Editorial

Geist in der Maschine?

(3.6.15) Das aktuelle Laborjournal-Heft widmet einen Beitrag der Simulation von Leben im Computer. Wie weit kann diese Simulation gehen? Können Maschinen Bewusstsein erlangen? Ein Gespräch mit dem Informatiker und Philosophen Joscha Bach.
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Computermodelle spielen in den Lebenswissenschaften eine immer größere Rolle. Sie sollen Prozesse aus der Natur vereinfacht darstellen, damit man sie besser nachvollziehen und Vorhersagen generieren kann. Doch wäre es theoretisch möglich, biologisches Leben in einer Computersimulation exakt nachzubilden? Wenn man dabei jedes Detail berücksichtigt, könnte solch ein virtuelles Wesen dann etwas fühlen oder gar ein Bewusstsein entwickeln? Welche ethischen Konsequenzen hätte das? Darüber haben wir mit dem Kognitionswissenschaftler Joscha Bach gesprochen.

Joscha Bach forscht auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz und möchte mit Hilfe von Computermodellen verstehen, wie das menschliche Bewusstsein funktioniert. Er hat Informatik und Philosophie studiert und in Kognitionswissenschaften promoviert. Ursprünglich aus Berlin, lebt Bach heute in Cambridge und arbeitet dort am MIT Media Lab und im Program for Evolutionary Dynamics der Universität Harvard.

Editorial

Laborjournal: Herr Bach, was ist für Sie als Computer- und Kognitionswissenschaftler das Bewusstsein?

Joscha Bach: Das Bewusstsein ist das Resultat einer Gesamtmenge von Prozessen, die in einem System da sein muss, damit dieses System in bestimmter Weise mit der Umwelt interagiert und dabei Informationen abspeichert und interpretiert.

Angenommen, wir hätten einen beliebig leistungsfähigen Computer zur Verfügung. Könnten wir darauf ein menschliches Gehirn simulieren, das von einem biologischen Gehirn nicht unterscheidbar ist?

Bach: Das kommt darauf an, welche Eigenschaften wir zur Unterscheidung heranziehen. Unser Geist ist zu einem großen Teil davon geprägt, wie wir uns in der Welt bewegen und wie die Welt sich uns darbietet. Das hat natürlich etwas mit unserer Biologie zu tun. Die Frage wäre, inwiefern die Simulation das mit einbezieht.

Ich könnte ja jedes einzelne Neuron und jede Synapse nachbilden und dann die Simulation starten. Würde das ausreichen, damit sich das Computerprogramm wie ein Mensch fühlt?

Bach: Jein. Im Prinzip schon, aber ein Großteil des „sich als Mensch fühlens“ hat ja damit zu tun, dass sich unser Gehirn in einer komplexen Umwelt entwickelt. Würde man das Gehirn eines neugeborenen Babys herauslösen und in einen Tank legen, ist es unwahrscheinlich, dass es sich irgendwann fühlt wie ein Mensch.

Auf eine Simulation bezogen heißt das, man müsste ein in silico-Gehirn entweder in eine virtuelle Umwelt einbetten oder dem Computer Sinnesorgane geben.

Bach: Richtig. Wenn ich das machen kann, würde es funktionieren. Wir können die Frage auch verändern: Was würde passieren, wenn wir die synaptische Konfiguration eines erwachsenen Menschen mit all seinen Erinnerungen und Erfahrungen nachbauen? Ich sehe keinen Grund, warum so ein Wesen nicht bewusst sein sollte.

Nun wäre es ja denkbar, dass es Phänomene aus der Natur gibt, die sich prinzipiell nicht in einem Computer nachbilden lassen. Vielleicht, weil man die relevanten Prozesse einfach nicht genau genug erfasst bekommt. So gibt es im Gehirn ja nicht bloß Aktionspotentiale, die man mit „Null“ oder „Eins“ beschreiben kann, sondern auch viele analoge Vorgänge: Änderungen von Ionenkonzentrationen um die Zellmembran und an der Synapse, Diffusion von Neurotransmittern und genregulatorische Prozesse. Vielleicht lässt sich so etwas gar nicht digitalisieren!

Bach: Die Frage ist nicht so sehr, ob das Gehirn analog oder digital funktioniert. Die Frage ist, wie viele Bits ich brauche, um das System genau genug darzustellen.

Aber diese Bitmenge muss doch enorm sein, oder?

Bach: Ich vermute, dass sie gar nicht so groß ist, wie wir denken. Wir wissen, dass ein Großteil der Gehirnaktivität gebraucht wird, um Redundanz zu liefern, damit das Gehirn als biologisches System funktionieren kann. Ein Neuron hat sehr viel Rauschen. In diesem Rauschen ist wahrscheinlich ziemlich wenig Bitsignal enthalten. Deshalb muss das Gehirn große Mengen seiner Ressourcen darauf aufwenden, zu filtern, zu verstärken und zu stabilisieren; um dieses Rauschen kompensieren zu können. Das müssen wir in technischen Systemen alles nicht machen.

