Editorial

Eine unglückliche Angelegenheit

Die Kardiologin Stefanie Dimmeler erhält demnächst den Leibniz-Preis der DFG. Prompt verdächtigt ein anonymer Brief sie der Forschungsfälschung. Siegfried Bär jedoch kommt zu dem Schluss: Korrekter als Frau Dimmeler kann man sich bei einem Versehen kaum verhalten.

(21.12.2004, aktualisiert 10.01.2005) Die Biologin Stefanie Dimmeler kann auf eine steile Karriere zurückblicken. 1993, mit 25 Jahren, promovierte sie an der Universität Konstanz. Dann kam ein Postdoc in Köln, 1995 ein zweiter in der kardiologischen Abteilung von Andreas Zeiher in Frankfurt. Hier begann Frau Dimmeler über kardiovaskuläre Signal- und Regulationsprozesse zu forschen. Schon zwei Jahre später leitete sie die Abteilung für molekulare Kardiologie. 1998 folgte die Habilitation. Im September 2000 erhielt Frau Dimmeler eine Professur für Molekulare Kardiologie in Frankfurt.

Seit 1998 wird sie quasi laufend für ihre Arbeit ausgezeichnet: 1998 mit dem Forschungspreis der deutschen Stiftung für Herzforschung, 1999 mit dem Edelmann Stiftungspreis, 2001 wurde sie zum "Fellow of the American Heart Association" ernannt, 2002 erhielt sie den Alfried Krupp-Preis (500 000 Euro) und im Oktober 2004 zusammen mit Andreas Zeiher eine Forschungsförderung über 6 Mio. Euro von der Ledugq-Stiftung. Im März 2005 wird ihr die DFG den Leibniz-Preis übergeben. Der ist mit 1,55 Millionen Euro verbunden.

In der Tat hat die Gruppe von Frau Dimmeler 2004 und 2003, also in zwei Jahren, rund 50 Paper veröffentlicht. Darunter eines im New England Journal of Medicine und eines in Nature Medicine. Mit dem Paper in Nature Medicine (Bd. 11, S. 1370-1376), veröffentlicht im November 2003, gab es Probleme. Ein aufmerksamer Leser hatte die Figur 2B (Wildtyp, WT) der Nature Medicine-Arbeit verglichen mit Figur 4B, die Frau Dimmeler im August 2003 in der Zeitschrift Blood veröffentlicht hatte. Dargestellt waren Laser Doppler Durchblutungsbilder der Hinterbeine von Mäusen. Diese Bilder sind individuell für jede Maus und daher eindeutig bestimmbar. In Nature Medicine handelte es sich angeblich um eine Wildtyp-Maus, in Blood um eine EPO-behandelte Maus. Es war jedoch in beiden Figuren die gleiche Maus abgebildet.

"Ein klassischer Fall von Brach-Herrmann", muss sich der Leser gedacht haben. Er informierte den Editor von Nature Medicine.

Der wiederum stellte Frau Dimmeler zur Rede.

Sie und ihre Mitarbeiter fielen aus allen Wolken. Sie ließen alles stehen und liegen, überprüften die Daten und rekonstruierten die Herkunft der Bilder. Am Ende ergab sich eine komplizierte Geschichte, die sich um Doppel-Bilder, die Lage und Schönheit von Mäuseschwänzen sowie den Leichtsinn einer Postdoktorandin und eines Postdoktoranden dreht - um eines aber nicht: Um vorsätzlichen Betrug. Dies schon deswegen nicht, weil sich die Daten leicht und eindeutig reproduzieren ließen - auch durch unabhängige Wissenschaftler -, und weil die Erstautorin einen Betrug nicht nötig hatte.

Denn Frau Dimmeler gab sich nicht damit zufrieden, die Originaldaten wiedergefunden zu haben, sie ließ die Experimente in ihrem Labor wiederholen und bat einen unabhängigen Wissenschaftler um Reproduktion der Ergebnisse. Die richtigen Bilder schickte sie an Nature Medicine zusammen mit der Erklärung, die Ergebnisse reproduzieren zu lassen und ein Erratum publizieren zu wollen.

Der Editor von Nature Medicine antwortete (Auszug): Thank you very much for your thorough analysis of the situation. We are very pleased about and satisfied with your conclusions. We should definitely published the clarification. I suggest that we wait until we know the outcome of the experiments that they are currently repeating in your lab. If the data hold (as seems likely to be the case), then I would invite you to send a new figure, which we will eventually publish. But before publishing it I think we'll send it out to the referees of the paper to make sure that they feel the data are also satisfactory (this is also partly out of courtesy to them).

Die Originaldaten und die neuen reproduzierten Daten wurden also noch einmal von den Referees geprüft.

