Transkriptom mit Ortsangabe

(10.04.2019) Eine neue RNA-seq-Technik macht die räumliche Verteilung des Transkriptoms in den einzelnen Zellen eines Gewebes sichtbar.
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Editorial

Nicht alle Zellen desselben Gewebes „ticken“ exakt gleich. So wirkt sich zum Beispiel ihre räumliche Lage innerhalb des Gewebes auf das Expressions-Profil aus. Bei den üblichen RNA-Sequenzierungs-Methoden (RNA-seq), die für Transkriptom-Analysen eingesetzt werden, fallen diese räumlichen Expressions-Unterschiede jedoch unter den Tisch.

Um sie erfassen zu können, muss man genau wissen, wo die analysierten Zellen in dem Gewebe sitzen. Dafür gibt es bisher zwei Herangehensweisen: Bei der sogenannten Multiplexed-in-situ-Hybridisierung sequenziert man eine Handvoll ausgewählter Gene von Zellen mit bekannter Lokalisierung. Die räumliche Auflösung diesr Methode ist prima, die Expressions-Daten bilden aber nur ein Transkriptömchen ab. Mit barcodierten Oligo­nukleotid-Capture-Arrays erhält man zwar die gesamten Expressions-Daten, kann diese jedoch nicht den einzelnen Zellen zuordnen, weil die Auflösung nur wenige hundert Mikrometer beträgt.

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Position auf Deckgläschen

Wesentlich genauer und zudem Hochdurchsatz-tauglich ist die Slide-seq-Technik, die Evan Macoskos Gruppe vom Broad Institute in Cambridge, USA, entwickelte. Der Name Slide-seq trifft die Sache recht gut, denn das Prinzip besteht darin, RNA aus Gewebeschnitten zur Sequenzierung aufzubereiten und dabei die Position der Zelle, aus der diese RNA stammt, auf einem Deckgläschen mitzuerfassen.

Auf dem Glas liegt eine Art Gummimatte aus aufgesprühtem Silikon. Diese dient als Unterlage und Fixierung für zehn Mikrometer große Mikropartikel (Beads), die in zehn Mikroliter-Tröpfchen (100.000 Beads/µl) aufgetragen und angetrocknet werden. Jedes einzelne Bead dieser einlagigen Schicht trägt einen eigenen DNA-Barcode aus einem spezifischen Oligonukleotid. Die Oligos sind trotz Fixierung frei genug, um sie mit der SOLID-Methode (Sequencing by Oligonucleotide LIgation and Detection) sequenzieren zu können. Nach der Sequenzierung weiß man genau, wo jedes einzelne Bead liegt. Zwanzig bis dreißig dieser sogenannten pucks lassen sich in einem Aufwasch herstellen und bei 4°C lagern.

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Perlenteppich mit Barcode

Auf den barcodierten Perlenteppich legt man einen hauchdünnen noch gefrorenen Ge­webeschnitt und lässt ihn darauf auftauen. Anschließend erzeugt man daraus eine bar­codierte RNA-Sequenz-Bibliothek. Hierzu zerlegt man das an den Bead-Teppich haftende Gewebe in drei Millimeter große Stücke und überführt sie in ein Reaktionsgefäß. Die RNA aus dem Gewebe hybridisiert mit den polyT-Abschnitten der Bead-Oligos und wird mithilfe der reversen Transkription in cDNA umgeschrieben. Das nicht mehr benötigte Gewebe wird mit Proteinase K verdaut. Anschließend amplifiziert man die entstandene Bibliothek mit einer PCR, reinigt die PCR-Produkte und bereitet sie für die Sequenzierung auf.

Da die sequenzierte RNA einzelnen barcodierten Beads zugeordnet werden kann, weiß man nicht nur wie stark einzelne Gene exprimiert werden, sondern auch in welchen Zellen des Gewebes die Expression stattfindet.

Das Team testete die Slide-seq-Technik an verschiedenen Gewebeproben aus Mäusen, die zum Beispiel von Cerebellum, Riech­kolben, Hippocampus, Leber und Niere stammten. Die Auflösung reichte bis zur Einzelzelle. So zeichnete sich etwa in den Proben des Hippocampus die Schicht aus Ependymzellen ab, die nur eine Zelle dick ist.

Neben handwerklichem Geschick ist für Slide-seq auch ein Computerhirn nötig, das die Datenflut aufbereitet und nicht nur bekanntes verifiziert, sondern auch Muster erkennt. Mithilfe einer entsprechenden Software fanden die US-amerikanischen Forscher neue Marker­gene, deren Expression für eine bestimmte Position im Gewebe charakteristisch ist.

Cortex angekratzt

Die Methode eignet sich selbst für post mortem-Analysen menschlicher Hirnschnitte, aber auch für Untersuchungen an lebenden Versuchstieren. Die Gruppe analysierte zum Beispiel das räumliche Transkriptom in akut geschädigtem Hirn-Gewebe. Dazu kratzten Macoskos Mitarbeiter die Großhirnrinden von Mäusen an (cortical injury) und konzen­trierten sich auf die Transkripte bekannter Verwundungs-Markergene, die zum Beispiel typisch für Mikroglia oder Makrophagen sind. Anhand der Barcode-Zuordnung konnte das Team die jeweilige Position der Marker-Transkripte erkennen und die Wanderung von Mikroglia-Zellen und Makrophagen zum verletzten Gewebe verfolgen.

Besonderes Equipment oder exotische Chemikalien sind für Slide-seq nicht nötig. Der größte Kostenfaktor ist die Sequenzierung. Mit weiter sinkenden Preisen für die Sequen­zierung könnte es nach Ansicht der Gruppe mit der Technik sogar bald möglich sein, ganze Organe oder gar Organismen zu untersuchen.

Andrea Pitzschke

Rodriques S. et al. (2019): Slide-seq: A scalable technology for measuring genome-wide expression at high spatial resolution. Science, 363 (6434):1463-67