„Das ist etwas Fundamentales!“

(01.08.2019) Eine Kamera, die ultraschnell, präzise und sensitiv einzelne Photonen detektiert: Bei Photonscore in Magdeburg wird dieser Forschertraum wahr.
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Laborjournal fragt: Warum heißt Ihre Firma Photonscore? Physiker und Geschäftsführer Yury Prokazov sowie Neurobiologe, Mit­gründer und Mentor Werner Zuschratter antworten.

Herr Prokazov, Sie und Evgeny Turbin haben das Prinzip der Kamera bereits vor einiger Zeit entwickelt, heute sind Sie beide Geschäftsführer von Photonscore. Wie fand die Idee ihren Weg nach Magdeburg?

Yury Prokazov: Ich bin 2005 hierher gekommen, um in der Fakultät für Elektrotechnik der Otto-von-Guericke-Universität meinen Doktor zu machen. 2010 kam dann auch Herr Turbin an das Leibniz-Institut für Neurobiologie. Über zwei BMBF-geförderte Projekte haben wir die Kamera entwickelt und dann 2017 mit Hilfe einer EXIST-Förderung ausgegründet.

Werner Zuschratter: Die Entwicklung der Kamera an unserem Institut war Motivations-getrieben. Insbesondere Molekularbiologen wollen nicht nur Kolokalisationen, sondern auch Interaktionen von Molekülen darstellen. Wir haben nach einer Methode gesucht, die zellschonend ist und mit der wir sogenanntes Fluorescence Life-Time Imaging [FLIM] und Förster-Resonanz-Energie-Transfer [FRET] durchführen können. Es war ein glücklicher Zufall, dass Herr Prokazov auf der Suche nach einer Doktorarbeit war.

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Worin liegt denn der Vorteil Ihrer Kamera im Vergleich zu kommerziell erhältlichen Systemen, die bereits im Live Cell Imaging eingesetzt werden?

Zuschratter: Oft werden scannende Verfahren eingesetzt, die mit extrem hohen Licht­intensitäten Moleküle in einem punktförmigen Volumen der Probe anregen und mit Punktdetektoren detektieren. Ein typisches Fluoreszenz­mikroskop beispielsweise liegt im Watt- bis Kilowattbereich pro Quadrat­zentimeter. Wenn Sie aber mit einer Weitfeld-Beleuchtung arbeiten, verteilt sich die Energie auf eine größere Fläche, das ist erheblich schonender. Der Vorteil unserer Kamera besteht darin, dass sie einen Flächensensor mit extrem hoher Empfindlichkeit und Zeitauflösung im Pikosekunden-Bereich besitzt. Sie arbeitet nach dem Prinzip des Time Correlated Single Photon Counting mit Lichtinten­sitäten unter 100 Milliwatt pro Quadratzentimeter. Wir können lebende Zellen untersuchen, ohne deren Metabolismus zu stören oder phototoxische Prozesse zu induzieren.

Wie genau detektiert die Kamera und was ist der Unterschied zu Punktmessungen?

Zuschratter:Ein normaler CCD-Chip besteht aus Pixeln, und jedes Pixel akkumuliert während der Belichtungszeit Ladung, letztendlich auch Photonen. Unser Detektor hingegen registriert fortlaufend das Eintreffen einzelner Photonen. Diese werden an einer Photokathode in Elektronen transformiert und dann explosionsartig mit sogenannten Multikanal-Platten verstärkt. Wenn Sie das Signal mit einem klassischen Detektor registrieren, haben Sie keine Ortsinformation mehr. Photonscore nimmt die Elektronenwolke aus den Multikanal-Platten aber ortskodiert auf und rechnet die Position des korrespondie­renden Photons über ein komplexes mathematisches Verfahren, ein künstliches neuronales Netz, zurück. So können Sie hoch-präzise darstellen, wo das Photon auf die Photokathode getroffen ist, und das mit einer Aufnahmerate von momentan einer Million Events pro Sekunde.