Frau Dimmler reichte das immer noch nicht. Sie wandte sich an den Ombudsman der DFG, Hans-Heinrich Trute. Sie schilderte ihm den Vorfall und fragte, ob sie sich richtig verhalten habe. Der Ombudsmann antwortete am 30. Juni 2004 (Auszug): ...der Ombudsmann der DFG hat auf seiner letzten Konferenz nach eingehender Beratung Ihrer zugeschickten Unterlagen über Ihre Anfrage beraten. Wir sind dabei zu der Überzeugung gekommen, dass es nach der derzeitigen Sachlage für den Ombudsmann keine weitere Veranlassung gibt, tätig zu werden. Zwar ist der Anfangsverdacht wissenschaftlichen Fehlverhaltens zweifelsfrei gegeben, dennoch sehen wir keine Veranlassung, den Fall einer erneuten Prüfung bei der DFG zu unterziehen.

Die Errata in Nature Medicine und Blood erschienen im September bzw. Juni 2004.

Anfang Dezember ging die Nachricht durch die Medien, dass Stefanie Dimmeler für den Leibniz-Preis ausersehen sei. Kurz darauf traf in der Laborjournal-Redaktion folgender anonymer Brief ein:

Sehr geehrter Herr Professor Winnacker,

Ich möchte Ihr Augenmerk auf die von der DFG kürzlich zur Leibniz-Preisträgerin ausgezeichneten Frau Professor Dimmeler aus Frankfurt richten.

Frau Professor Dimmeler hat in der Tat eine unglaubliche Masse von exzellenten Publikationen vorzuweisen. Jedoch erhärtet sich zunehmend der Verdacht, dass diese Publikationen nicht auf ehrliche und seriöse Weise zustande kommen.

Als Beispiel möchte ich zwei von Frau Dimmeler publizierte Arbeiten speziell hervorheben:

1. Aicher et al. Nat Med. Vol. 9, No 11, Nov. 2003, p1370.

2. Heeschen et al, Blood 102, Aug 2003, p1340.

Beachten Sie bitte, dass Figur 2B (Bild WT) aus der Nat. Med. Arbeit absolut identisch ist mit Fig. 4B der Blood Arbeit. Dabei handelt es sich einmal um eine Kontrollmaus, das andere Mal angeblich um eine EPO behandelte Maus.

Jeder andere Wissenschaftler wäre gezwungen, beide Arbeiten zurückzuziehen. Nicht so Frau Dimmeler. Nach einem Hinweis werden mehrere Monate später an beide Journale Errata verschickt und beide Figuren ausgetauscht. Dass die korrigierte Figur nicht mehr zur Kernaussage der Arbeit paßt (siehe Nat. Med.) spielt keine Rolle mehr.

Solche Machenschaften bilden die Grundlage für eine sehr erfolgreiche Karriere, die sogar mit dem Leibniz-Preis gekrönt wird. Ein schlechte Zeichen für den Forschungsplatz Deutschland.


Der Behauptung, die korrigierte Figur 2b in Nature Medicine passe nicht mehr zur Kernaussage des Papers, bin ich nachgegangen.

Mit Figur 2B soll nachgewiesen werden (Zitat aus Nature Medicine): As previously reported, Nos3-/- mice showed significantly reduced limb perfusion 2 weeks after induction of ischemia, compared with wild type mice (P<0,01; fig. 2a,b).

Damit hat es folgendes auf sich: Wildtyp und Nos3-/- Mäusen wurden an den linken (von unten gesehen) Hinterbeinen die Arteria femoralis superficialis und profunda abgebunden. Die Durchblutung der Beine wurde zwei Wochen später mit Doppler Laser bildlich dargestellt. Bei Wildtyp-Mäusen kommt es zur Neuausbildung von Blutgefäßen, das Bein muss also durchblutet sein. Bei Nos3-/- Mäusen dagegen sollte die Durchblutung signifikant herabgesetzt sein. Dies, weil Nos3-/- Mäuse keine endotheliale NO-Synthase exprimieren, aber das spielt hier keine Rolle. Es kommt nur darauf an, dass zwischen Wildtyp-Maus und Nos3-/- Maus ein signifikanter Unterschied in der Durchblutung sichtbar ist.

Mir, einem Laien auf dem Gebiet, schien das auf den ersten Blick nicht der Fall zu sein: "Die Nos3-/- Maus zeigt im ligierten Hinterbein doch ebenfalls Durchblutung, die ist da doch auch rot!".

Ein Anruf bei Frau Dimmeler klärte die Sache: Das rechte Bein jeder Maus dient als Kontrolle für das linke. Zudem muss sich die schlechtere Durchblutung vor allem in den unteren Beinregionen auswirken. Berücksichtigt man das, ist die Durchblutung des ligierten Nos3-/--Beines tatsächlich schlechter und die Fig 2b stützt die Aussage im Nature Medicine-Paper sehr wohl. Sie können sich gerne selbst davon überzeugen: Kontrollieren Sie das Erratum in Nature Medicine (2004) 10, Seite 999. Mein Schluss: An der Sache ist - bis auf den Leichtsinn der Postdoktorandin und Erstautorin - nichts dran. Keine Fälschung, kein Betrug.

