Achtung, Einsturzgefahr!

(23.04.2019) Seit über 20 Jahren engagiert sich Science Bridge für die Wissenschafts­kommunikation. Nun stellt die Uni Kassel die Förderung ein.
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Editorial

Die Beziehung zwischen „Der Wissenschaft“ und „Der Öffentlichkeit“ steht bekanntlich nicht zum Besten. Viele Menschen vertrauen alternativen Fakten bzw. ihrem Bauchgefühl mehr als Erklärungen, die auf Vernunft und einem wissenschaftlichen Fundament ba­sieren. Das Misstrauen gegenüber For­schern ist groß, und den meisten Menschen fehlt die Wissens­grundlage, um Diskus­sionen beispielsweise über den Einsatz neuer gentechnischer Methoden richtig bewerten zu können. Immer wieder wird deshalb die Forderung laut: Wissenschaftler sollen mit ihrer Arbeit mehr an die Öffentlichkeit gehen!

Vorbildlich in dieser Hinsicht ist der gemeinnützige Verein Science Bridge, der sich die Wissens­vermittlung an Laien auf die Fahne geschrieben hat und bereits seit 23 (!) Jahren das wahrscheinlich älteste Schüler-Labor Deutschlands betreibt. Zuletzt war Science Bridge mit seinem DFG-geförderten Projekt „Crispr whisper“, einem Wissenschaftsblog für Laien über die Genschere CRISPR-Cas, in den Schlagzeilen (auch hier bei Laborjournal).

Umso größer der Schock und das Unverständnis über die Nachricht, die Wolfgang Nellen, Mitbegründer von Science Bridge und dessen Vorsitzender, auf der Petitions­plattform Open Petition kürzlich mit den Science Bridge-Sympathisanten teilte: „Das Präsidium der Universität Kassel hat jetzt beschlossen, die geringfügige aber dringend erforderliche Förderung von Science Bridge e.V. einzu­stellen. Das erfolgreiche und nachhaltige Projekt muss deshalb möglicherweise eingestellt werden.“ Nellen, ehemaliger Genetik-Professor der Uni Kassel, kämpft mit der Petition um den Erhalt des Vereins bzw. seiner finanziellen Förderung durch die Uni Kassel. Darin fordert er die dauerhafte Einrichtung einer halben Wissenschaftlerstelle. Die Finanzmittel für den laufenden Betrieb erwirtschaftet Science Bridge dagegen selbst. Nellen zeigt sich enttäuscht von der mangelnden Gesprächsbereitschaft der Uni: „Wir haben bis heute keine Stellungnahme der Universität Kassel zur Einstellung der Förderung erhalten.“

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Kooperation ohne Gespräche

Die Uni widerspricht in einem Schreiben an Laborjournal. Laut Beate Hentschel, Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit der Uni Kassel, liegt dem Konflikt ein Missverständnis zugrunde. So soll von der Uni Kassel nie eine dauerhafte Finanzierung von Science Bridge in Aus­sicht gestellt worden sein: “Der eingetragene Verein Science Bridge unterstützt Schüler­experimente und Lehrer­fortbildung im Bereich Genetik. Bei Science Bridge handelt es sich nicht um eine Organisa­tionseinheit der Universität. […] Per Vertrag hat die Universität Kassel 2015 eine Kooperation mit dem Verein Science Bridge vereinbart, mit dem gemeinsamen Ziel eines Wissens­transfers im Bereich Biowissen­schaften. Es sind also ausdrücklich nicht, wie nun implizit behauptet wird, direkte Zuwendungen an den Verein vereinbart worden, schon gar keine dauerhaften.“

Die vereinbarten Mittel in Höhe von 30.000 Euro seien dem Fachbereich vertragsgemäß zur Verfügung gestellt worden, um einmalig eine Grundausstattung an Material und Infrastruktur anschaffen zu können. Auch unterstütze die Uni die Aktivitäten von Science Bridge zusätzlich durch die Bereit­stellung von Räumen, wissenschaftlichen Input oder die Unterstützung in der Öffentlich­keitsarbeit. „Dazu steht die Hochschul­leitung nach wie vor und geht von einer Fortsetzung der Kooperation aus“, so Hentschel. Die dauerhafte Finanzierung einer halben Wissenschaftlerstelle, wie von Science Bridge gefordert, hält die Hochschule dagegen für unangemessen. „Es wäre schwer zu vermitteln, würde die Universität bei bekannt knappen Budgets für Personal und Lehraufträge die Aktivitäten eines Vereins mit jährlich 10.000 Euro oder gar einer halben Stelle fördern.“ Herrn Nellen sei dies erläutert worden.

