Editorial

Evo-Devo mit Pünktchen

(22. Oktober 2014) Maulbrütende Buntbarsch-Weibchen fahren auf gefleckte Afterflossen ab. Verhaltensforscher fasziniert das schon lange. Basler Evolutionsbiologen haben sich das bizarre Merkmal jetzt aus entwicklungsgenetischer Sicht angeschaut – und einen Tatort der Evolution gefunden.
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Die Afterflosse von Astatotilapia burtoni ist eine merkwürdige Ausgeburt der Evolution. Die Flosse des Männchens zeigt runde, gelbe Flecken, die aussehen wie die kleinen Eier dieser Buntbarsch-Art. Und in der Tat lassen sich die Weibchen davon täuschen. A. burtoni und verwandte Arten aus der Gruppe der Haplochromiden betreiben Brutpflege, die Weibchen nehmen ihre Eier schon kurz nach der Ablage mit dem Maul auf. Wohl deshalb steuern sie auch die Egg Spots der männlichen Afterflosse an – um die vermeintlichen Eier in Sicherheit zu bringen.

Angezogen durch die markanten Flecken, befindet sich das mit Eiern beladene Maul des Weibchens dann in unmittelbarer Nähe der männlichen Genitalöffnung; die Chancen auf eine erfolgreiche Befruchtung stehen günstig.

Exzentrische Maul-Befruchtung

Die Egg Spots sind ein evolutionär relativ junges Merkmal, das auf die Haplochromiden beschränkt ist. Nahe verwandte Buntbarsche brüten zwar auch im Maul, jedoch ohne dieses exzentrische Detail des Befruchtungsvorgangs.

Die auffällig pigmentierten Flossen und ihre Entstehungsgeschichte sind daher ein spannendes Problem für die evolutionäre Entwicklungsbiologie („Evo-Devo“). Während die klassische Evolutionsbiologie beispielsweise daran interessiert ist, welche Fitness-Faktoren und welche ökologischen Umstände zu neuen Merkmalen führen („Warum“-Fragen also), stellen die Evo-Devo-Enthusiasten „Wie“-Fragen: Wie werden neue Merkmale hervorgebracht? Welche Gene, welche DNA-Mutationen und welche Signalwege sind beteiligt, wenn die Evolution neue Kniffe erfindet?

Ein wichtiger Mechanismus der Entstehung neuer Eigenschaften lässt sich mit einem häufig zitierten Satz zusammenfassen: „Alte Gene lernen neue Tricks“. Bereits bestehende Gene und Signalwege bekommen durch Mutationen (oft in Folge einer Gen-Duplikation) eine neue Aufgabe. Auch während der Evolution der Ei-Flecken auf der Afterflosse der Haplochromiden hat eine Mutation ein bestehendes molekulares Werkzeug rekrutiert – in diesem Fall zu Pigmentierungszwecken. Die Insertion eines mobilen genetischen Elements scheint dabei „den Schalter umgelegt“ zu haben. Das zumindest legt eine neue Arbeit eines Teams der Universität Basel um Walter Salzburger und Markus Affolter nahe (M. Emilia Santos et al., Nature Communications 5:5149).

Alte Gene, neue Tricks

Santos et al. suchten mit einem Transcriptomics-Ansatz nach Genen, die in der männlichen Afterflosse von A. burtoni anders reguliert sind als im weiblichen Gegenstück. Zwei unterschiedlich regulierte Gene, fhl2a und fhl2b, fielen dabei ins Auge. Insbesondere fhl2b wird genau dann aktiv, wenn die Bildung der Ei-Flecken beginnt. Auch die Expressionsmuster in situ passen ins Bild, denn die Gene sind während der Entwicklung der Afterflosse tatsächlich im Bereich der sich bildenden Flossen-Flecken aktiv. Ihre Aufgabe dort scheint zu sein, die Bildung  bestimmter Pigmentzellen (Iridiophoren) zu steuern.

Die fhl2-Gene kodieren einen transkriptionellen Ko-Aktivator im Wnt- und im Androgen-Rezeptor-Signalweg. Sie sind also als eine Art Schalter der Genregulation, und schon aus anderen Studien ist bekannt, dass sie an Musterbildungsprozessen beteiligt sind. Bei einem genauen Blick auf die DNA-Sequenz um das fhl2b-Gen diverser Buntbarsche entdeckten die Schweizer Forscher eine interessante Korrelation: Ein mobiles DNA-Element der SINE-Klasse (Short Interspersed Nuclear Element) ist in die regulatorische Region vor fhl2b geraten - aber nur in der Abstammungslinie der Haplochromiden, die auch die auffälligen Ei-Flecken zeigen. Bei den nächst verwandten Arten ohne Egg Spots fehlt das Transposon.

Die Hypothese: Könnte die SINE-Insertion direkt oder indirekt Einfluss darauf gehabt haben, dass fhl2b für die Pigmentierung der Egg Spots rekrutiert wurde?

Der Zebrabärbling weist den Weg

Leider sind Buntbarsche, und insbesondere die Maulbrüter, für Entwicklungsgenetiker eher unpraktische Modelltiere. Die Basler mussten deshalb für funktionelle Studien auf das Fisch-Genetiker-Haustier umsteigen, den Zebrabärbling Danio rerio. Sie erzeugten transgene Danios, in denen die regulatorische Region des fhl2b-Gens aus A. burtoni (mit SINE-Insertion) einen Green Fluorescent Protein (GFP)-Reporter kontrolliert. Ergebnis: Iridiophoren des Zebrabärblings leuchten grün auf. Die regulatorischen Regionen von fhl2b aus Arten ohne Ei-Flecken enthalten dagegen kein SIN-Element und transgene Zebrabärblinge mit dieser Version der fhl2b-Kontrollregion zeigten folglich auch kein GFP-Signal in den Iridiophoren.

Die regulatorische Region um die mobile DNA scheint also tatsächlich ein „Tatort“ der Evolution zu sein, der mit der Rekrutierung von fhl2b als Flossen-Pigmentierungsgen zusammenhängt.

Wie genau das Transposon eventuell die Genregulation beeinflusst ist allerdings noch nicht klar. Die Sache ist sowieso komplizierter, denn neben den Iridiophoren spielen auch andere Pigmentzelltypen eine Rolle. Es dürfte ein weiter Weg sein, bis man im Detail versteht, wie die Evolution aus einer langweiligen Afterflosse ein unwiderstehliches Signal an die Weibchen machte.

Verhaltensbiologie, natürliche und sexuelle Selektion, Pigmentzell-Physiologie und Entwicklungsgenetik – wer die Entstehung evolutionärer Innovationen erforscht, darf vor interdisziplinären Verwicklungen keine Angst haben. Aber es lohnt sich, denn für ein tieferes Verständnis der Evolutionsmechanismen kommt es nicht nur auf das Warum, sondern auch auf das Wie an.

 

Hans Zauner

 

Foto:Erwin Schraml, via Press release Univ. Basel

 



Letzte Änderungen: 05.11.2014