frankreich in der Open-Access-Zeitschrift Flavour (doi:10.1186/2044-7248-2-25).

Vanessa Harrar, Postdoc an der Universität Oxford, und ihre Kollegen hatten eine Gruppe von 15 Test-Trinkern zur Champagner-Blindprobe gebeten. In schwarzen Gläsern, und natürlich ohne einen Blick auf Flasche und Etikett werfen zu können, bekamen sie verschiedene Sorten des Edelgesöffs kredenzt. Zu den professionellen Champagnertestern gesellten sich social drinker – also ganz normale Leute, die gerne in Gesellschaft ein Glas oder zwei heben, ohne sich überdurchschnittlich mit Geschmacks-Nuancen, Herstellungsverfahren oder Herkunftsregionen auszukennen.

Unerkannte Qualitätsmerkmale

Harrar wollte wissen, ob die Tester den jeweiligen Anteil weißer Chardonnay-Trauben herausschmecken und ob die Experten darin besser sind als Laien. Der Hintergrund: In der Welt der Schaumwein-Freunde gilt der Anteil weißer Trauben in der Champagner-Mixtur als  charakteristisches Merkmal. Je nach Sorte verwenden die Winzer neben den Chardonnay-Trauben nämlich mal mehr, mal weniger oder gar keine roten Weintrauben. Angeblich prägt dieses Verhältnis entscheidend das Geschmacksprofil verschiedener Champagner-Sorten.

Das Ergebnis der Blindverkostung ist aber ernüchternd. Die britischen Akademiker haben sowohl dem Mythos Champagner also auch dem Experten-Dünkel einen Knacks versetzt. Denn selbst den Profis gelang es nicht, die angeblich charakteristischen Sorten mit einem hohen Anteil weißer Trauben herauszuschmecken.

Und was ist mit dem oft gehörten Ratschlag, dass man guten Champagner am Preis erkenne? Fehlanzeige auch hier. Auf dem letzten Platz auf der Beliebtheitsskala landete ausgerechnet die teuerste Flasche im Test, ein „Perrier-Jouët Belle Epoque Blanc de Blanc 2002“, für den Normalsterbliche bis zu 470 Euro pro Flasche auf den Tisch legen müssen (die Forscher bekamen ihn allerdings vom Hersteller geschenkt).

Feine Nasen

Waren die Experten, die an dieser Studie teilnahmen, vielleicht wortgewaltige Blender, die zwar lyrische Ergüsse über Dunkelfruchtnasen verfassen können, aber einen exzellenten Champagner nicht erkennen, wenn man ihnen einen solchen unter die Nase hält? An anderen Merkmalen jedoch zeigte sich, dass die Verkoster, die Harrar auswählte, durchaus feine Nasen haben. Im Vergleich zu Schaumwein-unerfahrenen Testpersonen waren sie beispielsweise besser darin, die verwandten Eigenschaften „Süße“ und „Fruchtigkeit“ zu unterscheiden.

Es sind also vielleicht doch die französischen Getränke-Hersteller, mit ihren geschickt lancierten Marken und preistreibenden „Qualitätsmerkmalen“, die geschmackliche Unterschiede vorgaukeln, die bei objektiver Beurteilung kaum wahrnehmbar sind.

Champagner oder prestigearme Plonke?

Die Studie aus Oxford ist zumindest nicht die erste Arbeit, die diesen Schluss nahelegt. Harrar et al. zitieren aus dem 1986 erschienenem Buch „Wine Scandal“ von Fritz Hallgarten: Ausgewiesene Experten bekamen demnach zehn verschiedene Schaumwein-Sorten vorgesetzt und sollten am Geschmack erkennen, in welchem Glas das Original aus Frankreich seine edlen Perlen wirft, und wo vermeintlich gewöhnlichere Sorten a la Sekt und Cava sprudeln. Sie konnten es in aller Regel nicht. Meist erklärten die Tester kurzerhand denjenigen Schaumwein zum Champagner, der dem jeweiligen Verkoster am besten schmeckte; auch wenn es in Wirklichkeit eine prestigearme Plonke aus Wein-Entwicklungsländern war.

Fasst man die Studien zum Thema zusammen, dann sieht es tatsächlich so aus, als ob man weder Champagner von anderen Schaumweinen geschmacklich unterscheiden könne, noch unter den Champagner-Sorten die angeblich charaktervollen Sorten mit einem hohen Anteil weißer Trauben.

Open Data lässt die Korken knallen

Nun gut, mit 15 Testern insgesamt und nur 4 Experten ist die Datenbasis der Studie aus Oxford  doch sehr klein und deshalb vielleicht nicht allzu aussagekräftig. Aber jenseits der Tatsache, dass solch lebensnahe Forschung vorzügliches Small-Talk-Futter für die Feiertage abgibt, ist die Arbeit noch aus einem anderen Grund erwähnenswert, meint Ben Johnson, ein Mitherausgeber des Journals Flavour. Harrars Arbeit sei nämlich ein vorbildliches Beispiel dafür, wie Wissenschaftler ihre Daten kommunizieren sollten Open Data ist das Stichwort.

Bei Open Data denkt man ja automatisch an Big Data – also Genomsequenzen, Proteinstrukturen und „-omics“-Projekte aller Art. Hier aber haben wir es mit einer wirklich kleinen, methodisch simplen Blindverkostung perlender Getränke zu tun. Lobenswert jedoch: In klar strukturierter Form haben die Autoren sämtliche Rohdaten auf der Daten-Plattform Figshare zum Download bereitgestellt (hier).

Diese Transparenz sollte selbstverständlich sein, aber quer durch alle Fachbereiche gehen Wissenschaftler immer noch knausrig mit ihren Daten um. Dass die Open-Data-Philosophie aber zunehmend Anklang findet, ist doch ein Grund, die Korken knallen zu lassen. Es muss ja nicht gleich Champagner sein.

 

Hans Zauner


Foto: Wikimedia (user RoswithaC) creative commons  attribution / share alike 3.0



Letzte Änderungen: 28.01.2014