Blockflöten purzeln im 30-Sekundentakt aus der Maschine

(02.08.2018) Musikinstrumente (und Laborbedarf) aus Bioplastik – das ist keine Utopie: Bioplastikhersteller Tecnaro über Einweggeschirr, Gucci und nachwachsende Rohstoffe.
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Editorial

Laborjournal fragt: Warum heißt Ihre Firma Tecnaro? Rede und Antwort steht Jürgen Pfitzer, der seit 1998 gemeinsam mit Helmut Nägele die Geschicke des baden-württembergischen Biopolymerproduzenten lenkt.

Laborjournal: Herr Pfitzer, Sie feiern dieses Jahr 20-jähriges Bestehen bei Tecnaro…

Jürgen Pfitzer:haben wir gefeiert, im Juli, mit einem rauschenden Fest [lacht].

…wie kamen Sie damals dazu, mit Öko-Kunststoffen eine Firma zu gründen?

Pfitzer: Helmut Nägele und ich kamen 1996 ans Fraunhofer-Institut bei Karlsruhe. Dort haben wir uns relativ schnell auf das Thema ‚Nachwachsende Rohstoffe in der Kunststoff-Technik‘ festgelegt. Motiviert wurden wir durch die Umwelt­konferenz in Rio im Jahr 1992, wo es unter anderem darum ging, CO 2-Einspar­potentiale zu finden. Denn fossiles CO 2 trägt maßgeblich zur Klima-Erwärmung bei. Da wir in der Kunststoff-Technik zu Hause waren und sind, war es naheliegend, in diesem Geschäftsfeld, wo sich alles um fossile Rohstoffe dreht, nach Einspar­potential zu suchen. Wir sind dann auf das Zellstoff-Aufschluss­verfahren Aquasolv gestoßen, bei welchem hochreines Lignin anfällt.

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Als Abfallprodukt?

Pfitzer: Genau. Zellstoff wird aus Holz gewonnen, dort fallen etwa 30 bis 35 Prozent Lignin als Störstoff an, der möglichst vollständig von der Zellulose gelöst werden sollte. Je besser das gelingt, umso hochwertiger ist das Papier. Zellulose und Lignin, das sind die weltweit am besten verfügbaren Rohstoffe überhaupt, die sich zudem immer wieder erneuern. Durch diverse Beimischungen, haben wir dann festgestellt, dass Lignin viel mehr ist als ein Füllstoff. So wurde im Labor unser ‚flüssiges Holz‘ - Arboform - geboren.

Und darauf hatte der Markt gewartet?

Pfitzer: Naja, wir sind da ein wenig reingestolpert. Damals gab es ein Schreiben vom Fraunhofer-Präsidenten Hans-Jürgen Warnecke, welches für Ausgründungen aus der Fraunhofer-Gesellschaft warb. Wir hatten unseren Werkstoff mit Potential, aber natürlich weit weg von einer marktfähigen Anwendung. 1998 haben wir dann trotzdem ausgegrün­det. Zwei Jahre später haben wir unsere Familien eingepackt und unseren Lebens- und Arbeits­mittelpunkt um 330 km verlegt, ins Gründerzentrum von Eisenach in Thüringen. Dort konnten wir unsere ersten Mitarbeiter einstellen, die zum Teil noch heute bei uns arbeiten, obwohl wir inzwischen wieder nach Baden-Württemberg zurückgekehrt sind. Und in Eisenach haben wir auch unsere ersten Serien­produkte umgesetzt, also Granulate aus nachhaltigem Kunststoff-Ersatz.

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Offensichtlich kommt das gut an. Beim Blick auf Ihre Produktpalette bin ich auf bekannte Marken gestoßen.

Pfitzer: Richtig. Gucci macht aus unseren Werkstoffen Schuhe und Sonnenbrillen, Benetton verwendet in ganz Europa nur noch Echtholz-Bügel oder welche aus unseren Granulaten. Wir beliefern aber auch die Automobil-Industrie, es gibt Haushalts­waren, Büroartikel, beispielsweise die ‚ReNature‘-Serie von UHU oder die Ökolinie ‚Edding 24‘. Gerade gehen wir Getränkekisten für Bioweine oder Biobiere an sowie Mulch-Folien für den Ackerbau, die man einfach unterpflügen kann. Bisher werden Polyethylen-Folien verwendet, die später als Mikroplastik in Lebensmitteln wieder auftauchen.

Was ist mit Laborbedarf oder Materialien für das Gesundheitswesen? Dort fallen täglich Unmengen an Plastikmüll an, in Form von Pipetten, Reaktionsgefäßen, Spritzen oder Zellkulturschalen.

Pfitzer: Die Firma Semadeni in der Schweiz nutzt bereits unsere Werkstoffe für Einwegspatel, Messlöffel oder ganz banale Boxen. Aber das große Interesse gab es noch nicht. Ich denke, das wird sich ändern. Denken Sie an das EU-Plastikverbot. Früher wollte keiner der großen Hersteller mit uns reden, heute rennen sie uns die Bude ein. Ob Einweg­geschirr, Becher, Strohhalme, das ist für unsere Werkstoffe ein Klacks. Gerade haben wir ein Projekt abgeschlossen, in welchem es um Bioprothesen ging. Das hat ebenfalls sehr gut funktioniert.

Damit präsentieren Sie geradewegs die enorme Flexibilität Ihrer Öko-Polymere. Welche Vorteile hat denn Ihr Flüssigholz gegenüber reinen Holzpro­dukten?

Pfitzer: Das sind die gleichen Gründe, warum es Kunststoffe gibt: Sie sind leichter, frei formbar, industriell produzierbar. Wir können sehr präzise bearbeiten, dadurch kommen wir im Akustikbereich durchaus an hochwertiges Tropenholz heran. Allerdings purzeln bei uns im 30-Sekundentakt reproduzierbar Blockflöten aus der Spritzgieß­maschine, während die Herstellung aus Holz Stunden dauert. Der Ausschuss ist zudem recht hoch, wenn Risse oder Astlöcher im Holz sind. Aber das ligninbasierte flüssige Holz ist schon lange nicht mehr der einzige Werkstoff, wir nutzen viele verschiedene Rohstoffe. Inzwischen haben wir 4.500 unterschiedliche Rezepturen, für Biopolymere mit unterschied­lichsten Eigen­schaften. Deshalb können wir Rohmaterial für feinste Fasern für Textilien bis hin zu wuchtigen Automo­bilteilen liefern.

Und das alles aus nachwachsenden Rohstoffen wie Holz, Mais oder Zuckerrohr. Schlagen sich diese eventuell auch in Ihrem Firmennamen nieder?

Pfitzer: Tecnaro setzt sich in der Tat zusammen aus den Anfangssilben von ‚Technologie nachwachsender Rohstoffe‘. Und das ist schon 20 Jahre alt, da hat noch kein Mensch über Technologie nachwachsender Rohstoffe nachgedacht. Gut für uns war, dass sich diese Begriff­lichkeit durchgesetzt hat, und nicht zum Beispiel erneuerbare Rohstoffe, Biorohstoffe oder dergleichen. Das ist vermutlich auch ein Grund, dass wir immer sehr weit oben stehen, wenn man mal ein bisschen googelt [lacht].

Die Fragen stellte Sigrid März

    Steckbrief Tecnaro

  • Gründung: 1998
  • Sitz: Ilsfeld-Auenstein
  • Mitarbeiter: 30
  • Produkt: Biologisch abbaubare Kunststoffe