Spannungsmesser für Organellen

(28.08.2019) Ein DNA-basierter Fluoreszenz-Reporter findet spezifische Organellen in lebenden Zellen und misst ihr Membranpotenzial.
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Was in eine Zelle oder ein Organell rein darf und was nicht, bestimmen Membranen mit ihrer Infrastruktur zur Molekül-Abfertigung: Poren, Kanäle, Rezeptoren, Pumpen und sonstige Transport-Geräte. Außen herrscht eine andere Umgebung als drinnen, sonst könnte sich die Zelle die Abgrenzung ja schenken. Aus Unterschieden in der Ladungsverteilung ergibt sich das Membran­potenzial, das eine fundamentale Rolle in der Signalleitung spielt. Spannung aufbauen und entladen ist aber nicht nur für die Reiz­weiter­leitung in Nervenzellen wichtig: Membranpotenziale sind ein prinzipielles regulatorisches Instrument von Zellen und Organellen.

Aber wie misst man Membranpotenziale? Bei der Plasmamembran, die elektrischen und chemischen Sonden Zutritt gewährt und somit auch In-vivo-Analysen erlaubt, ist das vergleichsweise einfach. Bei Organellen, die sich in der Zelle verstecken, sieht die Sache anders aus. Dass auch deren Membranen Spannungs-reguliert sind, weiß man aus elektrophysiologischen Analysen isolierter Organellen. Eingriffe ins Membranpotenzial, etwa durch Blockieren von Ionenkanälen oder Pumpen, stören die Funktionalität. Für Mitochondrien, bei denen das  Membranpotenzial quasi das Geschäftsmodell darstellt, ist das offensichtlich, es gilt aber auch für andere Organellen.

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Verzerrte Messwerte

Wer Membranpotenziale von Organellen nicht-invasiv innerhalb einer Zelle messen will, verwendet dazu meist Spannungs-sensitive Farbstoffe. Da diese überall hin schwirren, lässt sich ihr Ziel aber nicht festlegen. Eine Alternative hierzu sind Protein-basierte Indikatoren, deren Ladungszustand vom Membranpotenzial abhängt – Änderungen führen zur Neu­platzierung der Indikatoren innerhalb der Membran. Leider schnurrt hier Schrödingers Katze laut mit: Da der Einbau der Indikator-Proteine die Zusammensetzung der Membran verändert, insbesondere bei kleineren Organellen, werden die Messwerte verzerrt.

Die Gruppe der Spezialistin für Organellen-Imaging Yamuna Krishnan von der University of Chicago hat sich deshalb DNA-basierte Spannungsmesser ausgedacht, die kleiner sind und weniger stören. Sie bestehen aus vier Komponenten: einem kurzen Stück doppelsträngiger DNA, zwei Fluoreszenz­farbstoffen sowie einem Transportsignal. Letzteres gibt vor, wohin die Reise gehen soll. Für Plasmamembranen ist das zum Beispiel ein Lipidschwanz, der an der DNA haftet.

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Farbstoff am Strangende

Die verwendete DNA ist mit 38 Basenpaaren recht kompakt. Dass sich beide Stränge von Natur aus immer eins zu eins paaren, hat einen Vorteil, den sich das pfiffige Team zunutze macht. Am 3‘-Ende eines Strangs hängt ein mittels Klick-Chemie angebrachter Farbstoff (RVF), dessen Fluoreszenz sich Spannungs-abhängig ändert. Von außen einwirkende Spannungs­änderungen beeinflussen das lokale elektrische Feld und führen zu einem internen Elektronentransfer, wodurch sich wiederum die Quenching-Eigenschaften des Farbstoffs ändern. RVF zeichnet sich durch gute Photostabilität und weitgehende pH-Insensitivität aus.

Auf dem anderen Strang sitzt der Spannungs-unabhängige Fluoreszenzfarbstoff Atto647N. Er dient als interne Referenz und dazu, Verteilungs- von Spannungs-abhängigen RVF-Fluoreszenz-Signalen zu unterscheiden. Dank des unbeirrbaren Eins-zu-Eins-Prinzips der zwei DNA-Stränge gilt: Wo ein Atto-Molekül fluoresziert, muss automatisch auch ein RVF-Farbstoff sitzen. Ob und wie stark dieser fluoresziert, hängt vom Membranpotenzial ab.

Die Funktion des Membran-Potenzial-Reporters, den die Gruppe als Voltair bezeichnet, testete sie zunächst in HEK293 T-Zellen mit Whole-Cell-Voltage-Clamping-Experimenten. Der dafür mit einem Fettschwanz (POPE: 1-palmitoyl-2-oleoyl-sn-glycero-3-phospho­ethanolamin) versehene Reporter VoltairPM landete wunschgemäß und in passender Orientierung in der Plasmamembran. Anschließend erhöhten Krishnans Mitarbeiter die Spannung von -100 mV sukzessive in 10 mV-Schritten auf 100 mV und verfolgten die Fluoreszenz-Intensitäten der beiden Farbstoffe. Einem jeweiligen Spannungswert konnten sie so ein definiertes G/R-Signal (Verhältnis der zwei Fluoreszenzen) zuordnen. Das aus dieser Kalibrierung abgeleitete Ruhepotenzial von -50 mV deckte sich mit den Literaturwerten.

Potenzial von Endosomen

Nach diesen Vorversuchen nahm sich die Gruppe das Membranpotenzial von Endosomen vor. Dazu exprimierten sie zunächst einen Scavenger-Rezeptor aus humanen Makrophagen in HEK 293T-Zellen, der als Andockstelle für die Reporter-Variante VoltairIM diente. Anders als beim eigens angebrachten Plasmamembran-Fettanker war die DNA selbst die Ziel­struktur: Die manipulierten HEK 293T-Zellen nahmen VoltairIM durch Rezeptor-vermittelte Endocytose auf.

Seine Reiseroute verfolgten die Forscher mithilfe von Farbstoffen, die spezifisch frühe oder späte Endosomen beziehungsweise Lysosomen markieren. Demnach kam VoltairIM nach 10, 60 sowie 120 Minuten in diesen an. Mithilfe der gemessenen G/R-Signale (G: 540 nm für RVF, R: 665 nm für Atto647N) bestimmte die Gruppe das Membranpotenzial der entspre­chenden Endosomen. Es lag bei +130 mV, +100 mV sowie +40 mV. Aber woher kam der hierfür nötige Umrechnungsfaktor?

Um aus den G/R-Signalen eines in der Zelle sitzenden Organells auf das dazugehörige Membranpotenzial zu schließen, ist eine Kalibrierung notwendig. Für Organell-Membranen ist das ungleich schwieriger als für Plasma-Membranen, da das Cytosol, in dem sich die Organellen befinden, kein klar definierter Puffer ist. Also dachten sich die Forscher aus Chicago: „Warum nicht einfach den Zellinhalt umpuffern?“ Mithilfe von Digitonin perforierten sie die in Puffer eingetauchten Zellen mit winzigen Löchern und erzeugten so Ein- und Austrittsstellen für den Austausch des Cytosol-Inhalts. Am Ende schwammen auch die Organellen innerhalb der intakt gebliebenen Zellen in einer definierten Pufferlösung. Ionophoren, die in isolierten Lysosomen schon gut untersucht sind und von denen man weiß, welches Membranpotenzial sie an Lysosomen verursachen (etwa Valinomycin, +50 mV), halfen dann bei der endgültigen Kalibrierung.

Andrea Pitzschke

Saminathan A. et al. (2019): A DNA-based voltmeter for organelles. BioRxiv, DOI: 10.1101/523019