Vier Bindungsstellen und ein Todesfall

(25.10.2018) Der Heidelberger Pharma-Entwickler Affimed musste seine Phase-1-Studien mit Wirkstoff-Kandidat AFM11 stoppen. Ein Patient war gestorben.
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Editorial

Sie sind die Hoffnung für Krebspatienten weltweit – Immuntherapien. Zellen des eigenen Immunsystems werden als Killer-Kommando gegen Tumore eingesetzt. Im August erhielten folgerichtig die ersten zwei CAR-T-Zell-Therapien, Novartis‘ Kymriah und Kite Pharmas Yescarta, eine Markt­zulassung für Europa (Laborjournal Online berichtete). Und im Oktober James Allison und Tasuku Honjo den Nobelpreis für Medizin.

So revolutionär wie die Therapien sein mögen, es gibt auch eine Schattenseite: Die Behandlung ist teuer und kann ziemlich üble Nebenwirkungen mit sich bringen. Genau diese Nebenwirkungen überschatten momentan auch die klinischen Studien eines weiteren Immuntherapie-Kandidaten. Anfang Oktober gab der Heidelberger Pharma-Entwickler Affimed bekannt, dass es in zwei Phase-1-Studien zu schweren Komplikationen gekommen ist. Drei von 33 behandelten Patienten zeigten Symptome und Anzeichen von Neurotoxizität, einer starb an den Folgen der Behandlung.

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Studien in Europa und USA

Eigentlich wollte Affimed nur die Sicherheit des Wirkstoff-Kandidaten AFM11 gegen zwei Blutkrebs-Arten, Non-Hodgkin Lymphoma (NHL) und Akute Lymphatische Leukämie (ALL), testen. Unter anderem fanden die Studien in Deutschland (Unikliniken Saarland, Kiel, Mainz, Ulm, Würzburg), Österreich, Polen, Tschechien und den USA statt.

Mit ersten Ergebnissen wurde im nächsten Jahr gerechnet, nun hat Affimed die Studien bis auf Weiteres unterbrochen. „Die Nebenwirkungen wurden in den Patienten beobachtet, die die höchste Dosis der Substanz erhalten haben“, informiert Affimed in einer Pressemit­teilung vom 8. Oktober. Man habe die zuständigen Gesundheitsbehörden in Kenntnis gesetzt und würde die Daten nun auswerten. Über weitere Details schwieg man sich jedoch aus.

Neurotoxische Nebenwirkungen, die mit Symptomen wie Kopfschmerzen, Angstzuständen, Gleichgewichtsverlust und Sprechschwierigkeiten einhergehen, sind auch von anderen T-Zell-Therapien bekannt. So heißt es bei Novartis über Kymriah: „Achtzehn Prozent aller behandelten Patienten erlitten schwere bis lebensbedrohliche neurologische Ereignisse, die aber durch unterstützende Maßnahmen behandelt werden konnten. Eine schwere oder lebensbedrohliche Enzephalopathie, die mit CAR-T-Therapien assoziiert ist, wurde in elf Prozent der Patienten beobachtet“.

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Tetravalent und bispezifisch

Bei Affimeds AFM11 handelt es sich um einen tetravalenten bispezifischen sogenannten Tandem-Diabody (TandAb), der ausschließlich aus Fv-Domänen besteht und über insgesamt vier Bindestellen verfügt. Zwei davon docken an das Oberflächenprotein CD3 auf T-Zellen an, die anderen beiden an das Oberflächenprotein CD19 auf B-Zellen. Letzteres wird während der B-Zell-Entwicklung exprimiert. Während der Diabody also B-Zellen via CD19 erkennt, bindet er mit hoher Affinität an T-Zellen und aktiviert sie. Woraufhin CD19-positive Zellen eliminiert werden.

Der Diabody scheint perfekt geeignet, Krebserkrankungen zu behandeln, die auf entartete B-Zellen zurückgehen. Und in der Tat verhießen präklinische Studien nur Gutes: sogar bei sehr niedrigen T-Zell-Zahlen war die cytotoxische Wirkung des Antikörpers sehr ausgeprägt. Man war optimistisch, einen effizienten Wirkstoff gefunden zu haben und wähnte sich bereits auf einem „potentiellen Weg zur schnellen Marktzulassung“. Dieser Weg scheint nun erstmal versperrt.

Zukunft ungewiss

Wie es mit AFM11 weitergeht, ist unklar. Andere Wirkstoff-Kandidaten in der Pipeline sind laut Affimed nicht betroffen, da sie andere Zellen (NK-Zellen) aktivieren. Dennoch ist der Studien-Stopp ein herber Rückschlag für das Unternehmen, das 2000 als Spin-off des Deutschen Krebsforschungszentrums gegründet wurde und auf Forschung von Melvyn Littles Gruppe basiert. Kurz nach Bekanntgabe sackte der Aktienkurs des Unternehmens um rund 30% ab.

Kathleen Gransalke