Falls Sie anderer Ansicht sind, lieber anonymer Briefschreiber, dann bitte ich um detaillierte Erklärung, was genau an der neuen Figur 2B nicht stimmen soll. Sie können sich darauf verlassen, dass ich dem nachgehen werde.

Vermutlich hatten Sie den Editor von Nature Medicine auf die Bildergleichheit hingewiesen. Vermutlich sind Sie ein Außenstehender, der die Aktivität, die dies auslöste, nicht mitbekam. "Die haben einfach nur die Bilder ausgetauscht, sonst ist nichts passiert. Da muss ich noch mal nachhaken", werden Sie sich gedacht haben.

Es ist etwas passiert. Frau Dimmeler und ihre Mitarbeiter haben sich alle erdenkliche Mühe gegeben die Sache wieder richtig zu stellen. Ich finde, mehr kann man wirklich nicht tun, wenn einem ein Versehen unterlaufen ist.









Kommentare zu diesem Artikel

Sehr geehrter Herr Baer, in meinen Augen sind zwei Gesichtspunkte wichtig: (1) Wenn Ihre Darstellung bezueglich des Erratum und der damit verbundenen Aktivitaeten stimmt, muss man der DFG den Vorwurf machen, dass Sie leichtfertig den Ruf von Wissenschaftlern aufs Spiel setzt. Es ist wohl ein allgemeine Regel guten Verhaltens, dass man annonyme Briefe etc. wenn nicht ueberhaupt wegwerfen, so doch mit groesster Vorsicht behandeln muss. Offenbar haette im vorliegenden Fall ein Telephongespraech mit der Beschuldigen und dem Nature Editorial Office die Sache bereinigt. Wen man an den Pranger stellen muesste, ist der Schreiber solcher Briefe, der - wenn er echte wissenschaftliche Motivationen haette - diese Angelegenheit sachlich und mit seinem Namen behandelt haette. (2) Fragen ueber die wissenschaftliche Qualifikation eines/r Autors/in ruft es allerdings auf, wenn er/sie selbst nicht bemerkt, dass eine Abbildung bereits in einer anderen "eigenen" Publikation verwendet wurde, eine Situation, die ich selbst unvorstellbar finde! Man koennte argumentieren, dass das bei 50 Publikationen in 2 Jahren kein Wunder ist, aber wer kann schon jede 2. Woche eine serioese Publikation vorlegen. Hier kommen dann andere Fragen(Autorschaften) an die Ordnung, die sehr sicher einer Betrachtung auch durch die DFG beduerften. In meinen Augen kann aber der Fall, der leider auch internationale Aufmerksamkeit erregt, nicht unter die Rublik typischer Faelschungen in der Wissenschaft eingeordnet werden

Wolfgang Hennig, Shanghai Institutes for Biological Sciences/CAS, 09-Mar-2005 02:35:59


Sehr geehrter Herr Bär,

auch ich denke, dass es sich um einen eher peinlichen Fehler handelt und die Daten soweit korrekt sind, auch wenn die LD-Methode meines Erachtens nicht unbedingt den Goldstandard zur Messung des Blutflusses im Hinterlaufmodel darstellt (z.B. ist die Eindringtiefe des LD in das Gewebe nicht ausreichend und erlaubt so nur eine erste grobe Einschätzung, die leider häufig auch sehr fehlerbehaftet sein kann). Hierüber hatten ja aber die Reviewer von Nature Medicine und Blood zu urteilen. Wichtiger erscheint mir der folgende Punkt: Wieso hat niemand von den Koautoren der Nature Medicine Publikation, die auch schon an der Blood Publikation beteiligt waren, etwas von diesem Fehler gemerkt? Die beiden Publikationen sind ja recht zeitnah erschienen, so etwas sollte doch auffallen, wenn man die publizierten Daten ausreichend kennt. Sicher hat Frau Professor Dimmeler im nachhinein richtig reagiert und alle notwendigen Hebel in Bewegung gesetzt, um den Fehler zu beheben. Diese Sorgfalt hätte sie aber vorab walten lassen sollen. So bleibt der Beigeschmack, dass vielleicht doch nicht stringent genug nach den Richtlinien der DFG für eine Autorenschaft verfahren wurde. Es wäre interessant zu wissen, ob sich alle Beteiligten in dieser Hinsicht noch einmal Gedanken gemacht haben. Weniger kann auch mehr sein und vor bösen Überraschungen schützen.

Mit besten Wünschen

Meyer




Letzte Änderungen: 10.01.2005