Editorial

Do it again, Strudelwurm!

Der Strudelwurm Schmidtea mediterranea stößt auf ein chemisches Signal hin seinen Schlund ab. Entwicklungsbiologen nutzen das aus, um die Genetik der Regenerationsfähigkeit dieser Tiere zu studieren.
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(1. Mai 2014) Strudelwürmer aus der Klasse der Plattwürmer sind kleine, heutzutage eher obskure Modelltiere mit einer großen Geschichte. Ende des 19. Jahrhunderts machten Thomas Hunt Morgan und Charles Manning Child eine Reihe einfacher Experimente, die Entwicklungsbiologen bis heute vor Rätsel stellen. Denn Strudelwürmer wie Schmidtea mediterranea haben eine bemerkenswerte Fähigkeit zur Regeneration. Schneidet man sie in der Mitte quer durch, so regenerieren beide Hälften den jeweils fehlenden Abschnitt, also Kopf oder Schwanz. Noch ungewöhnlicher: Zerschnippselt man einen Plattwurm in dutzende kleine Gewebestückchen, so entsteht aus jedem einzelnen Stück nach kurzer Zeit ein „neues“ Würmchen.

Wo steckt die Positionsinformation?

Zwar kennt man heute den Ablauf der Regeneration ein wenig besser. Spezialisierte, pluripotente Stammzellen, sogenannte Neoblasten, werden an der Verletzungsstelle aktiv, sie teilen und differenzieren sich, bis der ursprüngliche Körperteil wieder hergestellt ist.

Aber noch immer ist eine zentrale Frage weitgehend ungelöst: Woher „wissen“ die Zellen nahe der Wunde, welche Teile des Körpers nachwachsen müssen? Schon Morgan und Child zeigten in ihren systematischen Experimenten, bei denen sie die Würmer an verschiedenen Positionen entlang der Körperachse zerschnitten, dass immer genau die jeweils fehlenden Abschnitte nachwachsen. Abstrakt ausgedrückt: An der Schnittstelle ist Positionsinformation kodiert. Aber was das konkret bedeutet, und welche molekularen Mechanismen diese mysteriöse Information ablesen, ist auch mehr als hundert Jahre später reichlich unklar. Um es vorwegzunehmen, auch die amerikanischen Forscher um Adler et al. haben in ihrer kürzlich im Journal eLife erschienenen Arbeit darauf noch keine Antwort gefunden (eLife 2014;3:e02238). Aber ihre eleganten Experimente sind ein interessanter, neuer Ansatz, um diese wichtige Uralt-Frage der Entwicklungsbiologie anzugehen.

Chemische Amputation mit Natrium-Azid

Denn anstatt mit einem scharfen Messer ganze Teile des Wurms abzuschneiden, sind die Entwicklungsbiologen des Stowers Institute for Medical Research in den USA auf eine Methode gestossen, mit der sie gezielt den Regenerationsprozess eines einzelnen Strudelwurm-Organs verfolgen können. Der Trick: Taucht man Schmidtea in eine Natrium-Azid-Lösung, so löst sich der Schlund der Tierchen sauber ab, der Rest des Wurms bleibt intakt. „Chemische Amputation“ nennen die Autoren dieses Verfahren. Der Regenerationsfortschritt lässt sich anhand der Fressrate quantifizieren. Erst wenn der Schlund komplett wiederhergestellt ist, können die Würmer am Futter-Büffet voll zuschlagen.

Was kann man nun mit diesem System anstellen? Adler und Kollegen machten sich zuerst einmal an eine globale Analyse der Genexpressions-Veränderungen während der Regenerationsphase. Unter den so identifizierten 356 „interessanten“ Genen, die während des Nachwachsens aktiv werden, fischten die Autoren 20 Gene heraus, die in RNAi-Knockdown-Versuchen einen Phänotyp zeigen, also offenbar in irgendeiner Weise an der Regeneration beteiligt sind.

FoxA als Master-Regulator

Der Transkriptionsfaktor FoxA hat sich dabei als besonders interessant herausgestellt. Wird FoxA-mRNA durch RNAi-Knockdown ausgeschaltet, so unterbleibt die Regeneration des Schlundes fast vollständig, während das Gen auf die Regeneration anderer Körperteile wenig Einfluss zu haben scheint.

FoxA sitzt also offenbar weit oben in der Hierarchie der Signalkette während der Initiation der Schlund-Regeneration und scheint ganz spezifisch das Nachwachsen dieses Organs zu steuern.

Wie nun generell Positionsinformation entlang der Körperachsen von Schmidtea vermittelt wird, bleibt zwar weiterhin unklar. Aber zumindest für ein Organ, den Schlund, kennen die Forscher jetzt ein Gen, das dort und nur dort über das Nachwachsen entscheidet.

Wieso kann der Mensch keine Organe regenerieren?

Plattwürmer sind nicht das einzige Tiermodell für Regenerationsprozesse. Auch Fische und Amphibien können Gliedmaßen und einzelne Organbestandteile wiederherstellen. Zoologisch und medizinisch interessant ist deshalb natürlich die Frage, wieso Säugetiere wie der Mensch diese umfassende Regenerationsfähigkeit weitgehend verloren haben, und ob man sie eventuell medikamentös „reaktivieren“ könnte.

Wirbeltiermodelle wie der Zebrafisch haben gegenüber den Plattwürmern in dieser Hinsicht den Vorteil, dass an ihnen gewonnene Erkenntnisse vielleicht ein wenig leichter auf den Menschen übertragbar sind.

Aber die Gutachter des eLife-Papers lobten die Eleganz der  Experimente mit  „chemischer Amputation“. Der Ansatz zeigt jedenfalls neue Wege auf, wie man den Fähigkeiten dieses traditionsreichen Modellorganismus endlich auf die Spur kommen kann.

 

Hans Zauner


Abb.: Adler et al,  eLife 2014;3:e02238 (Creative Commons-Attribution)



Letzte Änderungen: 30.09.2015