Editorial

Forschungsstandort Schweiz: Per Abstimmung ins Abseits

Die Eidgenossen beenden per Volksabstimmung die Personenfreizügigkeit zwischen der EU und der Schweiz. An die Wissenschaftler dachte dabei kaum einer. Haben Schweizer Forscher jetzt noch Chancen auf EU-Fördergelder?
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(17. Februar 2014) Noch drei Wochen vor der Abstimmung über die Einführung von Quoten für Einwanderer aus der EU hatten Vertreter aller Schweizer Universitäten,  der Wissenschaftsakademien und des Schweizer Nationalfonds ein „Manifest für einen offenen Bildungs- und Forschungsplatz Schweiz" verfasst. Offenheit und Zusammenarbeit seien die Basis für exzellente Lehre und Forschung. Die Unterzeichner zeigten sich überzeugt, dass „die Schweizer Bevölkerung diesen Trumpf weiterhin behalten will". Am Sonntag, 9. Februar bewies eben diese Schweizer Bevölkerung das Gegenteil.

                               Vogel-Strauß-Haltung

Hitzige Debatten drehten sich um überfüllte Züge, Lohn-drückende Ausländer und das Zubetonieren des ländlichen Raums. Weder das 8. Rahmenprogramm der Europäischen Kommission („Horizon 2020"), noch das Studenten-Austauschprogramm „Erasmus+" schafften es in die Schlagzeilen. In der linken Wochenzeitung „WOZ" meinte ein Wissenschaftler: „Akademiker aus den Technik- und Naturwissenschaften sind meist ziemlich unpolitisch. Den Leuten in meinem Team leuchtet es nicht ein, warum man dieser Initiative überhaupt zustimmen sollte – sie sehen schlicht keine Logik dahinter." Die Autorin der „WOZ“ beklagte dann auch die Vogel-Strauß-Haltung der Wissenschaftler.

Die Wissenschaftler fühlten sich wohl sicher. Schließlich waren es auch nicht die Universitäts-Städte, die der Initiative zustimmten, sondern die Vorstädte und das Land. In Zürich und Lausanne, mit je zwei Universitäten, liegt der Ausländeranteil um die 25 Prozent. Dort lehnten zwei Drittel die Vorlage zur Abschaffung der Freizügigkeit ab. In ländlichen Orten stimmten ihr dagegen fast drei Viertel zu.

Arbeitskräfte rein, Studenten raus

Die Politiker der wählerstärksten Schweizerischen Volkspartei, welche die Initiative lanciert hatte, kümmerten sich wenig um Wissenschaft. Als das Parlament im Juni 2013 das Budget von umgerechnet 3,6 Milliarden Euro für „Horizon 2020" bewilligte, stimmten sie dagegen. Ein Vertreter meinte: „Armee ist eine Kernaufgabe des Staates, Forschung nicht." Als ein anderer nach der Volksabstimmung gefragt wurde, wie die nun beschlossenen Zuwanderungs-Kontingente umgesetzt werden sollen, meinte der Politiker, dass die nötigen Arbeitskräfte weiterhin kommen sollten. Begrenzen könne man ja bei den ausländischen Studenten.

Die Zahl der ausländischen Studenten (22 Prozent in den Jahren 2010/11) und Professoren (49 Prozent im Jahr 2010, Tendenz steigend) war schon in früheren Jahren ein heißes Thema. Universitäten sehen einen hohen Prozentsatz ausländischer Studenten gerne als Bestätigung ihrer Qualität, während gewisse Politiker lieber nur für einheimischen Nachwuchs bezahlen wollen.

Nach der Abstimmung fürchten die Universitäten nun, dass das Abkommen mit der EU zu „Horizon 2020" nicht unterschrieben werden kann. In der Tat hat die EU die laufenden Verhandlungen unterbrochen.

Freizügigkeit als Bedingung

Der Hintergrund: Auch wenn die Schweiz kein Mitglied der EU ist, nahm sie schon seit 1987 an den milliardenschweren Rahmenprogrammen teil. Diese Programme sind mit mehr als hundert bilateralen Abkommen verknüpft. Eine fundamentale Säule dieser Verträge zwischen den Eidgenossen und der EU ist jedoch die Personenfreizügigkeit. Nach dem Votum vom 9. Februar ist es unwahrscheinlich geworden, dass die Schweiz die Freizügigkeit jetzt noch auf das neue EU-Mitglied Kroatien ausdehnt. Genau dies hatte die EU aber zur Bedingung für ihre Unterschrift unter die bilateralen Abkommen gemacht.

Gegenwärtig wetteifert die Schweiz erfolgreich um europäische Projekte. Der ETH-Rat, der die Aufsicht über die ETH Zürich und die EPF Lausanne hat, schrieb im April 2013, dass die Schweiz für jeden Euro, den das Land für das 7. Rahmenprogramm ausgebe, eineinhalb Euro Fördergelder aus dem Topf zurückerhalte. Die Hochschulen wären hinter Oxford und Cambridge auf den Plätzen drei und vier, wenn man alle Fördergelder des European Research Council (ERC) der letzten fünf Jahre zählen würde. Der ERC sei hinter dem Schweizer Nationalfonds gar die zweitwichtigste Quelle für kompetitiv erworbene Mittel geworden.

Gang in die Mittelmäßigkeit

Das fehlende Geld kann ersetzt werden. Der gute Ruf und die Vorteile der internationalen Zusammenarbeit nicht. „Im Endeffekt ist es die Möglichkeit, uns mit anderen zu messen, die in Frage gestellt wird. Wenn es uns nicht gelingt, die besten Forscher anzuziehen, wird das akademische System der gesamten Schweiz darunter leiden", sagte Patrick Aebischer, der Präsident der EPF Lausanne dem Westschweizer Radio. Der Rektor der Universität Basel, Antonio Loprieno, sagte dem Deutschschweizer Radio: "Das wäre ein Gang in die Mittelmäßigkeit und davor kann man nur Angst haben."

Nun warten alle gespannt auf die Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU. Das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation teilte mit, dass wegen der „potentiellen Unsicherheit über den künftigen Teilnahmestatus der Schweiz" (gemeint ist, ob die Schweiz zukünftig ein „assoziiertes“ oder nur ein „Drittland“ ist) jeweils geprüft werden solle, ob Forscher eines anderen Landes die Projektleitung übernehmen könnten. Antragsteller sollen sich aber weiterhin gemäß den Anforderungen der Europäischen Kommission an ERC-und Marie Curie-Ausschreibungen beteiligen.

 


Florian Fisch

 

Foto: iStock



Letzte Änderungen: 11.04.2014