Biotech-Börse: Gehts jetzt in den Keller?

(26.10.17) Ist der jüngste Kursverfall bei Evotec ein Alarmsignal für die gesamte Branche, oder geht’s an der Börse weiter wie bisher, mit immer neuen Kursrekorden?
Editorial
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Wie lange geht das noch gut?
© Dontworry

Das fragten wir uns Ende Juni an dieser Stelle, angesichts immer weiter steigender Aktienkurse, auch und gerade in der Biotechbranche. Im Fall des Hamburger Wirkstoff-Entwicklers Evotec muss man inzwischen sagen: Es ging, wider Erwarten, noch monatelang gut – doch am heutigen Donnerstag hat sich der Wind endgültig gedreht. Ende Juni, als der betreffende LJ-online-Artikel entstand, lag der Aktienkurs bei damals schon Höhenwind-gefährdeten 14,25 Euro – und schraubte sich in der Folge auf immer unglaublichere Werte empor. Am 4. Oktober war mit 22,38 Euro das 52-Wochen-Hoch erreicht; der Wert einer Evotec-Aktie hatte sich seit Februar 2016 (damals 3,00 Euro) mehr als versiebenfacht (plus 646 Prozent).

Celgene-Desaster zieht Evotec nach unten

Doch seitdem weist die Fahrt nach unten. Wie erwähnt, kam’s heute besonders dicke, minus 12 Prozent stehen allein für die vergangenen achteinhalb Stunden Börsengeschehen zu Buche, und wie eine ungute Variante positiver Rückkopplung ging’s fast permanent abwärts. Der Anlass dafür? Der liegt offenbar in Übersee, und Schuld hat nicht der Donald Trump: Die Aktien von Evotecs US-Partners Celgene verloren an der Wallstreet auf einen Schlag 20 Prozent ihres Werts und liegen jetzt auf einem Eineinhalb-Jahres-Tief. Celgene hatte im dritten Jahresquartal „nur“ 3,3 Milliarden Dollar Umsatz vermeldet – weniger als erwartet – und zudem die Prognosen fürs Gesamtjahr gesenkt. Das hauseigene Präparat zur Behandlung von Schuppenflechte, Otezla, habe sich unerwartet schwach verkauft. Das hat jetzt zwar nichts mit Evotec zu tun, aber weil die Amerikaner gemeinsam mit Evotec an potenziellen Medikamenten gegen Parkinson, ALS (Amyotrophe Lateralsklerose) und Alzheimer arbeiten, erfasste die düstere Stimmung eben auch den deutschen Kompagnon.

Dennoch ist eine Evotec-Aktie mit derzeit 16,10 Euro immer noch mehr wert als im Frühsommer. Soll man jetzt aussteigen? Viele denken so, anders ist der rapide Kursverfall der letzten Woche (minus 26 Prozent) nicht zu erklären, der ja bis gestern nichts mit der Celgene-Umsatzwarnung zu tun gehabt haben kann (btw: grandiose Verbkonstruktion übrigens!).

Editorial

Dabei hatte das vom Österreicher Werner Lanthaler geleitete Unternehmen erst heute wieder mit guten Nachrichten aufgewartet: Mit der US-Biotechfirma Tesaro (Waltham, Massachusetts) wurde ein strategischer Partner gewonnen, mit dem man drei Jahre lang in der Immunkrebstherapie zusammenarbeiten will. Tesaro entwickelt in den Staaten neuartige Krebsmedikamente; künftig sollen niedermolekulare, präklinische Entwicklungskandidaten mit Hamburger Hilfe, genauer: mit Evotecs Wirkstoffforschungsplattform gefunden werden. Im Erfolgsfall könnte am Ende der Kooperationsdauer, Ende 2020, ein Wirkstoffkandidat zur Verfügung stehen, der es wert ist, in Tesaros Forschungspipeline weiter untersucht zu werden.

Rational? Aber nicht doch.

Grundsätzlich zeigt gerade Evotec, dass das Börsengeschehen nur selten rational abläuft: Da arbeitet ein Unternehmen solide und erfolgreich – und wird dafür geradezu hysterisch mit aberwitzigen Kurs-Übertreibungen „belohnt“, doch kaum hat irgendeiner der vielen Kooperationspartner ein Problemchen, sinkt der Unternehmenswert an der Börse binnen eines Tages um – in diesem Fall – 260 Millionen Euro. Ja, das muß man sich mal klarmachen: Am Morgen war die Hamburger Firma mit ihren weltweit rund 2.000 Mitarbeitern und dutzenden von hochinteressanten Forschungsprojekten noch schlappe 2,95 Milliarden Euro wert, und um 17:30 Uhr waren’s nur noch 2,69 Milliarden.

Editorial

Man kann es nur wiederholen: Der Anstieg der letzten Monate war absolut verrückt und keinesfalls mit fundamentalen Daten zu rechtfertigen, der rasante Kursverfall der letzten Tage ist es aber genauso. Dass sich das Geschehen nochmal beruhigt, halten Analysten derzeit für eher unwahrscheinlich – die Kursziele diverser Bankhäuser bewegen sich zwischen 6,50 und 16 Euro.

Verlassen wir kurz die Biotech-Szene und werfen einen Blick auf den Dax. Der Deutsche Aktienindex hat eine nunmehr zwei Jahre andauernde Börsenhausse hinter sich; seit Ende Juni 2017 ist das wichtigste deutsche Börsenbarometer (es spiegelt die Wertentwicklung der 30 größten und umsatzstärksten Unternehmen hierzulande wider) um weitere vier Prozent auf nunmehr 13.133 Punkte geklettert (das sind binnen zweier Jahre stattliche 21 Prozent). 13.133 Punkte ist übrigens auch das Allzeithoch – höher stand der Dax in seiner gesamten Historie nicht. Nein, auf den Sinn oder Unsinn von Sparbuch- und Festgeldguthaben im Vergleich zur Aktien-gestützten Geldanlage gehen wir jetzt nicht schon wieder ein, das können Sie alles hier oder in Laborjournal 5/2017 (Seite 44-49) nachlesen.

