Diagnostik-Pioniere feiern Geburtstag

(11.07.2019) Vor 30 Jahren hatten zwei Mikrobiologen eine super Geschäftsidee. Aus der wurde zwar erstmal nichts, ihre Firma Mikrogen haben sie dennoch zum Erfolg geführt.
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Editorial

April 1989: In der Deutschen Demokra­tischen Republik kündigt sich eine Revolution an, die im Frühjahr des darauf folgenden Jahres das Land nachhaltig verändern sollte. Gleichzeitig gehen (in einem etwas kleineren Maßstab) im Süden der BRD zwei junge Mikrobiologen, beide 30 Jahre alt, ein ebenso risikoreiches Wagnis ein – sie gründen eine Biotech-Firma, die Mikrogen Molekularbiologische Entwicklungs GmbH, seit 2011 kurz Mikrogen.

„Wir haben sehr einfach angefangen,“ erinnert sich Erwin Soutschek, einer der beiden Gründer, in einem Interview zum 20-jährigen Firmen-Jubiläum vor 10 Jahren. „Unser Besprechungstisch war von Ikea. Unsere Labormöbel haben wir teilweise selbst zusammengeschraubt.“ Hinzu kamen 1,1 Millionen D-Mark Startkapital vom Bundes­forschungs­ministerium, der Stadtsparkasse München und auch Freunde und Familie hatten etwas dazugegeben. Im Gewerbehof-Westend erblickte Münchens wohl erstes „Gentechnik-Start-up“ das Licht der Welt.

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Diagnostische Spürhunde

Bereits an der Ludwig-Maximilians-Universität München hatten sich Soutschek und sein Geschäftspartner Manfred Motz mit der Detektierung rekombinanter Antigene beschäftigt. Dieses Wissen nahmen die beiden nun mit in ihr neugegründetes Unternehmen. Rekom­binante Antigene, so dachten sich Motz und Soutschek, eignen sich hervorragend, um bakterielle und virale Infektionen zu diagnostizieren. Denn als diagnostische Spürhunde machen sie jeden Erreger-spezifischen Antikörper in einer Patientenprobe ausfindig. Der Vorteil ihrer Methode: Antigene können in höchster Qualität und beliebiger Menge gewonnen werden, sie sind einzeln verfügbar und nicht wie damals üblich Teil eines Erregerlysats.

Eigentlich wollten die beiden Wissenschaftler, so die Gründungsidee, den damaligen Labor-Diagnostik-Markt mit einem neuartigen HIV-Test aufmischen, der zuverlässiger und billiger ist als die Konkurrenz. Eigentlich. Den Test entwickelten Motz und Soutschek zwar, letztlich scheiterten die beiden jedoch an den Hürden der Marktzulassung. Und das obwohl, wie es heute aus der Geschäftsleitung heißt „die regulatorischen Anforderungen im Vergleich zu heute wesentlich geringer waren“. Dennoch zu hoch für das junge Unternehmen.

Dieser Rückschlag musste erstmal verkraftet werden, aber er hatte auch die kreativen Geister der Jungunternehmer geweckt. Wenn nicht HIV, dann eben Borrelien. Und genau mit diesem Nachweis-Test auf Borrelien gelang Soutschek, Motz und damit Mikrogen der große Durchbruch in den 1990ern. Auch heute noch ist der Test das erfolgreichste Produkt im Portfolio, verrät Mikrogen. In humanem Serum, Plasma oder Liquor erkennt der Streifen-Immunassay IgG- oder IgM-Antikörper gegen vier Borrelia-Arten. Als Antigen kommen unter anderem das Outer Surface Protein C, OspC, und das Decorin-binding Protein A zum Einsatz.

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Viren von A bis Z

Borrelien blieben im Laufe der Firmengeschichte nicht die einzigen Erreger, für die Mikrogen selbst einen Diagnostik-Test entwickelte oder einen solchen in sein Portfolio aufnahm. Von A wie Astrovirus bis Z wie Zikavirus, von Bordetella parapertussis bis Yersinia ist das Bakterien- und Virus-Infektions-Spektrum recht gut abgedeckt. Zuletzt hinzu gekommen ist ein ELISA-Test zum Nachweis einer Chlamydia-pneumoniae-Infektion. Auch Tests auf Pilze, Parasiten und Autoimmunerkrankungen gehören inzwischen zur Mikrogen-Produktpalette.

Und… ein HIV-Test ist auch dabei. 2009 hatten Motz und Soutschek ihre Gründungsidee nochmal aufgegriffen und offensichtlich die Zulassungsbürokratie erfolgreich bewältigt. Denn seit einiger Zeit ist tatsächlich ein weiterentwickelter und überarbeiteter Streifen-Immunassay zum Nachweis von IgG-Antikörpern gegen das humane Immundefizienzvirus Typ 1 und Typ 2 erhältlich.

Antigene spielen jedoch nicht immer die Hauptrolle. Für viele Tests vertraut Mikrogen mittlerweile auf den direkten Nachweis per Real-Time-PCR.

Die Strategie des langsamen, aber stetigen Wachsens, ohne sich den Verlockungen von Investoren hinzugeben, ist für Mikrogen aufgegangen. „Unser Wachstum ist immer aus selbst generiertem Gewinn finanziert worden,“ erzählt Soutschek 2009. „Manchem anderen Unternehmen hätte unser Weg vielleicht gut getan.“ In der Tat schreibt die Firma seit 1991 schwarze Zahlen und musste nie Mitarbeiter entlassen. Seit einigen Jahren hat sich deren Zahl auf rund 130 eingependelt. Und sie werden gut versorgt. „Damit unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich stets ‚gestärkt‘ den Anforderungen der Kunden widmen können, sorgen wir für ihr leibliches Wohl. Wir bieten einen warmen Mittagstisch mit Menüwahl an,“ heißt es auf der Mikrogen-Webseite.

Faires Verhalten

Sorge trägt das Unternehmen auch für seine Integrität. So hat sich Mikrogen einen Verhaltenskodex auferlegt, den sich so manch andere Firma ebenfalls zu Herzen nehmen sollte. Unter anderem heißt es da: „Wir treten für einen fairen und freien Wettbewerb ein“, „Wir lehnen jegliche Form von Korruption ab“ und „Wir stellen die Nachhaltigkeit unseres unternehmerischen Handelns in ökonomischer, sozialer und ökologischer Hinsicht sicher.“

2011 ist Manfred Motz als Geschäftsführer ausgestiegen. „Er ist heute als Partner tätig und nach wie vor immer noch fast täglich im Unternehmen“, teilt man uns mit. Soutschek führt Mikrogen seit 2018 allein. Der aktuelle Jahresumsatz beträgt 14 Millionen Euro, laut Northdata konnte im Jahr 2017 ein Gewinn von rund 850.000 Euro eingefahren werden.

Bereits jetzt liefert Mikrogen seine Tests (direkt oder über Vertriebspartner) zu Kunden in über 40 Ländern, in China läuft der Vertrieb sogar über das eigene Tochterunternehmen Mikrogen Hangzhou. Dennoch will man sich weiter global ausrichten und auch „die Automatisierung ist bei Mikrogen ein großes Thema, das mit Nachdruck verfolgt wird“.

Kathleen Gransalke