„Voll liiieeeb“

(22.07.2019) Ganz unverhofft kommt unsere (andere) TA in der Mensa zu Forschungsergeb­nissen, die glücklich machen.
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Editorial

Die folgende Geschichte hätte gut in einen Glückskeks gepasst, wäre sie nicht so lang gewesen. Auch in einem Poesiealbum hätte sie sich gut gemacht, gleich unter dem Aphorismus: „Willst du glücklich sein im Leben, trage bei zu and‘rer Glück, / denn die Freude, die wir geben, kehrt ins eig‘ne Herz zurück.“

Tatsächlich hat sich diese Geschichte aber in unserer Mensa zugetragen. Dorthin geht man für gewöhnlich nicht um sich psychisch zu regenerieren, sprich, seine schlechte Laune loszuwerden, sondern zwecks physischer Sättigung. Die ist für die dort tätigen Mitarbeiter bei dem manchmal enormen Kunden-Durchsatz auch wesentlich einfacher zu leisten, dafür sind sie auch ausgebildet. Neulich lernte ich jedoch, dass ein Mensabesuch auch auf andere Weise „sättigen“ kann.

Irgendwie war es ein doofer Vormittag. Schlecht geschlafen, eine einzige meiner Bakte­rien-Kulturen war nicht angewachsen, weswegen ich über die gesamte DNA-Präparation ein Tara mitschleppen musste. Diese Malaise löste sich aber gegen Ende der Präparation, als mir eines der Eppis aus der Hand rutschte und sich die darin enthaltene, seit wenigen Sekunden in Fällung befindende DNA auf meinem Tisch verteilte. Jetzt hatte ich zwar wieder eine gerade Anzahl Eppis, wirklich besser wurde meine Laune dadurch aber nicht.

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Ebenso wenig beim Mittagessen. Der Auslastungsgrad der Mensa an jenem Tag lässt sich am besten mit einem Zitat beschreiben, das ein Fremdenführer benutzte, um den Zustand der Straßen in der estnischen Hauptstadt Tallinn an Tagen zu beschreiben, an denen vier Kreuzfahrt­schiffe gleichzeitig im Hafen vor Anker liegen: „Wir werden haben ein großes Drängeln!“

Nach kurzem Suchen fanden ich und meine Kollegen dann doch einen freien Tisch. Zwei Tische von uns entfernt saß eine Gruppe junger Damen, eine davon in eine schicke schwarze Lederjacke gekleidet. Offenbar hatten sie und ihre Gruppe die gemeinsame Mahlzeit bereits beendet, saßen nun noch ein wenig beisammen und plauderten. Kurz bevor wir unsererseits mit dem Essen fertig waren, brach die Damengruppe auf.

Als wir schließlich beim Hinausgehen unsere Tabletts an deren just verlassenem Tisch vorbeitrugen, entdeckte ich unter dem ehemaligen Stuhl der Lederjacken-Trägerin einen Motorradhelm. Wie blöde, dachte ich. Die ist jetzt sicher schon weg. Irrtum. Auf dem Weg zum Ausgang entdeckte ich plötzlich die lederbejackte junge Dame, die sich eben mit einer ihrer Begleiterinnen über die Eistruhe beugte.

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Also aktivierte ich mein Notfalldepot für Freundlichkeit, machte auf dem Absatz kehrt, sprintete zurück, angelte den Helm unter dem Stuhl hervor, rannte zur Eistruhe und hielt ihn der jungen Dame hin, die das gute Stück offensichtlich noch nicht vermisst hatte. Überrascht riss sie die Augen auf, drückte den Helm an sich wie ihr erstgeborenes Kind und strahlte mich an. „Danke! Voll liiieeeb!“

Voller Euphorie zog sie ihre Freundin an der Schulter aus der Eistruhe und zeigte ihr den Helm. „Guck mal, den hab ich vergessen, und die Frau hat ihn mir gebracht. Voll liiieeeb, oder?“

Die Freundin nickte und vertiefte sich wieder in die Eistruhe. Die Lederjacken-Dame betrachtete liebevoll ihren Helm. Ich wollte ihr Glück nicht stören und wandte mich zum Gehen. „Danke! Echt voll liiieeeb“, rief sie mir zum Abschied nach.

Beim Anblick ihres glücklich strahlenden Gesichts spürte ich in meinem Herzen die Sonne aufgehen. Von Hochgefühl erfüllt, verließ ich mit meinen Kollegen die Mensa. So einfach kann man einen völlig unbekannten Menschen glücklich machen, was im Umkehrschluss wiederum einen selbst glücklich macht, wenn einen der Betreffende aus sämtlichen Knopflöchern anstrahlt. Eine klassische Win-Win-Situation.

Forschungsergebnis des Tages: Freude ist ansteckend.

Als wir kurz darauf ins Labor zurückkamen, fühlte ich mich satt, zufrieden und voll liiieeeb.

Maike Ruprecht