Wie steht’s um die anderen im LJ-online-Artikel vom 29. Juni erwähnten Biotech-Aktien, die Sie nach dessen Lektüre möglicherweise hoffnungsfroh gekauft haben – oder eben nicht?

Paion läuft mangels „Knüllermeldungen“ seitwärts

Das Paion-Papier beispielsweise stand im Frühsommer bei 3,19 Euro, am heutigen Donnerstag nur mehr bei 2,73 Euro (minus 14 Prozent). Die Firma aus Aachen hatte in den letzten vier Monaten zwar einige kleinere Fortschritte zu vermelden – das europäische Patentamt etwa signalisierte Grünes Licht bezüglich eines Formulierungspatents für Paions „Flaggschiff“-Präparat Remimazolam (sprich: Wie stellt man dieses Mittel unter Laborbedingungen an besten/stabilsten her?). Der Produktionsprozess für dieses „ultrakurz wirksame Sedativum/Anästhetikum“ ist nun EU-weit bis Mai 2033 vor Nachahmern geschützt. Auch in Japan, wo Paion zusammen mit Ono Pharmaceutical dabei ist, das Präparat weiterzuentwickeln, wurde den Deutschen ein Patent zuerkannt; hier auf die Dosierung beziehungsweise intravenöse Verabreichung von Remimazolam – und ebenfalls bis 2033.

Doch worauf Aktionäre warten, das sind die „Breaking News“, und davon gab’s bei Paion in letzter Zeit eben keine. Das könnte sich bald ändern: Am 1. November sollen auf einem Fachkongress in Toronto/Kanada wesentliche Daten der derzeit laufenden Phase-III-Studie mit Remimazolam präsentiert werden. Pessimisten sollten rechtzeitig vor diesem Termin aussteigen, Optimisten eher zukaufen – denn die Ergebnisse einer Phase-III-Studie sind immer kursbewegend.

Wilex, Qiagen, 4SC und Co.

Die Wilex-Aktie stieg seit Ende Juni minimal von 3,02 auf 3,14 Euro (plus 4 Prozent). Hier ist anzumerken, dass es den Firmennamen „Wilex“ nicht mehr lange geben wird, ebensowenig wie den derzeitigen Noch-Unternehmenssitz München. Wieso, steht in der demnächst erscheinenden Print-Ausgabe von Laborjournal (11/2017) auf Seite 48 links oben – blättern Sie also rein, falls Sie sich für wirtschaftliche Belange interessieren.

Die restlichen im bewussten LJ-online-Artikel erwähnten Papiere stiegen weiter, wie sie es auch schon im bisherigen Jahresverlauf getan hatten; lediglich die Aktie von Qiagen fiel seit Ende Juni geringfügig um nicht mal zwei Prozent. Sowohl 4SC ( 3,51 auf 4,95 Euro; plus 41 Prozent) hingegen als auch Medigene (11,13 auf 12,70; plus 14 Prozent) und Morphosys (60,65 auf 71,98 Euro; plus 19 Prozent) haben erneut stark zugelegt.

Allein im Falle von Morphosys, dessen Aktie sich inzwischen auf dem höchsten Stand seit 2014 befindet, gäbe es derart viel Neues zu berichten, dass man ein Buch drucken könnte. Wir tragen das auch baldmöglichst nach, versprochen! – doch vorerst sei zumindest die neueste Erfolgsmeldung genannt:

Die US-Gesundheitsbehörde FDA gewährte den Oberbayern Ende Oktober für ihren Antikörper MOR208 „in Kombinationsbehandlung mit dem Krebsmedikament Lenalidomid“ den Status Therapiedurchbruch („Breakthrough Therapy Designation“). Das – noch – experimentelle Mittel soll bei Blutkrebs-Patienten zum Einsatz kommen; Marktanalysten sprechen von einem potenziellen Umsatzpotenzial von knapp 800 Millionen Dollar bis 2030, falls der Antikörper ums Jahr 2021 herum auf den Markt kommen sollte (was noch in den Sternen steht).

Das Breakthrough-Siegel der FDA wird vergeben, wenn erste klinische Daten darauf hinweisen, dass ein Wirkstoff eine signifikant bessere Wirksamkeit als die Standardtherapie aufweist – und soll die Entwicklung und Prüfung derartiger Präparate beschleunigen. Ob MOR208 diese hohen Erwartungen erfüllen kann, zeigt sich im Dezember: Dann nämlich will Morphosys Daten aus der aktuellen Phase-II-Studie präsentieren.

Damit soll’s fürs Erste wieder genug sein mit Börsengeplauder – demnächst (Anfang November) konzentrieren wir uns an dieser Stelle auf ein paar weithin unbekannte AGs aus der zweiten Reihe, und auf deren Aktien, die oftmals interessanter sind als die der großen Namen.

Wie immer gilt auch dieses Mal: Der Autor dieses Artikels gewährt weder eine Garantie für Gewinne noch einen Ersatz für etwaige Verluste. Jeder muss selbst entscheiden, welche Aktien letztlich zum Erfolg führen könnten. In jedem Fall wünschen wir viel Erfolg – bei der Geldanlage genauso wie beim Pipettieren, Zentrifugieren, Studieren und Promovieren!

Winfried Köppelle

Letzte Änderungen: 20.11.2017