Editorial

Back to the Quark: Weihrauch und Knochenknacksen

Das schmerzt: Nach Vioxx steht mit Celebrex nun der zweite Cox2-Hemmer in der Schusslinie - und wir fragen uns: Muss Rheuma bald wieder alternativ therapiert werden?

(31.12.04) Seit 1999 bestreiten die US-Pharmamultis Merck und Pfizer einen gigantischen Werbe-Feldzug. Bis zu 100 Millionen Dollar (jährlich!) überweist jede der beiden Firmen an Fernsehanstalten und Zeitungsverlage, um dem amerikanischen Verbraucher folgende Botschaft einzuhämmern: Gegen Schmerzen hilft nur eines: Cox-2-Hemmer. Besonders ausdauernd wurde bei amerikanischen Ärzten gehemmert- äh, gehämmert - so ausdauernd, dass diese geradezu taub für die Verabreichung von Alternativmitteln geworden sind.

Cox-2-Hemmer, was ist das?

Ein Cox-2-Hemmer hemmt die Cyclooxygenase 2 (kurz: COX2). Die Cyclooxygenase ist ein Enzym, das in entzündeten Geweben aktiv ist. Dort löst es eine Alarmreaktion bei bestimmten Prostaglandinen (einer Botenstoff-Familie) aus. Prostaglandine verstärken das Schmerzempfinden und halten Entzündungsprozesse aufrecht. Da ein Cox-2-Hemmer gezielt nur auf die Cyclooxygenase 2 wirkt (das glaubte man jedenfalls bisher), stellt er die Schmerzen ab, lässt jedoch andere physiologische Abläufe unbeeinflusst. Ein Traum: absolut zielgerichtete Schmerzmedikation ohne Nebenwirkungen. Tatsächlich?

Die bekanntesten Cox-2-Hemmer sind Vioxx (hergestellt von Merck) und Celebrex (von Pfizer). Sie wurden bisher bei verschleissbedingten Gelenkerkrankungen und rheumatischen Gelenkentzündungen eingesetzt. Mit Cox-2-Hemmern verdienen die Konzerne Milliarden. Bei Pfizer waren es, allein 2003 mit Celebrex, 1,9 Milliarden Dollar. Pillen, die mehr als eine Milliarde Umsatz pro Jahr erwirtschaften, nennt die Pharmabranche "Blockbuster". Ein Blockbuster ist der Maximalgewinn, damit verdient man sich dumm und dusselig.

Wie Lutschbonbons

Besonders von US-Ärzten sollen die "Super-Aspirine" Vioxx oder Celebrex zuletzt verschrieben worden sein "wie Lutschbonbons", äusserte sich Bruno Müller-Oerlinghausen unlängst in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Auch für Patienten, die gar nicht an Rheuma oder Arthritis leiden. Der Mann sollte es wissen, immerhin gehört er der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft an.

Aus, vorbei, der Geldregen ist vorläufig gestoppt. Zumindest für Pfizer und Merck. Cox-2-Hemmer stehen unter Generalverdacht: Ein stark erhöhtes Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall soll Celebrex- und Vioxx-Usern drohen. Und die Firmen haben das angeblich schon seit Jahren gewusst, nur verschwiegen, der Riesenumsätze wegen. Das mit dem Verschweigen mag sein.

Klassischer Fall einer fehl interpretierten Studie?

Die Sache mit dem erhöhten Risiko sollte man jedoch hinterfragen. Die Studie nämlich, die im Dezember den Pfizer-Aktienkurs in den Keller schickte, wurde an Darmtumorpatienten (nicht an Rheumapatienten!) durchgeführt. In den knapp drei Jahren, in denen die Probanden täglich Celebrex schluckten (Dosen von 400 bzw. 800 µg), trat bei 15 bzw. 20 (von 2000) ein "kardiovaskuläres Ereignis" auf. In der Placebogruppe hingegen bekamen nur sechs Personen Herzbeschwerden.

Dabei sollte man wissen: Alle bisherigen Studien (an Rheumapatienten, und die sind die erklärte Zielgruppe für Cox-2-Hemmer!) mit teils mehr als 100.000 Testpersonen entdeckten kein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko. Die genannte Studie mit den Krebspatienten ist die erste, die derartiges fand.

Somit gilt: Es ist überhaupt nicht erwiesen, dass mit Celebrex behandelte Rheumapatienten erhöhte Herzinfarkt-Anfälligkeit aufweisen! Den meisten Kommentatoren, die in den letzten Wochen ihren klugen Senf zum "Celebrex-Skandal" abgaben und über die unverantwortlichen Pharmakonzerne schimpften, entging diese Tatsache. Lediglich Darmkrebspatienten sollten erstmal lieber keine Cox-2-Hemmer gegen ihre Schmerzen nehmen.

Rückkehr der alternativen Schmerzbehandlung?

In den USA machten indessen längst die Rechtsanwälte mobil: Schadensersatzklagen in Milliardenhöhe drohen. Kennt man ja. Pfizer rudert bereits kräftig zurück, und es steht zu befürchten, dass wegen einer falsch interpretierten Studie Cox-2-Hemmer vielleicht sogar komplett aus der Apotheke verschwinden. Die Konsequenz: Es könnte sein, dass sich viele Rheumapatienten mittelfristig wieder mit Therapien aus dem Paläozoikum der Schmerztherapie anfreunden müssen: mit Weihrauch-Tabletten und chirotherapeutischem Knochenknacksen, mit homöopathischen Wunderheilungen und, als besonders bewährter Langzeitapplikation: Die zweimal täglich angewendete Verabreichung kalter Quarkwickel.

Die sind dann garantiert nebenwirkungsfrei. Allerdings wohl auch wirkungsfrei.

Winfried Köppelle



Letzte Änderungen: 04.01.2005