Veraltet und wissenschaftlich unhaltbar

(26.08.2019) Der Schock über das Genome-Editing-Urteil des EuGH sitzt noch immer tief. Ein Appell soll die EU nun zum Umdenken bewegen. Wir sprachen mit Ralph Bock und Detlef Weigel.
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Editorial

Laborjournal: Wie kam es zu Ihrem jetzigen Appell an das Europäische Parlament und die Europäische Kommission?
Detlef Weigel: Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) im Juli 2018, Genom-editierte Pflanzen wie konventionell gentechnisch veränderte Organismen (GVOs) einzustufen, hat uns schockiert, und viele von uns waren der Ansicht, wir müssten etwas unternehmen. Auch die Max-Planck-Gesellschaft hat eine Stellungnahme veröffentlicht, die nahe an unseren Vorstellungen ist, nämlich dass Genom-editierte Pflanzen nicht als GVOs im Sinne der Freisetzungs­richtlinie gelten, wenn die genetischen Veränderungen natürlich entstandene Mutationen nachahmen.
 
Ralph Bock: Der EuGH hat diese Entscheidung auf der Basis eines veralteten Gentechnik-Rechts und einer nicht mehr zeitgemäßen GVO-Definition getroffen. Die Begründung des Urteils ist in großen Teilen wissenschaftlich unhaltbar. Seitdem hat sich politisch nicht viel getan. Es war an der Zeit, die politischen Entscheidungsträger auf die daraus resultierenden Probleme für die Grundlagen­forschung und die angewandte Züchtungs­forschung hinzuweisen.

Editorial

Warum ist die GVO-Gesetzgebung der EU Ihrer Ansicht nach wissenschaftlich veraltet?
Weigel: Die 2001 verabschiedete Freisetzungs­direktive der EU ist sehr vom Vorsorgeprinzip bestimmt. Damals hatte man nur fünf Jahre Erfahrung mit im großen Stil freigesetzten transgenen Pflanzen, hauptsächlich den Glyphosat-resistenten Nutzpflanzen in den USA. Es ist nachvollziehbar, dass man damals vorsichtig war. Es war allerdings ein großer Fehler, dass man nicht ins Gesetz geschrieben hat, dass es überarbeitet werden muss, wenn sich GVOs als sicher erweisen sollten. Zudem ist das Gesetz schlampig formuliert. Es bezieht sich auf Veränderungen, wie sie auf „natürliche Weise“ nicht möglich wären. Dabei ist unklar, ob hiermit der Mutagenese-Prozess oder das Ergebnis gemeint ist. Kleine Genom-Veränderungen durch Genome Editing kann man ja nicht von natürlichen Spontan­mutationen unterscheiden.

Bock: Nach der derzeitigen GVO-Definition ist ein gentechnisch veränderter Organismus dadurch gekennzeichnet, dass sein genetisches Material so verändert worden ist, wie es auf natürliche Weise durch Kreuzen und/oder natürliche Rekombination nicht möglich ist. Man darf dabei nicht vergessen, dass viele unserer Nutzpflanzen auf nicht-natürliche Weise entstanden sind. Der Gesetzgeber hat bei der Züchtung mithilfe von chemischer oder Strahlungs-induzierter Mutagenese eine Ausnahme gemacht, da man damit bereits 30 Jahre Erfahrung hatte und sie als sicher eingestuft hat. Inzwischen haben wir mit transgenen Sorten über 20 Jahre Erfahrung und sie haben sich ebenfalls als sicher erwiesen. Herkömmliche transgene Sorten sollten also nach der Logik des Gesetzgebers nun ebenfalls nicht mehr als GVOs reguliert werden.

Detlef Weigel.
Credit: MPI-EB


Es ist auch unklar, wann Mutagenese nicht mehr natürlich ist. Wenn ich zum Beispiel im Flugzeug Weizensamen transportiere, entstehen in diesen mehr Mutationen als auf dem Erdboden. Habe ich dann GVOs hergestellt? In vielen Ländern ist es bereits  Regulierungspraxis, das Produkt und nicht den Herstellungsprozess zu bewerten, da nur vom Produkt ein konkretes Risiko ausgehen kann.

Welche Änderungen schlagen Sie vor, damit die Pflanzenforschung und -züchtung in Europa nicht ins Hintertreffen geraten?
Weigel: Es sollte ähnlich wie in den USA anhand der Papierform ein vereinfachtes Verfahren für die Zulassung geben. Bei der Sorten-Zulassung sollte es verpflichtend sein, Genom-Editierungen anzugeben und zu beschreiben.

