Schutzpanzer für Zellen

(13.02.2019) Zellen für das Tissue Engineering oder die Biofabrikation müssen einiges aus­halten. Mit einer Hydrogel-Hülle kann ihnen jedoch nicht viel passieren.
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Editorial

Gewebezüchter kultivieren ihre Zellen häufig auf Hydrogelen, die sie zum Beispiel mit photoaktiven Substanzen zu stabilen Gerüsten quervernetzen. Die Zellen sind hierbei erheblichen Stressfaktoren ausge­setzt, etwa starken UV-Strahlen oder freien Radikalen, die zu DNA- sowie anderen Zellschäden führen können. Auch Zellen, die mit dem 3D-Drucker zu Geweben geformt werden, können durch den hierdurch ausgelösten mechanischen Stress geschä­digt werden. Um gegen diese teils sehr rauen Bedingungen bei der Biofabrikation von Geweben gewappnet zu sein, könnten die Zellen einen Harnisch gebrauchen, der sie während des Bioprintings oder Einlagerns in ein Hydrogel schützt.

Ein Team um die Spezialistin für Bioprinting Juha Song von der Nanyang Technological University in Singapur hat einen solchen Panzer für Säugerzellen entwickelt. Die Idee für die Schutzhülle hat sich das Team bei Pflanzen abgeschaut, die ihre Samen vor äußeren Einflüssen abschirmen, indem sie diese mit einer robusten Schale umgeben und in einen Ruhezustand versetzen.

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Lackiert und in Schlaf versetzt

Ein ganz ähnliches Prinzip verfolgt auch Song mit ihrem Team. Die Zellen werden in einer gallertartigen Masse verkapselt, mit einem „Anti-Oxidations-Lack“ überzogen und vorüber­gehend in Schlaf versetzt. Die Kapsel besteht aus einem Hydrogel des quellfähigen Polysaccharids Alginat aus Braunalgen, in dem die Zellen grüppchenweise verpackt werden. Anschließend wird das antioxidativ wirkende Polyphenol Pyrogallol (PG) aufgetragen, das chemisch mit pflanzlicher Gallsäure und Tanninen verwandt ist. PG polymerisiert unter basischen und sauerstoffhaltigen Bedingungen spontan und überzieht Oberflächen dadurch wie einen Lack.

Natürlich müssen die Bestandteile der Panzerung biokompatibel sein und dürfen keine Schäden bei den eingeschlossenen Zellen verursachen. Hier gilt wie so oft: die Dosis macht das Gift. Vitalitätstests mit verschiedenen Verdünnungen zeigten, dass PG-Konzentrationen bis zwei Milligramm pro Milliliter – was etwa 0,3 Mikrogramm PG pro Partikel entspricht – von den Zellen gut vertragen werden. Bei fünf Milligramm pro Milliliter schnellen die Opferzahlen dagegen hoch, denn PG wirkt auto-oxidierend und raubt den Zellen hierdurch den Sauerstoff. Alginat scheint bezüglich der Toxizität weniger heikel zu sein, vor allem weil die gewünschte Endkonzentration nicht zu hoch sein sollte – sonst würde die Masse schnittfest und die Zellen blieben darin gefangen.

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Anrühren, suspendieren, waschen

Die Herstellung des Panzers ist nicht allzu schwierig. Zunächst rührt man ein Hydrogel aus 1,5 Prozent Alginat sowie 0,9 Prozent NaCl an und suspendiert darin bei 37°C Fibro­blasten bis zu einer Enddichte von etwa 3x10 6 Zellen/ml. Unter Belüftung mithilfe einer Spritze wird das Gemisch langsam in ein „Präzipitationsbad“ aus 100 mM CaCl 2 sowie 10 mM HEPES bei pH 7,4 überführt. Innerhalb weniger Minuten kommt es zur Querver­netzung der einzelnen Zell-beladenen Alginat-Tröpfchen. Nach einem kurzen Waschgang in 0,9 Prozent NaCl, gefolgt von der Resuspension in Zellkulturmedium (DMEM), sind die Partikel bereit zum Auftragen des Polyphenol-haltigen Schutzanstrichs. Ein Thermomixer übernimmt das Schütteln der Zell-Alginat-Partikel in einer mit DMEM (pH 8) hergestellten PG-Lösung.

