Lizenz zum Schneiden

(21.06.2018) Wer die CRISPR-Technologie kommer­ziell nutzen möchte, muss sich erst eine Lizenz zulegen, zum Beispiel von ERS Genomics. Die Investition scheint sich zu lohnen, Bayer und Evotec haben es bereits getan.
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Editorial

Die Streitigkeiten um die CRISPR-Patente zwischen dem Broad Institute auf der einen und der University of California, Berkeley, auf der anderen Seite sind weiterhin in vollem Gange. In den USA brodelt der Konflikt noch immer heftig darüber, ob die Erfindung von Jennifer Doudna und Emannuelle Charpentier so elementar war, dass alle weiteren Anwendungen (besonders an Säugerzellen) nur logische Ableitungen sind oder ganz eigene Erfindungen.

In Europa ist man zum Glück schon weiter. Bereits im letzten Jahr hat das Europäische Patentamt Berkeley ein weitreichendes Patent zugesprochen und zwar für alle Zelltypen. Im Februar diesen Jahres kam ein zweites hinzu: die Verwendung eines chimären Cas9-Enzyms, dessen DNA-Schneidefunktion inaktiviert ist (Stichwort: CRISPR Interference).

Überhaupt sind die Besitzverhältnisse des Patents recht verwirrend. So werden auf dem Patent-Antrag von März 2013 Emmanuelle Charpentier, Krzysztof Chylinski, Jennifer Doudna, Martin Jinek, James Harrison Doudna-Cate, Wendell Lim und Lei Qi als Erfinder genannt. Das Patent selbst besitzen aber die University of California, die Universität Wien und Emmanuelle Charpentier. Der schwedische Gesetzgeber (und Charpentier forschte ja damals an der Universität von Umeå) erlaubt Wissenschaftlern, ihre Rechte an Erfindungen zu behalten.

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Zwei neue Firmen

Da man sich als Forscher ungern mit Patenten und Lizenzen herumschlagen möchte, gründete Charpentier zwei neue Firmen und übertrug ihnen ihre Rechte: CRISPR Therapeutics und ERS Genomics. Erstere vergibt Lizenzen an Firmen, die die Technologie dafür nutzen möchten, menschliche Erkrankungen zu behandeln. ERS Genomics kümmert sich um alle anderen Anwendungen.

Firmensitz von ERS Genomics ist interessanterweise im steuerfreundlichen Irland, in Dublin; Charpentier fungiert als Wissenschaftliche Beraterin (scientific advisor). „ERS ist in Verhandlungen mit mehreren dutzend Firmen und wir vergeben pro Monat etwa 3-4 Lizenzen. Davon machen wir nicht alle öffentlich. Im letzten Jahr nahm die Lizenzierungs­welle weiter Fahrt auf, etwa seitdem wir unser erstes Patent in Europa zugesprochen bekamen. Wir erwarten, dass die Anfragen noch weiter zunehmen, vor allem aus den USA und Japan,“ teilt ERS Genomics auf Nachfrage von Laborjournal mit.

In über 60 Länder wurden die Lizenzen bereits vergeben. Natürlich auch nach Deutschland. Bayer, zum Beispiel, hat sich bereits 2016 um eine Lizenz bemüht und seit Mai diesen Jahres kann auch die Evotec AG mit der CRISPR-Technologie von Emmanuelle Charpentier und Co. arbeiten. „Evotec nutzt die CRISPR-Technologie sowohl für ihre Target-ID-Plattform als auch zur Unterstützung der Dekonvolution von durch phänotypisches Screening identifizierten Zielstrukturen. Mit der Integration von genomweit aufgestellten CRISPR-Bibliotheken in Evotecs Screening-Plattformen kann Evotec Gen-Deletion und menschliche, zellbasierte Krankheitsmodelle nutzen, um neue Zielstrukturen für Wirkstoff-Entwicklungsprogramme zu identifizieren“, heißt es dazu in einer Pressemitteilung.

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Patent zurückgenommen

Entsprechende Lizenzen vom Broad Institute hatte sich der Hamburger Wirkstoff-Entwickler schon 2016 zugelegt. Allerdings: Anfang dieses Jahres hat das Europäische Patentamt – aufgrund eines Formfehlers und mangelnder Originalität - eines von insgesamt 10 Broad-Patenten wieder zurückgenommen. Nicht sehr angetan von dieser Entscheidung forderte Broad das Europäische Patentamt solle seine Vorgehensweise an die Verträge der Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums anpassen. Das würde jedoch nicht weniger als eine Gesetzesänderung bedeuten, kommentierte Eric Rhodes, Geschäftsführer von ERS Genomics, in einer Stellungnahme. Sehr unwahrscheinlich also. Aus diesem und anderen Gründen erwartet Rhodes, „dass auch die anderen (Broad-Patente) ein ähnliches Schicksal erleiden werden“. Zumindest in Europa.

ERS Genomics ist also weiterhin blendend im Geschäft. Die allerneueste CRISPR-Lizenz ging nach Reutlingen bzw Berlin, Standorte des Auftragsforschungsinstituts NMI TT des Naturwissenschaftlichen und Medizinischen Instituts der Uni Tübingen. Das 2002 gegründete Institut bietet Kunden aus Pharma und Biotech verschiedene Service-Dienstleistungen - von der Etablierung kundenspezifischer Zelllinien, über Protein-Profiling bis hin zu elektrophysiologischen Anwendungen wie der Patch Clamp-Technik.

Wichtiger Zugang

Die neuerworbene Lizenz kommt vor allem den zellbiologischen Service-Angeboten zugute. Einsatzgebiete sind die „Generierung von modifizierten Zelllinien für die Target-Identifizierung und -Validierung sowie für die präklinische Testung von Arzneimittel-Kandidaten,“ verrät der Leiter des Berliner Außenpostens Christoph Sachse. „Wir erachten den Zugang zu diesen Schlüsselpatenten als sehr wichtig und wertvoll für die Weiterentwicklung unseres Geschäftsbereiches der Custom Cell Services,“ fügt er hinzu.

Über Konditionen der Lizenz wollten weder ERS Genomics noch Christoph Sachse Auskunft geben. Auch nicht über die Höhe der Lizenzgebühr. „Kein Kommentar“.

Ein Detail ist jedoch wichtig. Bei der Lizenz handelt es sich um eine nicht-exklusive Lizenz. Jede Firma mit genug Taschengeld kann sich also Zugang zur Technologie erkaufen und sie fortan anwenden. Ist das für ein Unternehmen kein Nachteil? Nein, meint Sachse, „die Vielfalt der CRISPR-Anwendungen ist immens, so dass wir in dem nicht-exklusiven Charakter unserer Lizenz für uns keinerlei Nachteile sehen.“

Mit 3-4 neuen Lizenzen pro Monat (Tendenz steigend) kommt sicher einiges an Gebühren rein für ERS Genomics. Wäre es nicht schön, wenn diese Kohle direkt wieder in die Grundlagenforschung fließen würde? Bei ERS nachgefragt, heißt es: „ERS wurde einzig aus dem Grund gegründet, die Technologie so vielen Unternehmen wie möglich zur Verfügung zu stellen, wir selbst machen keine Forschung. Emmanuelle arbeitet jedoch weiter am CRISPR-System“.

Kathleen Gransalke