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Entscheidung ohne Gründe

Dieser sieht das anders und entgegnete in einer schriftlichen Stellungnahme: „Die Haltung der Hochschul­leitung wurde Prof. Nellen oder anderen Vorstandsmitgliedern seitens der Universität nicht erläutert. Es gab im Dezember 2018 ein Gespräch mit dem Vizepräsi­denten Prof. Ehresmann, der mitteilte, dass das Präsidium nicht weiter fördern will. Eine Begründung konnte der Vizepräsident, der selbst von dieser Entscheidung sehr enttäuscht war, nicht geben.“

Ein weiteres Gespräch im gleichen Jahr zwischen Nellen, Ehresmann und der damaligen Planerin Frau Vogel sei zu dem Fazit gekommen, „dass eine nachhaltige Lösung zur Anbindung und Finanzierung von Science Bridge an die Universität dringend erforderlich sei“. Leider kündigte Frau Vogel kurz darauf, und die Planungsstelle ist seitdem vakant. Von einer „Initialförderung“ zu sprechen, hält Nellen für verfehlt, haben doch über 20 Jahre lang ununterbrochen Aktivitäten des Vereins für die Universität Kassel stattgefunden: „Science Bridge beteiligt sich seit Jahren (größtenteils unentgeltlich) an curricularen und extracurri­cularen Lehrveranstaltungen. Studenten erhalten, nach strengen Kriterien, anerkannte Credits für die Teilnahme an Science Bridge-Veranstaltungen.“ Außerdem habe man eigenständig Drittmittel des BMBF (PRONET 2) zur Verbesserung der Lehre und für eine Erweiterung von Lehrveran­staltungen eingeworben, von denen selbstverständlich die Universität profitiert.

Mehr als ein Verein

Aus diesem Grund halten es die Vorstandsmitglieder sehr wohl für gerechtfertigt, dass die Universität den Verein auch in Zeiten knapper Mittel finanziell unterstützt. „Science Bridge ist nicht ‚irgendein Verein‘, sondern hat über 20 Jahre national und international als ‚Science Bridge an der Universität Kassel‘ zum guten Ruf der Universität beigetragen.“ Dass Science Bridge ein Verein ist, habe für die Uni sogar Vorteile, weil man damit mehr Freiheiten als eine Hochschule habe, „die eine effektive Arbeit erleichtern und Verwal­tungs­wege abkürzen. (…) Andererseits braucht Science Bridge die Anbindung an die Universität, um Drittmittel einwerben zu können, auf die nur universitäre Antragsteller Zugriff haben“, so Nellen und Kollegen.

Hinzu kommt, dass die Förderung mancher Sponsoren an die Beteiligung der Hochschule geknüpft ist. Einer von ihnen hat seine Förderung als Reaktion auf den Uni-Rückzug bereits eingestellt. Laut Nellen war der Universität bekannt, dass dieser Sponsor seine Leistungen an eine Beteiligung der Universität gekoppelt hatte.

Ein Blick in den Jahresbericht von Science Bridge, der auf Open Petition hinterlegt ist, erweckt den Eindruck, dass Science Bridge im letzten Jahr in der Tat ausgesprochen umtriebig war. So wurden zusätzlich zur Beteiligung an der universitären Lehre 35 Schulkurse mit etwa 840 Schülern in 16 Schulen durchgeführt, während etwa weitere 1.000 Personen an Vorträgen, Workshops und anderen Aktivi­täten des Vereins teilnehmen konnten. Daneben fanden Studien­orientierungs­vorträge und Lehrer­fortbil­dungen sowie eine Beteiligung an einer Vielzahl medien­wirksamer Veranstal­tungen wie dem March for Science, der Internationalen Junior Science Olympiade, ver­schiedenen MINT-Initiativen und dem Boy’s Day statt.

Science Bridge vor dem Aus?

Eine Wertschätzung der Uni Kassel für die Arbeit ihres Vereins können die Science Bridge-Vorstandsmitglieder nicht erkennen: „Die Leistungen im praktischen Studenten­marketing, in der Studenten­ausbildung, in der Öffentlich­keitsarbeit, in der Internatio­nalisierung, bei der Einwerbung renommierter Fördermittel u.a. werden vom Präsidium weder zur Kenntnis genommen noch honoriert.“ Dies stehe im Gegensatz zur hohen Wertschätzung, den der Verein durch den Fachbereich Mathematik und Natur­­wissenschaften erfahre, wie Nellen ausdrücklich betont: „Der Fachbereich unterstützt die Arbeit von Science Bridge mit beein­druckender Solidarität.“

Science Bridge zeigt sich darüber enttäuscht, dass sich die Universität Kassel in der Stellungnahme an Laborjournal „auf Formalitäten“ berufe: „Science Bridge ist dagegen in erster Linie ergebnisorientiert. Wir würden es daher sehr begrüßen, wenn der Vertrags­partner Universität die für die Durchführung des Projekts notwendigen und angemessenen Personal­leistungen seinerseits zur Verfügung stellt.“

Wie die genaue Vertragslage zwischen der Uni Kassel und Science Bridge aussieht, können wohl nur noch Anwälte klären. Der gesunde Menschen­verstand fragt sich jedoch, ob es jetzt nicht jenseits dieser Diskussion möglich sein sollte, eine Entscheidung für eine nachhaltige Förderung von Science Bridge zu treffen. Eine Entscheidung für ein Erfolgsprodukt, dessen Arbeit in der Wissen­schaftskommu­nikation, Studentenaus- und Lehrerweiter­bildung heute wichtiger ist denn je und auch in anderen Städten „Schule machen“ sollte. Immerhin sind die erforderlichen Mittel einer halben Wissen­schaftlerstelle, gemessen an den teils immensen Summen anderer Forschungs­projekte, verschwindend gering.

Larissa Tetsch



Letzte Änderungen: 23.04.2019