Bock: Einfache Veränderungen durch Genome Editing sollten von der enormen Bürde der GVO-Regulation befreit werden, wenn sie sich nicht von Produkten anderer Mutagenese-Verfahren ohne Transgene unterscheiden. Das würde viele Probleme, auch im Welthandel, vermeiden. Langfristig brauchen wir einen neuen Rechtsrahmen, der das Produkt bewertet, und nicht die verwendete Technologie.

Welche weiteren Vorschläge haben Sie?
Bock: Für eine sinnvolle Regulierung müsste man zwischen den verschiedenen Techniken des Genome Editing unterscheiden und die verschiedenen Anwendungen differenziert betrachten. Das Transgen-freie Genome Editing mit einem Ribonukleinsäure-Proteinkomplex erfüllt nicht einmal die einfachste wissenschaftliche Definition von Gentechnik. Das ist eigentlich (bio)chemische Mutagenese. Man kann aber auch CRISPR/Cas als Transgen anwenden und dieses nach der Mutagenese auskreuzen. Der Gesetzgeber könnte in diesem Fall einen Nachweis über die Transgen-Freiheit der erzeugten Pflanzen durch DNA-Sequenzierung verlangen. Zudem kann Genome Editing auch eingesetzt werden, um die Präzision der konventionellen Gentechnik zu verbessern, indem man Transgene an einer definierten Stelle im Genom einbaut, und nicht zufallsgemäß. Diese Pflanzen sollten dann als GVOs reguliert werden.

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Wie beeinflusst die Entscheidung des EuGH Ihre Arbeit?
Weigel: Wir untersuchen die Immunität der Pflanzen, die vom natürlichen Mikrobiom und weiteren Faktoren wie beispielsweise der Temperatur abhängig ist. Diese Bedingungen können wir im Gewächshaus und in der Klimakammer nur unzureichend nachahmen. Nun können wir unsere Genom-editierten, Transgen-freien Pflanzen in Europa leider nicht im Freiland testen, da die hierzu nötigen Genehmigungen zu aufwendig sind. Ein promovierter Wissenschaftler würde ungefähr ein Jahr brauchen, um für eine einzige mutante Linie die notwendigen Dokumente zusammenzutragen. Das würde uns in der Größenordnung von 60.000 Euro pro Mutante kosten – und wir möchten eigentlich dutzende von Mutanten im Freiland testen. Da Freilandtests immer häufiger verlangt werden, wird es für uns in Zukunft schwerer werden zu publizieren.

Bock: Ich denke auch, dass für die Grundlagenforschung Freiland- und Feldversuche extrem erschwert werden. Für qualitativ hochwertige Publikationen ist es zunehmend nötig, solche Daten zu liefern. Mutanten zeigen häufig erst unter stark wechselnden Umwelt­bedingungen einen Phänotyp. Auch die Interaktion mit anderen Pflanzen, Mikroorganismen und Insekten lässt sich im Labor nur begrenzt untersuchen. Die Freilandforschung muss dann ins Nicht-EU-Ausland verlagert werden, wo solche Versuche durchgeführt werden können. Wir werden zudem in Deutschland einen Kampf um Platz für Genom-editierte Pflanzen in den S1-Gewächshäusern erleben. Versuche werden auf die minimale Anzahl an Pflanzen zusammengeschrumpft werden müssen.

Was bedeutet die EuGH-Entscheidung für die Pflanzenzüchter?
Weigel: Für kleine Züchtungsfirmen ist die Nutzung zufällig induzierter Mutationen mit Hilfe des “Tillings”, als Alternative zum gezielten Genome Editing, unwirtschaftlich. Insofern bevorzugt die Entscheidung des EuGH große, finanzkräftige forschungsstarke Firmen. Ein Nachteil des Genome Editing ist, dass die Patent-Inhaber sich aussuchen können, wem sie eine Lizenz erteilen. Zudem sind die Lizenzen sehr teuer. Hier ist die Politik gefragt.

Bock: Die europäischen kleinen und mittleren Pflanzenzüchter können es sich nicht leisten, GVO-Zulassungsverfahren für jede neue Genom-editierte Pflanzensorte durchzuführen. Ihnen werden die Möglichkeiten der neuen Technologie weitestgehend verwehrt bleiben, was ein gewaltiger Wettbewerbsnachteil ist. Für die Züchter entsteht auch eine große Rechts­unsicherheit, da sie Züchtungsmaterial austauschen, um es für die Weiterzüchtung zu verwenden. Genom-Editionen lassen sich aber nicht in jedem Fall nachvollziehen, sodass sie Gefahr laufen, illegal einen GVO in die EU einzuführen.

