Raus aus der Wissenschaft, rein in die Wirtschaft (4)

(30.08.2018) In Teil 4 unserer Serie schauen wir uns an, wie die Fraunhofer-Gesellschaft Forschungsergebnisse verwertet. Als anwendungsorientierte Einrichtung ist sie nah dran an Unternehmen und am Markt.
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Editorial

Die Fraunhofer-Gesellschaft wurde im Nachkriegsdeutschland als gemeinnütziger Verein mit anfänglich drei Mitarbeitern in München gegründet. Schwerpunkt war zunächst die finanzielle Unterstützung der Hüttentechnik sowie des Berg- und Maschinenbaus in Bayern. Heute, nach knapp 70 Jahren, hat sie sich zu einer der europaweit größten Dienstleistungs­organisationen für angewandte Forschung und Entwicklung (F&E) entwickelt. An den 72 Forschungseinrichtungen und Instituten sind aktuell über 25.000 Mitarbeiter beschäftigt.

Laut aktuellem Jahresbericht betrug das Forschungsbudget im letzten Jahr rund 2,3 Milliarden Euro. Rund ein Drittel werden davon durch Bund und Länder im Verhältnis 90:10 grundfinanziert, während zwei Drittel durch öffentlich geförderte Forschungsprojekte sowie durch F&E-Auftragsforschung eingeworben werden muss. Allein im letzten Jahr kamen rund 570 Millionen Euro Drittmittel aus der gewerblichen Wirtschaft.

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Die Spin-off-Zentrale

Die Themen Ausgründung und Geistiges Eigentum werden seit 2002 durch die zentrale Abteilung Fraunhofer Venture verantwortet. Als One-Stop-Shop beinhaltet das Leistungs­spektrum u.a. die Beratung und Betreuung von der Ausgründungsidee bis hin zur tatsächlichen Gründung eines Unternehmens, Suche nach Finanzierungsmöglichkeiten in der frühen Phase einer Gründung aber auch Unterstützung bei einem möglichen Verkauf des gegründeten Unternehmens.

Im letzten Jahr wurden 602 Patente erstmalig angemeldet, 390 neue Lizenz-, Options- und Übertragungsverträge geschlossen, 143 Millionen Euro aus Lizenzverträgen erwirtschaftet sowie 33 neue Ausgründungsprojekte durch Fraunhofer Venture begleitet. Damit ist Fraunhofer nicht nur unter den Top-20-Anmeldern des Deutschen Patentamts. Ihre technologie­orientierten Ausgründungen erfreuen sich laut Jahresbericht auch überdurch­schnittlicher Performance hinsichtlich Umsatz, Überlebensrate und Einwerbung externen Kapitals. Doch es gibt noch Luft nach oben, findet die Gemeinsame Wissenschafts­konferenz in ihrem letzten Monitoring-Bericht, vor allem was Ausgründungen angeht. Und das obwohl sich Fraunhofer selbst dazu verpflichtet hat, jährlich mehr als 15 Ausgründungen durchzuführen.

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Verwertung oder Kompetenz

Seit 2005 bewegt sich deren Zahl zwischen 8 (Tiefststand in 2010) und 25 (Höchststand in 2017). Die Fraunhofer Ausgründungs- und Beteiligungsstrategie unterscheidet dabei zwei Arten von Ausgründungen: Verwertungs-Spin-offs werden auf der Basis Geistigen Eigentums oder Know-hows unter Abschluss einer formalen Vereinbarung gegründet und sind so statistisch erfassbar. Weitere Spin-offs wie Kompetenz-Spin-offs durch Gründer, die keine konkreten Forschungsergebnisse verwerten sondern ihre bei Fraunhofer erworbenen Fähigkeiten und Expertise einbringen, werden hingegen oftmals nicht erfasst.

Ausgründungen können dabei durch Neugründung, Änderung des Geschäftsbereichs eines bestehenden Unternehmens oder aber durch finanzielle Beteiligung an einem bestehenden Unternehmen im Rahmen des Technologietransfers erfolgen. In der Agenda Fraunhofer 2022 wurde zusätzlich eine sogenannte erlösorientierte Start-up-Strategie vorgestellt, durch die insbesondere der wirtschaftliche Erfolg von Fraunhofer-Ausgründungen und damit auch die Rückflüsse an Fraunhofer weiter gesteigert werden sollen. Die Einführung sogenannter Globalhaushalte im Wissenschaftsfreiheitsgesetz von 2012 vereinfachte die Genehmigungsverfahren für Unternehmensbeteiligungen auch für Fraunhofer.