Von links nach rechts: Werner Zuschratter, Yury Prokazov und Evgeny Turbin. Credit: LIN/R. Blumenstein

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Eine CCD-Kamera speichert Bilder. Bei uns hingegen werden alle photophysikalischen Parameter eines jeden Photons in einer Liste gespeichert. Diese Liste können Sie sortieren, zum Beispiel nach Ortskoordinaten, Flugzeit, Polarisation. Wenn Sie nun also sagen, Sie möchten für die Bildgenerierung nur die Photonen berücksichtigen, die eine Flugzeit von 2,6 Nanosekunden haben, dann könnten Sie das grünfluo­reszierende Protein in einer Probe darstellen, aber Hintergrund, Autofluoreszenz und alles, was eine andere Flugzeit hat, hätten Sie abgetrennt. Oder nehmen Sie das Raman Imaging. Raman-Photonen sind mit etwa 50 bis 200 Pikosekunden sehr schnell. Bei einer Messung haben Sie vielleicht 0,001 Prozent Raman-Streuung, aber 99,999 Prozent Fluoreszenz, die Ihr Signal überlagert. Wenn Sie das zeitlich auflösen, optimieren Sie das Signal-to-Noise-Verhältnis. Aus dem gleichen Datensatz können Sie durch flexibles Filtern ganz unterschiedliche Bilder generieren.

Welche Einsatzgebiete gibt es? Ich habe Angaben von Astronomie über Neuro- und Tumorbiologie bis zur Materialwissenschaft und Quantenkryptographie gelesen. Stehen die Leute schon Schlange und warten auf Ihre Kamera?

Zuschratter: Also, die Schlangen sind noch nicht ganz so lang [lacht]. Wir starten gerade mit einem Forschungsprojekt, bei dem wir überprüfen wollen, ob wir mit unserer Methode die Autofluoreszenz von Tumor- und gesundem Gewebe zuverlässig unterscheiden können. Dafür analysieren wir die Fluorescence Life-Time von intrinsischen Auto­fluoreszenz-Markern wie zum Beispiel NADH. Tumorgewebe hat eine höheren Stoffwechsel, es verbraucht mehr Sauerstoff. Wir erwarten, mithilfe von NADH-Imaging die Tumorgrenzen aufgrund unterschiedlicher Fluoreszenz-Abklingzeiten zu sehen, ohne Gewebe zu färben. Da wir extrem geringe Lichtdosen verwenden, können wir Zellen über Stunden mit Licht bestrahlen, ohne dass diese Anzeichen von Zellschädigung zeigen. Es gibt aber auch Versuche mit Astrophysikern, die Raman-Spektroskopie machen. Zudem gibt es Überlegungen, die Technologie zur Qualitätssicherung in der Materialwissenschaft einzusetzen. Die Leute, mit denen wir gesprochen haben, sind euphorisch.

Prokazov: Sie können es für die Kryptographie nutzen, aber es gibt einfachere, nütz­lichere Anwendungen. Sie können zum Beispiel die Quanten-Interferenz von zwei individuellen Ionen messen. Das ist etwas Fundamentales! Die reine Messzeit mit Punktdetektoren inklusive Kalibrierung, so wurde es geschätzt, würde sechs bis neun Jahre betragen. Mit unserem System wären Sie in einem Monat fertig. Das ist Zukunfts­musik, denn wir kennen die Breite der Anwendungen in der Quantenphysik nicht. Das liegt daran, dass sich bisher niemand eines solchen Detektors bewusst war, der so einfach zu nutzen ist: Anschalten, messen. Es besteht großes Interesse in der Quantenphysik und der Quantenoptik.

Die Kamera trägt den Namen LinCAM, vermutlich der Zusammenschluss des LIN, also des Leibniz-Instituts für Neurobiologie, und Kamera. Ist es beim Firmennamen ähnlich naheliegend?

Zuschratter: Der Name stammt von Herrn Turbin. In Photonscore steckt eine gewisse Doppeldeutigkeit. Sie können es so lesen, dass es des Photons Kern ist; wir analysieren Photonen. Oder aber Sie lesen Score, denn wir zählen auch Photonen. Diese Doppel­deutigkeit ist durchaus gewollt.

Die Fragen stellte Sigrid März


    Steckbrief Photonscore

  • Gründung: 2017
  • Sitz: Magdeburg
  • Mitarbeiter: 6
  • Produkt: Ultraschnelles, hochauflösendes Weitfeld-Kamerasystem