Editorial

Twitter-Etikette bei Konferenzen

(22.8.15) Twitter verschafft Konferenz-Rednern eine Reichweite, die weit über den Kreis der Kollegen hinausgeht. Eigentlich eine Chance. Manchen Vortragenden behagt das Gezwitscher aber nicht.
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Wieso fahren Wissenschaftler zu Konferenzen und stellen sich dem Fachpublikum? Damit die lieben Kollegen erfahren, was sie gerade so machen. Könnte man meinen. Wenn dem so ist: Umso besser also, dass heutige Zuhörer ihre Twitter-Kanäle mit brandaktuellen Neuigkeiten aus dem Konferenzsaal füttern. Denn so erreichen die Redner nicht nur die Konferenzteilnehmer, sondern auch die Zuhausegebliebenen.

Zu finden sind die 140-Zeichen-Berichte und Kommentare im Twitter-Chaos unter dem Hashtag der jeweiligen Konferenz. Unter #eseb15 twitterten z. B. kürzlich die Evolutionsbiologen aus Lausanne, unter #ismb2015 die Systembiologen und Bioinformatiker, die sich in Dublin versammelt hatten, und unter #PlantBiology15 meldeten sich Pflanzenforscher aus Minneapolis zu Wort.

Toll, oder? Aber nicht alle Redner sind begeistert über die zusätzliche Reichweite. Ein Zwist ist ausgebrochen zwischen denen, die den Kurznachrichtendienst als selbstverständliches Konferenz-Tool nutzen, und denen, die sich unwohl dabei fühlen, dass ihre Worte schon während des Vortrags in die weite Welt posaunt werden.

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Ärger über die korrekte Twitter-Etikette gab es beispielsweise letzten Herbst bei einem Meeting der Wirbeltier-Paläontologen in Berlin (#svp2014).

Die Paläontologin Susie Maidment hatte zu Beginn ihres Berliner Vortrags ausdrücklich darum gebeten, nicht zu twittern. Ein Teilnehmer kam zu spät, bekam die Bitte nicht mit und verbreitete vorläufige Daten aus dem Vortrag (löschte den Tweet aber später).

Maidment fand das "nicht cool" und meinte: Wir müssen drüber reden (siehe auch hier, hier und hier).

Und beim gerade beendeten Kongress der "Ecological Society of America" (#ESA100) sorgte eine Regel der Organisatoren für Aufregung: Getwittert werden dürfe nur, wenn der Vortragende es ausdrücklich gestattet.

Aber relativ wenige Redner machten klar, wie sie zum Twittern stehen, weshalb es unter dem Hashtag #ESA100 weniger lebendig zuging als bei anderen Konferenzen. Viele Teilnehmer betrachten die restriktive Regel ("Tweets nur mit ausdrücklicher Erlaubnis") als rückwärtsgewandt und nicht praktikabel (siehe Blogbeitrag von Therry Wheeler und  Bericht von Nature News).

Es ist auch wirklich paradox. Wenn man nicht will, dass Details über das eigene Forschungsprojekt öffentlich werden – sollte man dann nicht vielleicht einfach schweigen? Andererseits ist ein Konferenzvortrag ein Balanceakt, zumindest in den oft geheimniskrämerischen Lebenswissenschaften.

Natürlich will jeder zeigen, was man Spannendes herausgefunden hat, mit so vielen neuen, nicht publizierten Daten wie möglich. Eigentlich. Aber zu weit aus dem Fenster lehnen will man sich auch nicht. Was, wenn vorläufige Ergebnisse sich später nicht bestätigen? Oder wenn böswillige Konkurrenten die eigenen Ideen klauen, bevor man sie publiziert hat? Viele Forscher wollen offenbar die Kontrolle (oder wenigstens die Illusion der Kontrolle) über ihre vorläufigen Daten behalten. Eine Konferenz scheint vielleicht berechenbar. Es sind ja meist nur die engsten Kollegen da. Twitter aber ist unberechenbar. Konkurrenten, Geldgeber, Patienten, Journalisten: alle lesen mit.

Aber letztlich sind diese Einwände nicht stichhaltig. Denn schon vor Twitter und Facebook haben Konferenzteilnehmer zuhause weitererzählt, was sie so alles gehört haben. Ein "Redeverbot" über Vorträge auf akademischen Konferenzen wäre unsinnig. Genauso unsinnig ist ein "Twitter-Verbot".

Trotzdem sollte gelten: Der Vortragende entscheidet. Das verlangt einfach die Höflichkeit und der Respekt vor dem Redner. Wenn also jemand ausdrücklich darum bittet, dass nicht getwittert werden soll, dann sollten sich die Zuhörer daran halten. Auch wenn es Blödsinn ist.

 

Hans Zauner

 



Letzte Änderungen: 05.10.2015