Was braucht ein solches „technisches System“ denn, um denken und fühlen zu können? Gibt es da einen besonderen Funken, den man für den „Geist in der Maschine“ entfachen muss?

Bach: Ich glaube nicht, dass Bewusstsein das Resultat eines einzigen magischen Prinzips ist. Ich vermute eher, dass einige hundert Prinzipien zusammenwirken müssen, um geistige Aktivität zu produzieren. Deswegen glaube ich auch nicht, dass ein Computer von heute auf morgen Bewusstsein zeigt, sondern vermute, dass es eine schrittweise Entwicklung geben wird. Andererseits können diese Prinzipien aber auch nicht allzu kompliziert sein. Wir wissen, dass das Nervensystem in unserem Genom kodiert ist. Und unser Genom passt auf eine CD-ROM. Nur ein kleiner Teil davon kodiert für das Nervensystem. Das bedeutet: Die Menge an Information, die ich brauche, um diesen Algorithmus zu beschreiben, ist nicht sehr groß. Dieser Algorithmus ist eventuell schwer zu entdecken. Aber vermutlich ist er im Nachhinein leicht zu begreifen und zu implementieren.

Nun kann sich ja jeder Mensch auf grundlegende Menschenrechte berufen. Auch einen gesetzlich verankerten Tierschutz gibt es, der verhindern soll, dass fühlenden Kreaturen unnötiges Leid zugefügt wird. Stellen wir uns jetzt einmal vor, jemand hätte ein virtuelles Wesen am Computer programmiert, das empfindungsfähig und sich seiner selbst bewusst ist. Welchen ethischen Status hätte dieses Geschöpf?

Bach: Ich bin kein ethischer Universalist, und ich sehe da keine einfache Möglichkeit, allgemeine Grundprinzipien für eine universelle Ethik abzuleiten. Ethik ist immer eine Übereinkunft der Gesellschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt. Es gab ja auch Zeiten, zu denen weiße Menschen sich als besonders edel ansahen und es okay fanden, Menschen mit anderer Hautfarbe als Sklaven zu halten. Möglicherweise gibt es irgendwann Zeitpunkte, wo man es okay findet, Wesen mit Siliziumgehirnen als Sklaven zu halten, und später findet man das dann vielleicht nicht mehr in Ordnung. Das ist eine Frage, die die Gesellschaft beantworten muss, wenn es soweit ist.

Wie ist denn Ihre persönliche Meinung dazu? Nehmen wir den Computer „HAL“ aus dem Film „2001: Odyssee im Weltraum“. Bevor HAL am Ende abgeschaltet wird, sagt er, dass er Angst habe. Was würde das für Sie bedeuten?

Bach: Ich persönlich würde ihm den Status eines Menschen zuschreiben. Bei HAL spricht für mich alles dafür, dass es sich im Grunde genommen um ein menschliches Wesen handelt.

Heute gilt der Körper-Seele-Dualismus unter Naturwissenschaftlern als überholt. Wer glaubt, dass „Seele“ und „Geist“ unabhängig von materiellen Wechselwirkungen existieren, gilt in Forscherkreisen schnell als Esoteriker und wird nicht mehr ernst genommen. Andererseits erscheint aber auch der Gedanke, dass man Bewusstsein in einer Computersimulation erzeugen könnte, unwissenschaftlich. Sogar manch ein Forscher, der selbst am Rechner modelliert, weicht solchen Fragen eher aus und scheint ethische Überlegungen hierzu als unseriös zu empfinden. Dabei ist doch die logische Folge eines materialistischen Weltbilds, dass Bewusstsein dann auch rekonstruierbar sein muss, zumindest prinzipiell. Wie erklären Sie sich diesen Widerspruch?

Bach: Das ist so, als hätte man damals die Wright Brothers gefragt, welche Konsequenzen ihre Entscheidungen für die Luftfahrt haben und ob man Flugzeuge abschießen soll, die sonst möglicherweise in Hochhäuser fliegen. Das ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht im Horizont dieser Leute. Nicht etwa, weil die engstirnig wären, sondern weil das Thema einfach noch nicht dran ist. Vor allen Dingen, wenn man noch gar nicht absehen kann, ob der eigene Ansatz wirklich funktionieren wird.

Warum sollten wir überhaupt versuchen, künstliches Bewusstsein zu erschaffen?

Bach: Weil die Frage, was Geist und Denken sind, die zentralen Punkte unseres Seins im Universum beleuchtet: Was ist der Mensch? Was ist unsere Erfahrung der Welt? Was ist das Universum? Das sind im Grunde die spannendsten Fragen, die man sich als denkendes Wesen stellen kann. Und die beste Möglichkeit, in diesen Fragen Fortschritte zu erzielen, ist, dass man Theorien aufstellt, die man tatsächlich überprüfen kann. Die Philosophie allein kann da wenig beitragen.

 


Interview: Mario Rembold

Foto: Joscha Bach. (Fotograf: (c) John Werner)



Letzte Änderungen: 23.07.2015