Editorial

Offene Daten für Cybertaxonomen

(19. Juni 2014) Die Unterzeichner der Bouchout Declaration fordern Strukturen für einen offenen Datenaustausch über die globale Artenvielfalt.
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 Burgen sind Wahrzeichen des Abwehrens und Verrammelns. Die Burg Bouchout war daher auf den ersten Blick eine zweifelhafte Ortswahl, um eine Erklärung für mehr Offenheit und Austausch in der Biodiversitätsforschung zu unterzeichnen. Aber die Anlage um die belgische Sehenswürdigkeit  beherbergt auch den nationalen botanischen Garten und ist daher schon eine passende Umgebung, um die Forschung zur Artenvielfalt voranzubringen.

Unter den Erst-Unterzeichnern der „Bouchout Declaration for Open Biodiversity Knowledge Management“, die am 12. Juni im Rahmen des pro-iBiosphere-Projekts auf den Weg gebracht  wurde, ist auch das Berliner Museum für Naturkunde. „Museumssammlungen auf der ganzen Welt besitzen unschätzbar wertvolle Biodiversitätsinformationen, die oft in dunklen Räumen versteckt sind“, erklärt Museumsdirektor Prof. Johannes Vogel in einer Pressemitteilung zur Unterzeichnung der Erklärung. Die Vision der Bouchout Declaration: Die Segnungen vernetzter Big Data sollen auch der Erkundung der Artenvielfalt zugute kommen.

„Cybertaxonomie“ wird diese recht neue Forschungsperspektive manchmal genannt. Sich vom Schreibtisch aus schnell einen Überblick über alle Daten zu einer Art oder einer Gattung zu verschaffen, ist heute meist mühsam bis unmöglich. Online-Recherchen verlaufen häufig im Sande oder stoßen an die Paywalls der Wissenschaftsverlage, sofern die gesuchten Informationen überhaupt in digitaler Form vorliegen.

Digitales Abbild der Artenvielfalt

Nach dem Willen der Unterzeichner der Erklärung sollen Museen und Wissenschaftler möglichst viele ihrer Informationen über die globale Artenvielfalt digitalisieren und offen zugänglich machen. Und neu gewonnene Daten aus laufenden Forschungsprojekten sollen so schnell wie möglich in einem offenen Format vorliegen. Nicht nur Beschreibungen neuer Arten, auch Daten über dazugehörige Fundorte, Bestandsentwicklungen, ökologische Parameter, DNA-Barcodes, und so weiter, könnten digital vernetzt werden und so zu neuen Erkenntnissen führen.

Die Big-Data-Enthusiasten unter den Naturforschern wollen auf diese Weise mit der Bestandsaufnahme der Artenvielfalt unseres Planeten schneller vorankommen. Ein wichtiges Ziel, denn den Wissenschaftlern läuft die Zeit davon, angesichts der Bedrohungen vieler Lebensräume, beispielsweise durch den Klimawandel und die Zerstörung von artenreichen Habitaten. So manche Art stirbt aus, bevor sie der Wissenschaft überhaupt bekannt ist.

„Wir müssen dieses Wissen als eine wertvolle Ressource für die ganze Menschheit verwalten“, erklärt Donald Hobern, Executive Secretary der Global Biodiversity Information Facility (GBIF), ebenfalls ein Bouchout-Unterzeichner der ersten Stunde.

Technische Hürden

So schön die Vision eines vernetzten, digitalisierten, offen zugänglichen Abbilds der globalen Artenvielfalt ist, so schwierig sind die Hürden ihrer Umsetzung – aus technischen, aber auch aus forschungs-kulturellen Gründen. Da ist einmal die historische Dimension der Naturforschung: Sammlungen und Literatur zur Artenvielfalt reichen Jahrhunderte zurück. Selbst uralte  Artbeschreibungen des Gründers der professionellen Taxonomie, Carl von Linné (1707 - 1778), sind nach wie vor wichtige Arbeits-Dokumente für die heutige taxonomische Forschung. Und anders als beispielsweise in der Genomik, mit ihren schicken Online-Werkzeugen wie Genbank und BLAST, sind die Biodiversitäts-Daten meist an dreidimensionale Objekte in naturhistorischen Sammlungen gebunden – und an deren Interpretation in der Literatur. Man kann die Informationen also nicht so einfach in eine standardisierte Datenbank hochladen wie die Rohdaten einer neuen DNA-Sequenz.

Dazu kommen die Unterschiede der verschiedenen Forschungstraditionen: Pflanzenforscher, Mikrobiologen und Zoologen haben jeweils ihre eigenen Standards und Gepflogenheiten  entwickelt, nach denen Arten erfasst und beschrieben werden; und selbst innerhalb dieser Disziplinen gibt es Unterschiede.

Freier Zugang für Cybertaxonomen

Ein einheitliches Knowledge Management ist deshalb das Stichwort, um das viele Diskussionen in der recht neuen Grenzdisziplin der „Biodiversitäts-Informatik“ kreisen. Es gibt schon einige Initiativen, die daran arbeiten: GBIF will offene Daten nach international einheitlichen Standards vernetzen; Die Encyclopedia of Life (EOL) veröffentlicht frei zugängliche Arten-Steckbriefe; und auch die internationalen Nomenklatur-Kommissionen für die korrekte Benennung der Arten machen Schritte in Richtung Digitalisierung. Beispielsweise dürfen Taxonomen seit kurzem neue Tier- und Pflanzen-Namen auch in rein digitalen Fachzeitschriften publizieren. Und mit ZooBank hat die internationale Kommission für zoologische Nomenklatur (ICZN) eine Datenbank ins Leben gerufen, die als Register für korrekte Namen und zugehörige Literaturzitate dienen wird. Diese Initiativen miteinander zu vernetzen ist ebenfalls ein wichtiges Ziel der Cybertaxonomen.

Aber neben technischen Lösungen und einheitlichen Standards benötigt ein erfolgreiches „Biodiversity Knowledge Management“ vor allem eines: Offenen Zugang zu den Daten. Nicht horten, sondern teilen ist die Devise. Die Bouchout Declaration soll den Open Data-Verfechtern unter den Naturforschern eine gemeinsame Stimme geben und sie auf das Ziel einschwören. Unterzeichnen können Institutionen, aber auch Einzelpersonen. Bisher haben sich mehr als hundert Unterstützer der Initiative angeschlossen.

Allerdings: Wie so oft bei wohlklingenden Absichtserklärungen ist noch etwas unklar, welche konkreten Folgen das Dokument haben kann. Die Deklaration fordert keinerlei Verpflichtungen von den Unterzeichnern und schweigt sich weitgehend aus über konkrete Schritte. Ob die Erklärung mehr bewirken kann als ein gegenseitiges Schulterklopfen derjenigen, die sich sowieso schon über den richtigen Weg einig sind, muss sich erst noch zeigen.

 

 

Hans Zauner


Abb.: Logo d. Bouchout Declaration



Letzte Änderungen: 06.08.2014