Editorial

Ein wenig Mäuseluxus schadet nicht

Labormäuse muss man so karg wie möglich halten. Nicht aus Kostengründen, sondern weil nur auf diese Weise umso weniger Variablen die Reproduzierbarkeit der Ergebnisse stören. Jahrzehnte hat es gedauert, bis Forscher diese Annahme tatsächlich testeten - und jetzt für falsch erklärten.

(17.12.2004) Ein Plastikkäfig, drinnen Sägespäne. Ein Gitterdeckel oben drauf, durch den Futter und eine Wasserflasche angeboten werden. Das ist oft schon alles, womit eine Labormaus im Tierstall ihren Alltag gestalten muss. Kein Spielzeug, kein Nestmaterial, keine Rückzugsmöglichkeit und auch sonst keine Abwechslung.

Der Grund ist rein wissenschaftlich: Man braucht reproduzierbare Bedingungen für die grundlagenmedizinischen Top-Models. Jahrzehntelang meinte man daher, man dürfe die Haltungsbedingungen nicht variieren, damit die Mäuse möglichst präzise, statistisch signifikante und reproduzierbare Resultate liefern. Und die beste Standardisierung erreicht man natürlich mit so wenig wie möglich Variablen.

Im Namen der Reproduzierbarkeit nahmen die meisten Forscher auch hin, dass die Mäuse unter solchen Bedingungen Frustationssymptome und Verhaltensstörungen entwickeln: Sie laufen stupide im Kreis, nagen an den Gitterstäben und springen an den Käfigecken hoch. Die klassische Labormaus ist nachgewiesenermaßen dümmer und ängstlicher - aber Hauptsache standardisiert.

Forscher aus Gießen und Zürich haben diese Annahme nun endlich gezielt getestet. 432 Mäuse aus drei verschiedenen Zuchtlinien zogen sie für ihre Versuche sowohl unter "klassischen" als auch unter "angereicherten" Bedingungen auf und verteilten sie auf drei verschiedene Labors. Diese führten mit ihnen vier Standardverhaltenstests durch - jeden dreimal hintereinander mit jeweils neuen Mäusen.

Und siehe da - ein bisschen mehr Luxus für die Mäuse stört die Wissenschaft nicht im geringsten. Im Gegenteil: Nur ein kleines Mäusehäuschen samt ein wenig Nestmaterial sorgten schon dafür, dass die Mäuse kaum noch Verhaltensstörungen zeigten und sich in den nachfolgenden experimentellen Tests deutlich weniger ängstlich verhielten. Insbesondere bei verhaltensneurowissenschaftlichen Versuchen sollte dies zu "realistischeren" Resultaten führen. Aber auch bei toxikologischen Studien könne dies durchaus eine Rolle spielen, da Stress und Angst bekanntermaßen das Immunsystem beeinflussen. So Studienleiter Hanno Würbel von der Tiermedizinischen Fakultät der Uni Gießen.

Was in diesem Zusammenhang aber viel wichtiger war: Die artgerechtere Haltung sorgte keineswegs für mehr Variabilität der Versuchsergebnisse. Selbst unabhängige Wiederholungen derselben Versuche in verschiedenen Labors wurden durch die "Luxushaltung" überhaupt nicht beeinträchtigt. Dies war das Kernergebnis der Studie, die die Autoren jetzt in Nature (Bd. 432, S. 821) vorstellten.

Sein Fazit formulierte Würbel im Online-Magazin Telepolis folgendermaßen: "Die Verbesserung der Haltungsbedingungen kann nur positive Auswirkungen auf die Versuche haben. In jedem Fall erhöht sie die Glaubwürdigkeit von Tierversuchen. Und in einigen Bereichen wird es zu einer Verbesserung der Ergebnisse beitragen." Zumal die kleinen Verbesserungen auch kaum die Kosten der Mäusehaltung erhöhen.

Womit - von den Mäusen einmal abgesehen - Würbel und Co. nebenbei auch den Wert einer anderen Grundregel der Wissenschaft eindrucksvoll untermauerten: Was man nur annimmt, muss nicht richtig sein - testen muss man es.

Ralf Neumann



Letzte Änderungen: 17.12.2004