Ralph Bock.
Credit: MPI-MP


Könnten wir auf die Pflanzenzüchtung mithilfe von Genome Editing auch verzichten?
Weigel: Verzichten können wir im Prinzip auf alles, nur wird die Situation dadurch immer schwieriger. Wir werden ohne Genome Editing nicht verhungern. Wenn wir aber mehr Ackerfläche für die Ernährung verbrauchen, haben wir weniger Wälder und müssen uns anderer Methoden bedienen, um CO2 nachhaltig aus der Atmosphäre zu entfernen.

Bock: Mittel- und langfristig können wir sicher nicht auf Genome Editing verzichten. Die Technik revolutioniert die Pflanzenzüchtung und Grundlagen­forschung bereits seit geraumer Zeit. Wenn sich Europa weiter isoliert, wird es sich damit enorm schaden. Für die Ernährung der wachsenden Menschheit und eine Pflanzen-basierte Erzeugung von Treibstoff, erneuerbaren Rohstoffen und pharmazeutischen Wirkstoffen benötigen wir große Ertragssteigerungen und Fortschritte in der Pflanzenzüchtung. Die steigenden Temperaturen durch den Klimawandel führen zudem zu Ertragsverlusten, denen wir etwas entgegensetzen müssen.

Sind wir in Europa angesichts der Entwicklung der Pflanzenzüchtung in den USA und China bereits wissenschaftliche Provinz?
Weigel: In ein paar Jahren werden wir züchterisch abgehängt sein, wenn außerhalb Europas die Pflanzenzüchtung durch Genome Editing beschleunigt wird und das in Europa nicht möglich ist.

Bock: Die Entwicklung ist besorgniserregend und der europäische Wirtschaftsraum wird dadurch geschwächt. Es sind ja bereits in der Vergangenheit viele in Europa gemachte biotechnologische Entdeckungen, wie die Technologien zur Erzeugung transgener Pflanzen, hier nicht zur Anwendung gekommen.

Droht ein Brain Drain, d.h. die Abwanderung von Wissenschaftlern dieser Fachrichtung ins nicht-europäische Ausland?
Weigel: In den USA gibt es wesentlich mehr Möglichkeiten für Pflanzenforscher, die sich mit moderner Pflanzengenetik auskennen. Die restriktiven Vorschriften zu Genome Editing in Europa beflügeln den Arbeitsmarkt sicher nicht. Bei den großen Investitionen in Genome Editing und Genom-editierte Pflanzen in China kann man schon neidisch werden.

Bock: Wir bilden junge Menschen in modernen Züchtungsmethoden aus, die sie in Europa nicht anwenden können. Agrar- und Biotechfirmen haben ihre Forschung in Europa ja zum großen Teil bereits eingestellt und in die USA verlagert. In der angewandten Forschung werden die Wissenschaftler ins Ausland abwandern. In der Grundlagenforschung wird die Freilandforschung im Ausland durchgeführt werden.

Welche Entwicklungen in der Pflanzenzüchtung mittels Genome Editing erwarten Sie in den kommenden 10 Jahren?
Weigel: Polygene Veränderungen werden sicherlich ein Thema sein, aber auch die spezifische Änderung einzelner Basen, um einzelne Aminosäuren in Proteinen auszutauschen. Ein weiteres wichtiges Thema wird der Austausch von ganzen Allelen durch homologe Rekombination sein.

Bock: In der Grundlagenforschung werden durch Genome Editing Nicht-Modellpflanzen für genetische Veränderungen zugänglich, zum Beispiel wichtige landwirtschaftliche Nutzpflanzen und sogar Bäume. Wir werden international eine stark beschleunigte Pflanzenforschung und -züchtung erleben. Unter Einsatz dieser Technologie werden wir Ernteverluste durch Krankheiten oder Schädlinge, Hitze, Trockenheit oder Versalzung von Böden vermeiden können. Wir werden die Lebensmittel-Qualität steigern können, indem Pflanzen erzeugt werden, die mehr gesundheitsfördernde und weniger gesundheitsschädliche Stoffe enthalten. Auch in der Transgen-basierten Pflanzenzüchtung wird Genome Editing für die Biotechnologie und die synthetische Biologie neue Möglichkeiten eröffnen.

Die Fragen stellte Bettina Dupont

Detlef Weigel ist Direktor am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen. Ralph Bock ist Direktor am Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie in Potsdam.

Zum Appell der Forscher.






Letzte Änderungen: 26.08.2019