Wie hoch die Beladungseffizienz beziehungsweise Kapazität ist, lässt sich in den durch­sichtigen Probegefäßen recht einfach verfolgen. Je mehr die Partikel adsorbieren, desto dunkler wird das Pellet. Wer‘s genauer messen will, schaut sich den Überstand, der nicht-gebundenes PG enthält, im Photometer an. Individuelle Optimierungen sind durch Justierung der Zell-Alginat-Tröpfchengröße oder Einstellung der PG-Konzentration möglich.

EDTA löst Knoten

Die Gruppe wählte ganz gezielt Alginat für das Hydrogel aus, weil es sich in Gegenwart von EDTA wieder auflöst. EDTA fischt das Kalzium heraus und löst damit quasi die Knoten im Alginat-Netz. Da nur wenig Alginat eingesetzt wird, genügt bereits eine niedrige EDTA-Konzentration, die für die Zellen nicht gefährlich ist.

Mithilfe von Vitalitätstests verfolgten die Forscher, wie die Zellen das Verpacken, den PG-Anstrich und das Auspacken durch EDTA wegsteckten. Parallel dazu untersuchten sie die Zellproliferation über insgesamt sieben Tage zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Die Zellen überstanden die Alginat- und PG-Behandlung gut, PG bremste jedoch die Zellteilung aus. Die Gruppe vermutet, dass PG regulatorische Enzyme zum Beispiel Dehydrogenasen inhibiert, wodurch der Stoffwechsel vorübergehend gedrosselt wird. Der Stoffwechsel wird zwar signifikant, aber nicht vollständig heruntergefahren. Je nach PG-Konzentration teilen sich noch immer ein paar Zellen. Die Zellen schlummern, sind aber nicht im Tiefschlaf. EDTA befreit sie aus dem Alginat-Netz, wodurch sie sich wieder vermehren.

Gut geschützt

Die schlafenden, von einem Panzer geschützten Zellen halten einiges aus. Songs Mitarbeiter schickten sie zum Beispiel durch einen 3D-Drucker. Als Bio-Tinte diente eine frisch angesetzte Hydrogel-Mischung (GMHA), die unter anderem Glycidyl­methacrylat und Hyaluronsäure zur UV-induzierten Bildung eines Polymers enthielt. Die in den Alginat-Partikeln geschützten Zellen wurden mit der Bio-Tinte vermengt und zusammen mit dieser durch die Düse des 3D-Druckers in ein vorgelegtes weiches Auffangbecken gepresst, das fünf Prozent Gelatine in 153 mM CaCl 2 und 10 mM HEPES bei einem pH-Wert von 7,4 enthielt. Die Aushärtung des gedruckten Zellgerüsts erfolgte durch Photopolymerisation. Dabei zeigte sich, dass nur das GMHA-Alginat-Gerüst aushärtete, nicht jedoch die Zellen selbst – die Zellen hatten die Prozedur lebend überstanden. Dank des PG-Schutzmantels konnte ihnen die UV-Strahlung von immerhin 11 J/cm 2 nichts anhaben.

Analog zum 3D-Druck lassen sich die mit Zellen beladenen Alginat-PG-Partikel auch direkt in gewünschte Formen gießen, welche die Zellen nach dem Auflösen der PG-Partikel mit EDTA besiedeln. Als Matrix verwendete die Gruppe das unter UV-Licht aushärtende Hydrogel Gelatine-Methacryloyl (GelMA). Nach der Zugabe von EDTA entstanden Poren in der Matrix mit etwa 250 Mikrometern Durchmesser, in denen sich die Zellen rasch breit machten und vermehrten.

Andrea Pitzschke

Pan H. et al. (2019): Plant seed-inspired cell protection, dormancy, and growth for large-scale biofabrication. Biofabrication, DOI: 10.1088/1758-5090/ab03ed



Letzte Änderungen: 13.02.2019