Nur mit Genehmigung

Die Mitarbeit von Fraunhofer-Personal in Spin-offs ist so geregelt, dass zum Beispiel eine Vollzeit-Geschäftsführung erst nach Beendigung eines Arbeitsverhältnisses bei Fraunhofer übernommen werden kann. Ist die Tätigkeit im Spin-off zeitlich befristet, so muss eine Nebentätigkeitsgenehmigung eingeholt werden, die für bis zu maximal 24 Monate ausgestellt wird. Um Interessens­konflikte zwischen Ausgründung und Fraunhofer-Einrichtung vorzubeugen, sollen beispielsweise Fraunhofer-Mitarbeiter im Leistungs­bereich des Unternehmens nicht unterschriftsberechtigt sein und eine „neutrale Leitung“ eingesetzt werden, die Aufgaben im Controlling und Monitoring wahrnimmt.

Um die Gründerkultur zu fördern, unterstützt Fraunhofer Mitarbeiter in Ausgründungs­projekten durch Zuteilung spezifischer Fördermittel aber auch durch ein personen­bezogenes Prämiensystem. Ebenso wurde eine Ausgründungsprämie geschaffen, durch die die Institute für den „Verlust“ von Mitarbeitern, Know-how oder Geistigem Eigentum entschädigt werden.

Fraunhofer hat darüber hinaus in den letzten Jahren einen bunten Strauß an Programmen entwickelt, um Transfer, Ausgründung und Verwertung zu intensivieren. Für forschende Mitarbeiter sind dabei die Förderprogramme FFE – Fraunhofer fördert Entrepreneure zur Entwicklung eines Businessplans sowie FFM – Fraunhofer fördert Management zur Formierung eines Gründerteams hervorzuheben. So werden zum Beispiel im Rahmen des FFE-Programms neben intensivem Coaching auch ein internes Projektbudget von bis zu 50.000 Euro pro Ausgründungsidee zur Verfügung gestellt. Dies soll es erlauben, ein detailliertes Verwertungskonzept innerhalb von 12 Wochen zu erstellen und weitere Entwicklungsaktivitäten intern durchzuführen.

Sichtbarer Preis

Programme im Vorfeld von FFE wie FFI - Fraunhofer fördert Intrapreneuership – dienen der Ideengenerierung für eine spätere Ausgründung. Programme im Anschluss an FFE wie Fraunhofer Innovator dienen der systematischen Unterstützung von Technologieprojekten am Übergang vom Forschungsergebnis zum marktreifen Produkt. Weitere interne Programme wie WISA, MAVO, Discover und MEF unterstützen die Vorlaufforschung mit unterschiedlichen Zielsetzungen wie institutsübergreifende strategische Technologie- und Produktentwicklung oder Machbarkeitsanalysen unkonventioneller Ideen. Auch die Etablierung des mit 5.000 Euro dotierten Fraunhofer-Gründerpreises erhöht die Sichtbarkeit von Fraunhofer-Ausgründungen. Der erste Gewinner war die Scopis GmbH, die Navigationssysteme für die minimalinvasive Chirurgie entwickelt. 2010 als Kooperation zwischen der Charité-Universitätsmedizin Berlin und dem Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik IPK ausgegründet, wurde es kürzlich durch das US Medizintechnik-Unternehmen Stryker Corporation übernommen.

Eine weitere Erfolgsgeschichte: Das MP3-Format zur Komprimierung und Übertragung von Audiodateien wurde ab 1982 unter maßgeblicher Beteiligung der Gruppe um Karlheinz Brandenburg am Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen (IIS) in Erlangen entwickelt. Laut IIS summierten sich in Deutschland die im direkten Zusammenhang mit MP3 stehenden Steuereinnahmen auf jährlich bis zu 300 Millionen Euro. Als (Mit-)Inhaberin eines Teils der MP3-Patente hat die Fraunhofer-Gesellschaft dreistellige Millionenbeträge an Lizenzeinnahmen erwirtschaftet.

MP3 fördert Tissue Engineering

Daraus gingen zunächst in 2007 knapp 95 Millionen Euro als Startkapital in die Fraunhofer-Zukunftsstiftung ein. Durch die Stiftung werden u.a. gezielt Forschungsprojekte von in der Regel 5-jähriger Dauer unterstützt, die dem Aufbau von Patent-Familien dienen und an technologieorientierte Unternehmen lizenziert werden sollen. Projektvolumina variieren dabei zwischen 2,5 und 15 Millionen Euro. Zu den unterstützten Projekten gehören z.B. das Vorhaben RIBOLUTION, durch das eine integrierte Plattform für die Identifizierung und Validierung von RNA-basierten Biomarkern zur Erkennung komplexer Krankheiten aufgebaut wurde oder das Vorhaben Automated Tissue Engineering on Demand, durch das ein Verfahren zur vollautomatisierten in-vitro-Synthese menschlicher Haut entwickelt wurde und das für Arzneimittel- und Kosmetika-Tests eingesetzt werden kann.

Ralf Schreck



Letzte Änderungen: 30.08.2018